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ZurückAm 4. März 2021 hat die Kommission ihren lange erwarteten neuen Aktionsplan zur Europäischen Säule sozialer Rechte vorgelegt. Vor dem Hintergrund der Coronakrise mit dramatischen Arbeitslosenzahlen, steigender Armut und prekären Arbeitsbedingungen ist Handlungsbedarf äußerst dringlich.
Im November 2017 hatten die Europäischen Institutionen sich auf 20 politisch bindende Grundsätze der Europäischen Säule sozialer Rechte (ESSR) geeinigt und diese am Sozialgipfel in Göteborg feierlich proklamiert. Durch die ESSR konnten einige wichtige sozialpolitische Projekte auf den Weg gebracht bzw. gestartet werden, etwa die Europäische Arbeitsbehörde, die Einführung des Sozialpolitischen Scoreboards im Rahmen des Europäischen Semesters oder die Verhandlungen um EU-Mindestlöhne. Eine Trendumkehr, weg von der neoliberalen Ausgestaltung Europas, ist durch die ESSR bislang aber nicht gelungen.
Mit dem neuen Aktionsplan möchte die Kommission die „Grundsätze (der ESSR) in konkrete Maßnahmen umsetzen“, wie Sozialkommissar Nicolas Schmit betonte. Eine im Vorfeld des Aktionsplans veröffentlichte Eurobarometer-Umfrage spiegelt auch die Forderung der europäischen Bevölkerung wider, Europa sozialer zu gestalten: 88 % der Befragten hielten ein soziales Europa für sie selbst persönlich wichtig. Allerdings war die ESSR nur 29 % der Befragten ein Begriff. In der Lebensrealität der Menschen scheint die ESSR somit großteils noch nicht angekommen zu sein.
Neue Kernziele (teils) zu wenig ambitioniert
Mit dem Aktionsplan hat die Kommission drei Kernziele für die EU formuliert, die bis 2030 erreicht werden sollen: (1) Mindestens 78 % der 20- bis 64-Jährigen sollten einer Beschäftigung nachgehen; (2) mindestens 60 % aller Erwachsenen sollten jedes Jahr an Fortbildungen teilnehmen und (3) die Zahl, der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen, sollte um mindestens 15 Millionen verringert werden. Bereits das EU-2020-Beschäftigungsziel hatte eine Erwerbstätigenquote von 75% vorgesehen – und dieses Ziel wurde nicht erreicht. Insbesondere dem Kernziel „Armutsreduktion“ fehlt es an Ambition und es fällt auch hinter dem UN-Armutsziel zurück.
Das sozialpolitische Scoreboard des Europäischen Semesters soll überarbeitet werden, indem weitere Indikatoren ergänzt werden. Die ESSR soll damit stärker mit 10 der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen in Einklang gebracht werden. Angesprochen sind auch die 673,5 Mrd. Euro im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF) und ihre Bedeutung für einen sozialen Aufschwung. Es bleibt hier jedoch bei lediglich einem Aufruf an die Mitgliedstaaten, eine engere Bindung der RRF an die Ziele der ESSR ist im Aktionsplan nicht vorgesehen.
Bekannte Legislativvorschläge, viel Soft Law und einige Lücken
Mit dem Aktionsplan hat die Kommission auch noch einmal die wichtigsten (Legislativ)Vorhaben für 2021 und darüber hinaus zusammengefasst – großteils Initiativen, die bereits im Vorfeld angekündigt und daher bekannt waren. An Gesetzessvorschlägen wird 2021 noch der Vorschlag zur nachhaltigen Unternehmensführung („Lieferkettengesetz“), zu den Arbeitsbedingungen der PlattformarbeitnehmerInnen sowie zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen erwartet. Dies sind alle drei sehr wichtige Initiativen und daher zu begrüßen. Ebenfalls noch 2021 soll ein neuer Strategischer Rahmen für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz , eine Plattform zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit und eine Initiative für bezahlbaren Wohnraum sowie ein Aktionsplan für die Sozialwirtschaft präsentiert werden. Diese Woche (24.3.2021) präsentiert wurde eine Kinderrechte-Strategie und Empfehlung für eine Kindergarantie. Darüber hinaus finden sich im Aktionsplan zahlreiche Soft Law-Initiativen und Ermutigungen der Kommission an die Mitgliedstaaten– ob Ermutigungen und Aufforderungen ausreichend sein werden, um die ambitionierten Ziele für ein soziales Europa umzusetzen, ist wohl aber fraglich.
Für 2022 kündigt die Kommission weiters eine Empfehlung zu Mindesteinkommen an und greift damit ein wichtiges Thema auf. Nur ist ein Soft Law-Ansatz auch hier verfehlt und enttäuschend, auch Sozialkommissar Schmit hatte hier in Vergangenheit bereits einen Richtlinienvorschlag angekündigt . Ebenfalls in der Liste der Vorhaben fehlt ein Richtlinienvorschlag für Mindeststandards für die Arbeitslosenversicherung, wie ihn die Arbeiterkammer gemeinsam mit ÖGB und DGB seit langem fordert. Positiv ist, dass sich die Kommission im Aktionsplan auch mit dem Thema des Zugangs zu Gesundheitsdienstleistungen und den Arbeitsbedingungen in diesem Bereich befasst. Auch für die 2022 angekündigte Initiative zur Langzeitpflege gibt es von der AK bereits konkrete Vorschläge für einen europäischen Rechtsakt. Ein interessantes Projekt könnte auch die angekündigte hochrangige ExpertInnengruppe werden, die sich mit der Zukunft des Wohlfahrtsstaates und seiner Finanzierung befassen soll.
Lohntransparenz, Menschen mit Behinderung und Beschäftigungsförderung
Gemeinsam mit dem neuen Aktionsplan zur ESSR hat die Kommission auch drei weitere konkrete Initiativen vorgestellt. Gleichstellungskommissarin Helena Dalli legte zum einen jenen – im Vorfeld mehrmals verschobenen und daher überfälligen – Vorschlag für eine Richtlinie zur Lohntransparenz vor. Zum anderen präsentierte die Kommissarin eine neue EU-Strategie für Menschen mit Behinderung. Weiters möchte die Kommission durch eine Empfehlung zu einer wirksamen aktiven Beschäftigungsförderung (EASE) nach der Coronakrise die Mitgliedstaaten dazu anhalten, Arbeitsmarktinitiativen zu setzen, um in der aktuellen Situation Arbeitsplätze zu schützen und zu verhindern, dass auch dieser Krise mit Austerität begegnet wird.
Sozialgipfel in Porto und Zukunft Europas
Der nächste wichtige Schritt für den Aktionsplan zur ESSR ist der Sozialgipfel in Porto am 7. und 8. Mai 2021: Hier braucht es eine ambitionierte Erklärung, mit welcher der Aktionsplan angenommen wird sowie ein starkes Bekenntnis aller Institutionen zur Umsetzung des Aktionsplans. Wichtig wird es in der Folge sein, die sozialen Ziele auch im Rahmen der am 9. Mai 2021 startenden Konferenz zur Zukunft Europas an vorderste Stelle mitzudenken.
Weiterführende Informationen:
Kommission: Mitteilung Aktionsplan ESSR
Kommission: Presseaussendung Aktionsplan ESSR