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ZurückDer Benchmarking Working Europe Bericht 2024 blickt angesichts der bevorstehenden Wahlen zum EU-Parlament auf den Status Quo des Sozialen Europas. Wichtige Errungenschaften der zu Ende gehenden EU-Legislaturperiode werden gewürdigt, aber auch Defizite festgestellt. Der Bericht weist darüber hinaus auf die notwendigen politischen Schritte in der kommenden EU-Legislaturperiode hin, um das Fortbestehen des sozialen Paradigmenwechsels zu sichern.
Am 21. März 2024 wurde in Brüssel der vom Europäischen Gewerkschaftsinstitut (EGI) und dem Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) herausgegebene Bericht Benchmarking Working Europe 2024 im Rahmen einer gemeinsamen Veranstaltung mit AK EUROPA und dem ÖGB Europabüro präsentiert. Der seit 2001 erscheinende Bericht nimmt jährlich eine Bestandsaufnahme der europäischen Wirtschaft, des Arbeitsmarktes und des sozialen Europas vor.
In den letzten fünf Jahren wurden bedeutende Schritte für ein soziales Europa gesetzt, wie z.B. die Mindestlohnrichtlinie, die Richtlinie zur Plattformarbeit oder das EU-Lieferkettengesetz. Angesichts multipler Krisen, drohender Sparmaßnahmen und eines befürchteten Rechtsrucks in Europa sei es eine Herausforderung, diese soziale Richtung beizubehalten, wie Bart Vanhercke, wissenschaftlicher Leiter des EGI, Judith Vorbach, Leiterin von AK EUROPA und David Hafner, Leiter des ÖGB Europabüros, zu Beginn der Veranstaltung betonten.
Makroökonomische Politik
Sotiria Theodoropoulou (EGI), Co-Autorin und Co-Herausgeberin des Berichts, beschrieb die makroökonomischen Implikationen und die veränderten politischen Prioritäten in der Reaktion auf die Krisen der letzten Jahre. Obwohl der Rückgang des realen BIP-Wachstums durch die Covid-19-Pandemie größer war als durch die Finanzkrise 2008/09, habe sich die EU dank der Konjunkturmaßnahmen schneller von der Pandemie erholt. Danach habe sich die soziale Lage aber aufgrund der Inflation, die im Oktober 2022 ihren Höhepunkt erreichte, erneut verschärft. Theodoropoulou ging auch auf die geplante Neugestaltung der wirtschaftspolitischen Steuerung der EU ein. Im Vergleich zu den alten Regeln gäbe es zwar einige Verbesserungen, im Großen und Ganzen seien die Regelungen aufgrund der Gefahr von Kürzungen im Sozialbereich aber enttäuschend. Den Rahmen für soziale Konvergenz im Europäischen Semester bewertete sie hingegen positiv.
Qualitativ hochwertige Arbeitsplätze
Im Zuge der grünen und digitalen Transformation müsse auf die Qualität der Arbeitsplätze geachtet werden, betonte Agnieszka Piasna (EGI), ebenso Co-Autorin und Co-Herausgeberin des Berichts. Grüne und digitale Jobs würden nicht immer zu besseren Arbeitsbedingungen führen. Generell würden arbeitende Menschen unter erhöhtem Druck stehen, und auch Weiterbildungen könnten mit negativen gesundheitlichen Folgen einhergehen. Die Politik und die Arbeitgeber:innen seien zum Handeln aufgerufen; Arbeitnehmer:innen dürfen nicht allein für ihre Gesundheit und die Sicherheit am Arbeitsplatz verantwortlich gemacht werden.
Ein öko-soziales Europa, das niemanden zurücklässt
Agnieszka Piasna und Co-Autor Wouter Zwysen (EGI) berichteten über Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern sowie jüngeren und älteren Arbeitnehmer:innen, aber auch über regionale und sektorale Divergenzen am Arbeitsmarkt. So seien vor allem in Südeuropa Arbeitsplätze in der Industrie und in der Landwirtschaft verloren gegangen, in der datengetriebenen Wirtschaft hingegen viele Arbeitsplätze entstanden. Für ein öko-soziales Europa, das niemanden zurücklässt, braucht es nach Co-Autor Bela Galgoczi (EGI) einen integrativen Ansatz, der soziale, ökologische und wirtschaftliche Maßnahmen vereint. Mit dem Auslaufen der Aufbau- und Resilienzfazilität drohe die Gefahr, dass Mittel für einen gerechten Übergang künftig fehlen oder mit Investitionen in die Rüstungsindustrie konkurrieren müssen.
Soziale Investitionen
Im Rahmen der Veranstaltung wurde mehrfach auf die aktuelle Debatte zu sozialen Investitionen und den sogenannten „Jumbo-Rat“ vom 12. März 2024 Bezug genommen. Erstmals seit 1998 trafen sich die Arbeits- und Sozialminister:innen der EU-Mitgliedstaaten gemeinsam mit den Wirtschafts- und Finanzminister:innen. Ausgaben in Bereichen wie Bildung, lebenslanges Lernen, Gleichstellung und Zugang zum Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung fördern letztlich auch den wirtschaftlichen Wohlstand. Da es bislang jedoch keine systematische Methode zur Messung der wirtschaftlichen Auswirkungen von sozialen Investitionen gibt, werden diese lediglich als Kosten verbucht. Ob sich daran künftig etwas ändern wird, ist derzeit Gegenstand von Diskussionen.
Politische Podiumsdiskussion
In der politischen Diskussion zum Bericht hob Stefan Olsson, stellvertretender Generaldirektor der Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Inklusion der EU-Kommission (DG EMPL) hervor, dass in der aktuellen Legislaturperiode mit dem Aktionsplan zur Europäischen Säule sozialer Rechte bedeutende Schritte gesetzt worden seien. Er verwies jedoch darauf, dass die EU noch weit vom Ziel entfernt sei, Armut nachhaltig zu bekämpfen.
Oliver Röpke, Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA), betonte, dass der EWSA in der vergangenen Legislaturperiode mit Sondierungsstellungnahmen einen konstruktiven Beitrag zu vielen wichtigen Legislativvorhaben geleistet habe.
Isabelle Schömann, stellvertretende Generalsekretärin des EGB, blickte zurück auf zwanzig Jahre EU-Erweiterung und hielt fest, dass es insbesondere in der letzten Legislaturperiode Fortschritte im Bereich des sozialen Europas gab. Die soziale Dimension müsse jedoch weiter vorangetrieben werden. Der EGB habe daher für die Wahlen zum EU-Parlament ein Manifest mit einer Vision für ein starkes soziales Europa verabschiedet.
Weiterführende Informationen:
EGI: Benchmarking Working Europe Bericht 2024 (Nur Englisch)
AK EUROPA: The ongoing quest for Social Europe. Launch of the ETUI/ETUC Benchmarking Working Europe 2024 report (Nur Englisch)
AK EUROPA: Benchmarking Working Europe 2023 – EU soll auf sozialen Übergang zur Bewältigung der multiplen Krisen setzen
AK EUROPA: Die Europäische Säule Sozialer Rechte in die Praxis umsetzen
AK EUROPA: Die neue wirtschaftspolitische Steuerung der EU fällt enttäuschend aus
AK EUROPA: Comprehensive social investment – The key to a feminist and progressive Europe!
(Nur Englisch)
EGB: Ein fairer Deal für Arbeitnehmer:innen. Manifest für die Wahlen zum Europäischen Parlament 2024