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ZurückÜber das Freihandelsabkommen (FTA) zwischen der EU und dem Mercosur wird seit mehr als einem Vierteljahrhundert verhandelt. Erst letzten Monat hat die EU-Kommission eine politische Einigung mit den Mercosur-Ländern erzielt und drängt nun auf dessen Ratifizierung noch im Jahr 2025. Trotz der versprochenen wirtschaftlichen und geopolitischen Vorteile bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen auf Umwelt- und Arbeitsstandards und hinsichtlich der politischen Transparenz. Julie Zalcman, Handelsexpertin bei Friends of the Earth Europe (FoEE), geht auf diese Probleme ein und warnt, dass das Abkommen neokoloniale Dynamiken verfestigen könnte, während die Klima- und Nachhaltigkeitsziele der EU verfehlt würden.
Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur, das 2019 zunächst vom Tisch war, ist Anfang Dezember 2024 mit einer politischen Einigung erneut aktuell geworden. Angesichts des starken Widerstands von Gewerkschaften, Umwelt-NGOs und mehreren Mitgliedstaaten ist die Ratifizierung aber alles andere als sicher. Auch die AK hat massive Vorbehalte und lehnt das Abkommen ab. Die Hauptkritikpunkte betreffen die Umweltauswirkungen, unzureichende Arbeitsstandards und mangelnde politische Transparenz. Wir sprachen mit Julie Zalcman von Friends of the Earth Europe über deren Einschätzung.
AK EUROPA: Können Sie uns einen groben Abriss über den zeitlichen Ablauf der EU-Mercosur-Verhandlungen geben? Wie sind wir bis zum heutigen Stand gelangt?
ZALCMAN: Dieses Freihandelsabkommen wird seit über 25 Jahren zwischen der EU und den Mercosur-Ländern Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay verhandelt. Diese Verhandlungen waren langwierig und kompliziert und geprägt von einem erheblichen Mangel an Transparenz und einer mangelhaften bzw. fehlenden Beteiligung der Zivilgesellschaft, einschließlich Gewerkschaften, NGOs, der lokalen Bevölkerung und indigener Völker. Gemeinsam mit Anders Handeln haben wir kürzlich einen Bericht veröffentlicht, der diesen Mangel an demokratischer Kontrolle und Beteiligung aufzeigt. Im Jahr 2019 wurde eine politische Einigung erzielt, doch die Ratifizierung wurde gestoppt, nachdem die verheerenden Waldbrände im Amazonasgebiet einen öffentlichen Aufschrei ausgelöst hatten, gerade auch weil Jair Bolsonaro in Brasilien an der Macht war. Länder wie Österreich und Frankreich forderten einen Stopp. Auch nach Bolsonaro hat sich die Situation seit 2019 nicht wesentlich verbessert, speziell was die neue argentinische Regierung unter Javier Milei betrifft.
AK EUROPA: Eine AK-Studie kam zu dem Ergebnis, dass das Mercosur-Freihandelsabkommen den EU Bürger:innen generell nur marginale wirtschaftliche Vorteile bringt. Was ist also das Ziel dieses Handelsabkommens und wer profitiert davon?
ZALCMAN: Die Hauptnutznießer sind die Autoindustrie und große Agrarindustrieunternehmen. Die EU möchte mehr Industrieprodukte, insbesondere Autos, in die Mercosur-Länder exportieren. Im Gegenzug würde die EU (Agrar-)Rohstoffe wie Soja, Holz, Zucker, Ethanol und Fleisch importieren. Rindfleischimporte sind ein großes Thema. Europäische Landwirt:innen und Bauernverbände lehnen sie aufgrund unterschiedlicher Arbeitsstandards, Hygienevorschriften und Umweltschutzbestimmungen ab, die dazu führen würden, dass Mercosur-Produkte billiger wären und der Druck auf europäische Waren zunimmt.
AK EUROPA: Was sind die Hauptbedenken hinsichtlich der Auswirkungen des Abkommens auf Umwelt- und Arbeitsstandards?
ZALCMAN: Ein großes Problem ist der neue Streitbeilegungsmechanismus, der es den Mercosur-Ländern ermöglicht, neue EU-Vorschriften anzufechten, die ihre wirtschaftlichen Interessen beeinträchtigen. Dies könnte zukünftige Legislativmaßnahmen in den Bereichen Umwelt und Arbeitswelt untergraben, was eine abschreckende Wirkung auf neue Initiativen hätte und das Risiko bergen würde, dass legitime EU-Vorschriften angefochten werden. Es könnten auch Beschwerden gegen EU-Maßnahmen erhoben werden, die zwar bereits verabschiedet, aber noch nicht vollständig umgesetzt wurden, wie die Entwaldungsverordnung. Das Abkommen enthält zudem keine ausreichenden Garantien in Bezug auf Klima, Entwaldung und Arbeitsrecht. Das Pariser Klimaabkommen ist nun als wesentliche Klausel im EU-Mercosur-Abkommen enthalten. Diese Klausel würde jedoch nur in Fällen gelten, in denen eine Partei aus dem Pariser Abkommen austritt, was eine viel schwächere Absicherung darstellt als in früheren Freihandelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich und Neuseeland.
