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ZurückMit Jahresbeginn übernahm Polen knapp zwanzig Jahre nach seinem EU-Beitritt zum zweiten Mal den EU-Ratsvorsitz. Nachdem die neue EU-Kommission nun ihr Amt angetreten hat, fällt diese Präsidentschaft de facto mit dem Beginn eines neuen Zyklus an Gesetzesinitiativen zusammen. Der Schwerpunkt der polnischen Präsidentschaft liegt in dieser herausfordernden und geopolitisch beunruhigenden Zeit auf dem Thema Sicherheit, einschließlich Verteidigung, Widerstandsfähigkeit und Unabhängigkeit. Nach der nicht unumstrittenen Vorsitzführung durch Ungarn wird erwartet, dass das gemeinsame Handeln der Union nun wieder stärker in den Vordergrund rückt.
Die polnische Ratspräsidentschaft dauert vom 1. Jänner bis zum 30. Juni 2025. Damit beginnt der neue Dreiervorsitz Polen-Dänemark-Zypern. Unter dem Motto „Stärkung der europäischen Sicherheit“ wird sich Polen insbesondere mit sieben Bereichen beschäftigen: Verteidigung und Sicherheit, Energiewende, Schutz der Menschen und Grenzen, Widerstand gegen Einflussnahme aus dem Ausland und Desinformation, Gewährleistung der Sicherheit und Freiheit von Unternehmen, wettbewerbsfähige und widerstandsfähige Landwirtschaft und Gesundheitssicherheit.
Aktuelle Herausforderungen
Angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine ist davon auszugehen, dass Polen im Rahmen des 16. Sanktionspakets gegen Russland eine führende Rolle spielen wird. Die Leistbarkeit von Energie und die Verringerung von Abhängigkeiten bleiben wichtige Themen, auch für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. In der Migrationspolitik dürfte es sich weiterhin als schwierig erweisen, gemeinsame Lösungen auf EU-Ebene zu finden und durchzusetzen. Die erneute US-Präsidentschaft von Donald Trump bringt geopolitische Unsicherheiten mit sich und erfordert ein Überdenken der Position Europas in der Welt und gegenüber der NATO.
Rede von Donald Tusk
In seiner Rede zur Vorstellung des Programms der polnischen Ratspräsidentschaft vor dem EU-Parlament am 22. Jänner betonte der polnische Premierminister Donald Tusk sein Bekenntnis zu einem gemeinsamen und geeinten Europa, das die aktuellen Herausforderungen besser meistern kann, und zu Polen als dessen Herz. Die Erwartungen an Polens Ratsvorsitz sind hoch: Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung und seines Engagements für die europäische Zusammenarbeit sind die Hoffnungen groß, dass der ehemalige Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk die EU in Krisenzeiten stärken und voranbringen kann.
Sicherheit und Verteidigung
Angesichts des akuten Konflikts an den EU-Grenzen, der neuen politischen Lage in den USA und der Herausforderungen durch gezielte Online-Desinformation sieht Tusk die Notwendigkeit, EU-weit bis zu 5 % des BIP für Sicherheit und Verteidigung auszugeben (Österreichs Verteidigungsausgaben liegen derzeit bei rund 1% des BIP). Das sei notwendig, damit Europa überleben könne. Demokratie dürfe nicht mit Schwäche assoziiert werden. Außerdem werde die polnische Ratspräsidentschaft einen Fokus auf die Stärkung der Außengrenzen und die Eindämmung illegaler Migration zu legen. Um den Zugang zu erschwinglicher Energie sicherzustellen, solle auch die bestehende Gesetzgebung überprüft werden.
Die von Polen betonten Sicherheitsaspekte haben auch einen hohen Stellenwert in den Plänen der neuen EU-Kommission: Sie hat unter anderem für März dieses Jahres ein Weißbuch zur Zukunft der europäischen Verteidigung angekündigt, wird bereits Ende Februar im Rahmen der Veröffentlichung des Clean Industrial Deal einen Aktionsplan zu erschwinglicher Energie vorlegen sowie an einer Strategie für innere Sicherheit und Vorsorge arbeiten.
