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ZurückDer EU-Ministerrat für Beschäftigung und Soziales hat am 11. März 2024 die Richtlinie zur Plattformarbeit angenommen. Zuvor waren zwei Anläufe zur Annahme gescheitert, obwohl im Dezember 2023 eigentlich bereits eine Einigung erzielt worden war. Mit der Richtlinie gibt es nun erstmals eine Handhabe, um gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse in der Plattformökonomie vorzugehen. Auch die Rolle von Gewerkschaften wird gestärkt.
Am 11. März 2024 konnte trotz der Enthaltung Deutschlands und der Gegenstimme Frankreichs die Richtlinie zur Plattformarbeit im Rat mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. Diese Einigung kann als historisch bezeichnet werden, denn nie zuvor konnte ein EU-Rechtsakt ohne die Zustimmung der beiden größten EU-Mitgliedsstaaten Deutschland und Frankreich durchgebracht werden. Da sich die 25 anderen EU-Mitgliedsstaaten einheitlich für die Richtlinie ausgesprochen haben, wurde die erforderliche qualifizierte Mehrheit möglich. Die Regelung soll Beschäftigte auf Online-Plattformen wie z.B. Fahrradbot:innen oder Essenszusteller:innen schützen und ihre Rechte stärken. Das Ziel ist es, Scheinselbständige in ein unselbständiges Arbeitsverhältnis überzuführen und somit mit allen Rechten und Pflichten eines unselbständig Beschäftigten auszustatten. Die EU-Kommission schätzt, dass über 5 Millionen der mehr als 40 Millionen Platformarbeiter:innen in der EU fälschlich als Scheinselbständige eingestuft sein könnten.
Ein Ende der Scheinselbständigkeit?
Der wichtigste Punkt der neuen Regelung ist die Beweislastumkehr. Liegt die Vermutung eines unselbständigen Beschäftigungsverhältnisses vor, so muss die Plattform beweisen, dass es sich nicht um ein solches handelt. Der/die Arbeitnehmer:in bzw. seine/ihre Vertreter:innen erfahren somit eine erhebliche Entlastung im Rechtsstreit. Wichtig ist auch, dass gegebenfalls alle Arbeitsverhältnisse untersucht werden müssen, sobald ein:e Arbeitnehmer:in neu klassifiziert wird. Die Kriterien, wann ein unselbständiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, sollen nun auf Mitgliedstaatenebene festgelegt werden. Sowohl die EU-Kommission als auch das EU-Parlament und die Gewerkschaften hätten einer einheitlichen EU-Regelung klar den Vorzug gegeben.
Neue Regeln für das algorithmische Management
Die wichtigste Regelung beim sogenannten algorithmischen Management ist, dass keine Kündigung ohne menschliche Prüfung erfolgen darf. Auch der Informationszugang für Arbeitnehmer:innen und insbesondere deren Vertreter:innen (z.B. AK oder Gewerkschaft) wird gesichert. Bei allen automatisierten Entscheidungen können Erklärungen angefragt werden. Die Rechte von Arbeitnehmer:innenvertretungen in Bezug auf Informationszugang bei Rechtsstreitigkeiten wurden ebenfalls bestätigt. Die umfangreiche Sicherstellung der Rechte von Interessenvertretungen wurde entgegen dem Willen Frankreichs bestätigt. Eine der Forderungen der AK war zudem, dass es eigene Kommunikationskanäle zwischen den Mitarbeiter:innen und Arbeitnehmer:innenvertretungen geben muss, die nicht von den Plattformen überwacht werden dürfen. Dieses Anliegen konnte durchgesetzt werden.
Diskussion und Ausblick für Österreich
Laut einer Studie können Plattformtechnologien durchaus zur Verbesserungen von Arbeitsbedingungen und zum lokalen Wirtschaftswachstum beitragen, zudem sind sie oftmals konsument:innenfreundlich. Es darf aber nicht dazu kommen, dass Errungenschaften wie Mindestlöhne, Sonderzahlungen, Krankenstand oder Urlaub umgangen werden. Die AK begrüßt daher die Annahme der Richtlinie. Es kommt nun aber wesentlich auf ihre Umsetzung auf nationaler Ebene an.
In Österreich stellen sich einige spezifische Fragen im Zusammenhang mit dem Status der freien Dienstnehmer:innen - eine dritte Kategorie zwischen Selbständigen und Arbeitnehmer:innen, die in vielen anderen EU-Mitgliedstaaten nicht existiert. Österreich hat zum Ratsbeschluss eine Protokollerklärung abgegeben, wonach der Status der freien Dienstnehmer:innen bestehen bleibt. AK und ÖGB fordern, alle Schlupflöcher, die eine Umgehung der Richtlinie möglich machen, zu schließen. Diese Diskussion wird wohl auf nationaler Ebene fortgeführt werden. ÖGB- und EGB-Präsident Wolfgang Katzian betont: „Die Intention der Richtlinie ist klar: Keine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zweiter Klasse mehr in der EU.“
Der zuständige Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten des EU-Parlaments hat die Richtlinie am 19. März 2024 bereits angenommen. Im April 2024 stimmt noch das Plenum des EU-Parlaments ab, bevor die Richtlinie in Kraft treten kann. Danach haben die Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit für die Umsetzung.
Weiterführende Informationen:
Rat: Plattformbeschäftigte: Rat bestätigt Einigung über neue Vorschriften zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen
ÖGB: Katzian: Keine Arbeitnehmer:innen zweiter Klasse mehr in der EU
EGB: Platform work: trade unions win for millions of workers (nur Englisch)
FEPS: The Platformisation of Work in Europe (nur Englisch)
AK EUROPA: Stopp der Scheinselbständigkeit. Arbeitsrechte müssen für alle Arbeitnehmer:innen gelten
AK EUROPA: Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit
AK EUROPA: Policy Brief: Platform Work