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ZurückVon 6.-9. Juni 2024 wählen die EU-Bürger:innen ein neues EU-Parlament. In der vergangenen EU-Legislaturperiode von 2019 bis 2024 wurden einige wichtige sozialpolitische Erfolge erzielt. Zeit für einen Rückblick.
Die letzten fünf Jahre waren von multiplen Krisen geprägt. Die Coronapandemie, die zunehmende Verschärfung der Klimakrise und ihrer sozialen Folgen, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sowie die Teuerung und steigende Energiepreise stellten die europäische Politik vor Herausforderungen. Aber auch abseits der Krisenbewältigung war die EU gefordert, auf gesellschaftliche Veränderungen, wie beispielsweise die Digitalisierung der Arbeitswelt, Antworten zu geben.
Erfolge für Arbeitnehmer:innen
Die 2017 feierlich verkündete Europäische Säule sozialer Rechte erwies sich in der vergangenen EU-Legislaturperiode als Motor für die EU-Sozialpolitik. Die Aktivitätenberichte des Sozial- und Beschäftigungsausschusses sowie des Ausschusses für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter des EU-Parlaments über den Zeitraum 2019-2024 bieten einen beeindruckenden Überblick über die verabschiedeten sozialpolitischen Rechtsakte.
Mit der 2022 beschlossenen EU-Mindestlohnrichtlinie werden EU-weit fairere Löhne und Kollektivvertragsverhandlungen gefördert und dadurch Lohnungleichheit und Erwerbsarmut bekämpft. Bereits vor dem Ende der Umsetzungsfrist sind positive Effekte festzustellen. Mit der 2023 verabschiedeten Lohntransparenzrichtlinie wurde ein wichtiger Schritt gesetzt, um die Entgeltlücke zwischen Frau und Mann (Gender Pay Gap) zu schließen, indem Einkommensunterschiede sichtbarer und dadurch vergleichbarer gemacht werden.
Weiters wurden wichtige Regulierungen im Bereich Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz verabschiedet. Zum einen wurde der Schutz vor Asbest verbessert. Zum anderen wurden die Grenzwerte für die berufsbedingte Exposition gegenüber Blei überarbeitet und für Diisocyanate (hochgradig atemwegs- und hautsensibilisierende Chemikalien) erstmals eingeführt.
Am Ende der EU-Legislaturperiode konnte noch eine Einigung zur Richtlinie zur Plattformarbeit erzielt werden. Diese soll Beschäftigte auf Online-Plattformen, wie z.B. Fahrradbot:innen und Essenszusteller:innen, vor Scheinselbständigkeit schützen und enthält darüber hinaus Regeln zum algorithmischen Management. Ein Vorschlag zur Regulierung von künstlicher Intelligenz speziell für die Arbeitswelt fehlt bislang, die jüngst verabschiedete KI-Verordnung enthält aber einige wichtige Bestimmungen wie ein Verbot von Emotionserkennungssystemen am Arbeitsplatz.
Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte
Mit den genannten Rechtsakten wurden wichtige Schritte zur Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte gesetzt. In der Gleichstellungspolitik sind neben der bereits erwähnten Lohntransparenzrichtlinie auch die nach 10-jähriger Blockade Ende 2022 endlich verabschiedete Richtlinie zur Stärkung von Frauen in Aufsichtsräten, die EU-Ratifizierung der Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen (Istanbul-Konvention) und die in der letzten Plenartagung des EU-Parlaments im April 2024 verabschiedete Gewaltschutzrichtlinie als Erfolge zu erwähnen. Kürzlich hat die EU-Kommission außerdem noch weitere sozialpolitische Legislativvorschläge vorgelegt: die Überarbeitung der Richtlinie über Europäische Betriebsräte und einen Vorschlag für eine Praktikumsrichtlinie. Darüber hinaus beabsichtigt die EU-Kommission, neue Regeln zur Telearbeit und zum Recht auf Abschalten vorzulegen; sie hat dazu Ende April 2024 eine Sozialpartner-Konsultation eingeleitet.
EU-Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen weltweit
In der letzten EU-Legislaturperiode wurden zwei Rechtsakte verabschiedet, die einen Beitrag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen weltweit leisten sollen: Das lang umkämpfte EU-Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen dazu, Menschenrechte, Arbeitsrechte und Umweltauswirkungen entlang globaler Lieferketten zu achten. Darüber hinaus wird mit der Zwangsarbeitsverordnung die Ein- und Ausfuhr sowie das Inverkehrbringen von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem EU-Markt verboten.
Resümee und Ausblick
In den vergangenen fünf Jahren wurden wichtige Impulse zur Weiterentwicklung des sozialen Europas gesetzt. Soziale Ungleichheit und Armut in der EU bleiben aber weiterhin große Probleme und haben aufgrund der eingangs erwähnten Krisen sogar zugenommen. 2019 waren in der EU rund 91 Millionen Menschen von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Bis 2030 soll die Zahl laut dem Aktionsplan zur Europäischen Säule sozialer Rechte um 15 Millionen reduziert werden. Im Jahr 2022 waren jedoch mehr als 95 Millionen Menschen in der EU armuts- oder ausgrenzungsgefährdet – mehr als jede:r Fünfte! Die bevorstehende EU-Wahl ist für das Fortbestehen des sozialen Paradigmenwechsels in Europa und für weitere Schritte in Richtung eines sozial gerechten, demokratischen und nachhaltigen Europas entscheidend. AK und der ÖGB machen mit der Initiative „Stimme für Demokratie“ darauf aufmerksam.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Benchmarking Working Europe 2024. Auf der Suche nach dem Sozialen Europa.
EGI: Benchmarking Working Europe Bericht 2024 (Nur Englisch)
AK EUROPA Publikation: Die Soziale Säule und die Zukunft der sozialpolitischen Agenda der EU
AK EUROPA: Die Europäische Säule Sozialer Rechte in die Praxis umsetzen
EGB: Ein fairer Deal für Arbeitnehmer:innen. Manifest für die Wahlen zum Europäischen Parlament 2024
AK EUROPA: Erklärung von La Hulpe. Bekenntnis zum sozialen Europa – ohne Österreich
EMPL-Ausschuss: Activity Report 2019-2024 (Nur Englisch)
FEMM-Ausschuss: Activity Report 2019-2024 (Nur Englisch)
ÖGfE Policy Brief: Impulse des Europäischen Parlaments für eine sozial gerechtere Europäische Union