Wirtschaft und Handel
Eine der Zielsetzungen des Rates – wie auch der EU-Kommission und des EU-Parlaments - wird die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU und die Vertiefung der Binnenmarktintegration sein. Das umstrittene Handelsabkommen Mercosur wird den Rat weiterhin beschäftigen. Im Finanz- und Budgetbereich wird sich der Rat mit der Vorbereitung auf den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) und der Ausgestaltung des Defizitverfahrens befassen. Wie auch in der EU-Kommission wird für den Rat die „Bessere Rechtsetzung“ und Vereinfachung ein Thema sein, spezifisch als „Omnibus-Pakete“ der EU-Kommission, mit denen bereits beschlossene Rechtsakte verwässert werden sollen. Befürchtet wird hier eine Aushöhlung von sozialen und ökologischen Standards.
Green Deal
Sobald die Vorschläge zum Clean Industrial Deal vorliegen, werden sich auch die zuständigen Ratsformationen intensiver damit befassen. Die Frage der Energiesicherheit soll darüber hinaus in gesonderten Ratsschlussfolgerungen behandelt werden. Daneben wird mit Hochdruck an Gesetzesvorschlägen gearbeitet, die noch aus der letzten Legislaturperiode stammen. Dazu gehören unter anderem die Verordnung zur Erfassung der Emissionen von Verkehrsdienstleistungen, die Richtlinie zu Green Claims, die Revision der Abfallrahmenrichtlinie und die Altfahrzeuge-Verordnung. Auch bei den umstrittenen Gesetzesvorschlägen zur Neuen Gentechnik und zur Zulassung überlanger und überschwerer Lkw (Gigaliner) will der polnische Ratsvorsitz entscheidende Fortschritte erzielen. Sollten die entsprechenden Vorschläge vor dem Sommer vorgelegt werden, wird sich der Rat auch mit dem Klimaziel 2040 und der neuen Wasserresilienz-Initiative beschäftigen.
… und die Sozialpolitik?
Der polnische Ratsvorsitz wird Ratsschlussfolgerungen zu Themen wie KI am Arbeitsplatz und dem alternden Arbeitsmarkt vorlegen. Legislative Dossiers wie die Richtlinie zu europäischen Betriebsräten und die Praktikums-RL werden weiterverhandelt. Ob die EU-Kommission im ersten Halbjahr 2025 neue Richtlinien oder Verordnungen im Bereich Soziales vorlegen wird, bleibt abzuwarten. Darüber hinaus werden jedenfalls auch Vorbereitungsarbeiten zum neuen Aktionsplan zur Europäischen Säule sozialer Rechte stattfinden, der im Herbst 2025 von der EU-Kommission vorgelegt werden wird. Last but not least wird sich der Rat auch mit dem Fahrplan für Frauenrechte beschäftigen, der Anfang März veröffentlicht werden soll.
Weiterführende Informationen
Rat: Offizielle Website der polnischen Ratspräsidentschaft (nur Englisch)
Rat: Programm der polnischen Ratspräsidentschaft (nur Englisch)
AK EUROPA: Ungarn übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft. Schwierige Voraussetzungen
AKEUROPA: Politische Leitlinien für die nächste EU-Kommission 2024 – 2029. Die richtigen Antworten auf aktuelle Herausforderungen?
AKEUROPA: Strategische Agenda 2024-2029. Unausgewogene Prioritäten
AKEUROPA: Draghi-Bericht über die Zukunft der EU-Wettbewerbsfähigkeit
AKEUROPA: „Weit mehr als ein Markt“. Niemand zurücklassen im Binnenmarkt
Rat: Donald Tusk, 2014-2019