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ZurückAm Dienstag, den 7. Juni 2022, haben die EU-Gesetzgeber:innen eine Einigung bei den Verhandlungen zur Richtlinie „Frauen in Aufsichtsräten“ erzielt. Ab 2026 müssen börsennotierte Unternehmen mindestens 40 % Frauen in Aufsichtsräten oder alternativ einen Frauenanteil von 33 % im Durchschnitt für beide Leitungsgremien, sprich Aufsichtsrat und Vorstand, erreichen.
Nachdem Mitte März 2022 der Europäische Rat eine Allgemeine Ausrichtung beschlossen hat, haben sich letzte Woche die Verhandler:innen des EU-Parlaments, des Rates und der EU-Kommission auf eine – längst überfällige – Richtlinie zu „Frauen in Aufsichtsräten“ einigen können. Ursula von der Leyen freut sich über den gelungenen Deal, denn „es ist höchste Zeit, dass wir die gläserne Decke durchbrechen". Auch die Vize-Präsidentin des EU-Parlaments und selbst eine der beiden Verhandlungsführerinnen, Evelyn Regner, machte sich immer wieder für die – ein ganzes Jahrzehnt im Rat auf Eis liegende – Richtlinie stark: „Seit ich 2012 mit der Arbeit an dem Vorschlag begonnen habe, sind wir jedoch vorangekommen, und jetzt haben wir eine Richtlinie für Chancengleichheit, faire Auswahlverfahren und endlich mehr Frauen in der Entscheidungsfindung von Unternehmen!“
Ganz ohne Schlupfloch bleibt der Kompromiss hingegen nicht, denn klare Strafen lässt die Richtlinie vermissen. Vielmehr obliegt es den Mitgliedstaaten, „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende“ Sanktionen für Unternehmen bei Nichteinhaltung vorzusehen. Die Sanktionsliste führt Strafmöglichkeiten nur beispielhaft an: „Wir haben etwa vorgeschlagen, dass diese Firmen von Ausschreibungen ausgeschlossen werden oder Strafgeld zahlen müssen“, so die zweite Verhandlungsführerin des EU-Parlaments, Lara Wolters. Zudem wird der finale Kompromiss eine Ausnahmeklausel beinhalten, wonach jene Mitgliedstaaten ausgenommen sind, in denen ähnliche Maßnahmen bereits wirksam sind.
Kernstück der neuen Richtlinie ist ein transparentes Auswahlverfahren für die Besetzung der obersten Leitungsgremien in börsennotierten Unternehmen. Ziel ist, bei der Auswahl zwischen gleich qualifizierten Kandidat:innen dem unterrepräsentierten Geschlecht den Vorzug zu geben: „Die Auswahlverfahren müssen so objektiv sein, dass Frauen nicht dauernd von Old Boys Netzwerken übersehen werden“, so Regner. Denn aktuelle Zahlen vom European Institute for Gender Equality (EIGE) zeigen: Das anzustrebende Ziel von 40 % Frauen in Aufsichtsräten erfüllen gegenwärtig mit Frankreich, Belgien, Italien, Portugal und Schweden lediglich fünf Länder. Die Arbeiterkammer begrüßt daher die Einigung auf verpflichtende Ziele, denn „das Prinzip Freiwilligkeit ist längst gescheitert. Echten Fortschritt bringt nur die Quote“, so AK-Expertin Christina Wieser. Das zeigt auch der aktuelle Frauen.Management.Report vom Jänner 2022: Seit Implementierung der Geschlechterquote in Österreich im Jahr 2018 hat sich der Frauenanteil im Aufsichtsrat der börsennotierten Gesellschaften von 22,4 % auf aktuell 35,1 % erhöht. Aufholbedarf besteht insbesondere in der Unternehmensführung, kritisiert AK-Präsidentin Renate Anderl: „Im Vergleich zu den Aufsichtsräten müssen Frauen im Management noch immer mit der Lupe gesucht werden.“
Dass Frauen in den Kontrollgremien häufiger vertreten sind als in den Entscheidungsgremien, ist kein rein österreichisches Phänomen: Im EU-Durchschnitt beträgt dieser per Juni 2022 20,6 %. Der Aufholbedarf ist also groß. Frankreich ist mit gutem Beispiel vorangegangen und hat 2021 eine Quote für das Management, sprich für exekutive Direktoren und Seniormanager:innen in Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeiter:innen implementiert. Bis 2027 ist eine Zielquote von 30 % Frauen vorgegeben und schließlich 40 % bis 2030.
Aus Sicht der Arbeiterkammer sollte – dem Beispiel Frankreich folgend – auch auf europäischer Ebene neben einer Aufsichtsratsquote von 40 % zusätzlich eine gesonderte Geschlechterquote von mindestens 33 % für Vorstände börsennotierter Unternehmen eingeführt werden. Um diesen dringend erforderlichen gleichstellungspolitischen Maßnahmen den notwendigen Biss zu verleihen, sollten direkt in der Richtlinie Sanktionen bei Nichteinhaltung festgelegt werden, die verpflichtend zur Anwendung kommen müssen. Die Arbeiterkammer fordert, dass Österreich über die Richtlinie hinaus die notwendige Weiterentwicklung des rechtlichen Rahmens vorantreibt, zB braucht es weitere Neuerungen wie gesetzlichen Anspruch auf Mandatspause bei Mutterschutz und Eltern- oder Pflegekarenz, um Frauenkarrieren bis in den Vorstand zu ermöglichen.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: EU-Richtlinie zu Frauen in Aufsichtsräten – Wird die Blockade endlich gebrochen?
AK Wien: Frauen.Management.Report.2022 - Die Quote Bringt‘s