AK EUROPA: Die EU-Kommission hat ein Umweltkapitel versprochen, um Bedenken hinsichtlich der Entwaldung und des Klimaschutzes auszuräumen. Was ist daraus geworden?
ZALCMAN: In der Tat wurde ein umfassendes Umweltkapitel versprochen, aber diese Versprechen wurden nicht eingehalten. Eine frühe Version enthielt die Verpflichtung, die Regenwaldabholzung bis 2025 um 50% zu reduzieren, aber diese wurde in der im Dezember veröffentlichten Endfassung gestrichen. Das gemeinsame Zusatzinstrument, das 2023 geleakt worden war, hatte diese konkreten Ziele enthalten. Deren Herausnahme ist problematisch, da das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen die Entwaldungsrate in der Mercosur-Region voraussichtlich um mindestens 5% pro Jahr beschleunigen wird.
AK EUROPA: Es wird oft gesagt, dass das Abkommen neokoloniale Dynamiken verfestigt. Können Sie dieses Argument näher erläutern?
ZALCMAN: Der Ansatz der EU beschränkt den Mercosur auf die Rolle als Rohstofflieferant, ohne die Region bei der Entwicklung ihrer eigenen lokalen Industrien zu unterstützen. Der Begriff „Autos-gegen-Kühe-Deal“ trifft es gut: Es würden Industrieprodukte wie Autos in den Mercosur exportiert, während gleichzeitig Rohstoffe und Agrarprodukte wie Rindfleisch oder Soja importiert werden, was zur Entwaldung und Umweltzerstörung beiträgt. Es wird mit zweierlei Maß gemessen: Die EU schafft Autos mit Verbrennungsmotoren und schädliche Pestizide intern ab, will sie aber in den Mercosur exportieren. In Europa verbotene Pestizide werden weiterhin in den Mercosur verkauft, was Landarbeiter:innen und lokalen Gemeinschaften schadet.
AK EUROPA: Teilweise wird argumentiert, dass das Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur aufgrund des zunehmenden Drucks aus China geopolitisch notwendig ist. Was ist dran an dieser Behauptung?
ZALCMAN: Die EU behauptet, das Abkommen sei notwendig, um Chinas Einfluss im Mercosur auszugleichen, aber das ist heuchlerisch. Der Zweck von Handelsabkommen besteht nicht wirklich darin, geopolitische Probleme zu lösen. Es gibt bessere Wege, ohne demokratische Prozesse oder Umwelt- und Arbeitsstandards zu gefährden.
AK EUROPA: Die Zeichen für das Handelsabkommen stehen politisch gesehen nicht gut. Welcher Strategien könnte sich die EU-Kommission bedienen, um die Ratifizierung dieses Handelsabkommens zu erzielen?
ZALCMAN: Die EU-Kommission sondiert derzeit rechtliche Möglichkeiten, um die Ratifizierung zu erwirken. Sie könnte versuchen, das Abkommen zu teilen, ähnlich wie im Fall Singapur, um die Ratifizierung zu beschleunigen und nationale Vetos zu umgehen. Dieser Ansatz untergräbt demokratische Prozesse und die nationale Souveränität. Der Mangel an Kontrolle und Respekt für die nationale Entscheidungsfindung wird das Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber den EU-Institutionen höchstwahrscheinlich nur noch verstärken. Wenn dieser Weg eingeschlagen wird, wird dies wahrscheinlich zu einem noch stärkeren Widerstand führen, insbesondere aus Österreich, Frankreich und Irland. Es ist von entscheidender Bedeutung, eine breitere Koalition von Mitgliedstaaten und zivilgesellschaftlichen Gruppen zu mobilisieren, um eine Sperrminorität im Rat der EU zu bilden. Ein anhaltender öffentlicher Widerstand von Landwirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und Umwelt-NGOs wird von entscheidender Bedeutung sein.
Dieses Interview wurde original auf Englisch geführt und ausschließlich die englische Version wurde von Friends of the Earth Europe autorisiert. Die in diesem Interview geäußerten Meinungen und Ansichten spiegeln nicht zwingend die Positionen der AK wider.
Weiterführende Information
FoEE: Website
FoEE: Stoppt das Handelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur
FoEE: Sieben Gründe, das Handelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur zu stoppen
FoEE: ehr als 400 Organisationen fordern Staats- und Regierungschefs auf, das EU-Mercosur-Abkommen aufzukündigen
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