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ZurückSpanien hat für das kommende Halbjahr die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Unter dem Motto „Europe, closer“ legt Spanien ein Programm vor, in dem versucht wird, engagierte europäische Lösungen für gemeinsame Probleme zu finden. Vor den nahenden Wahlen zum EU-Parlament hat Spanien somit die letzte volle EU-Ratspräsidentschaft in dieser Legislaturperiode inne. Das ist eine strategisch wichtige Phase, um Rechtsakte, die derzeit noch verhandelt werden, abzuschließen.
In ihrem Präsidentschaftsprogramm setzt die spanische Präsidentschaft vier Prioritäten: (1) die Reindustrialisierung der EU und Gewährleistung ihrer offenen strategischen Autonomie, (2) Fortschritte beim grünen Übergang, (3) mehr soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit sowie (4) die Stärkung der europäischen Einheit.
Reindustrialisierung und Grüner Übergang
Im Rahmen des Schwerpunkts der Reindustrialisierung (Priorität 1) nennt das Programm Anreize zur Förderung technologischer Entwicklung und Innovation sowie die Verringerung von Abhängigkeiten und die Schaffung von Versorgungssicherheit insbesondere in den Bereichen Lebensmittel, Energie und Gesundheit. Als – aus spanischer Sicht – wichtige Projekte werden die EU-Abkommen mit Lateinamerika und Karibik und eine Vertiefung des Binnenmarktes auch im Sinne eines nachhaltigen und integrativen Wachstums angegeben. Im Rahmen der Digitalisierung strebt man eine Überwindung der digitalen Kluft und die Gewährleistung der digitalen Privatsphäre für alle Menschen an. Im Bereich der Fortschritte beim grünen Übergang (Priorität 2) setzt sich Spanien das Ziel, den Klimawandel und seine Auswirkungen zu bekämpfen, und dabei auf die Probleme der sozialen Ausgrenzung und Energiearmut achten. Weitere Ziele sind der weitgehende Abschluss der Verhandlungen zum Klimapaket „Fit-for-55“ und der Strommarktreform.
Soziale Gerechtigkeit und europäische Einheit
Positiv hervorzuheben ist, dass das Präsidentschaftsprogramm auch die soziale Dimension umfangreich behandelt. Unter der Priorität der Schaffung von mehr sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit (Priorität 3), nennt Spanien folgende Punkte: Förderung der Sozialwirtschaft, Recht auf menschenwürdige Arbeit, auch in neuen Wirtschaftssektoren, Stärkung des Wohlfahrtsstaates, Förderung von Gleichbehandlung und Inklusion sowie Fortschritte im Rahmen des Aktionsplans zur Europäischen Säule sozialer Rechte. Hingewiesen wird auch auf die Economic Governance-Reform, die den Mitgliedstaaten die Finanzierung öffentlicher Politiken und Dienstleistungen ermöglichen soll. Dieses Ziel ist ebenso zu begrüßen, wie das Bestreben der Gewährleistung von Steuergerechtigkeit in der EU. Einen Schwerpunkt legt die spanische Präsidentschaft außerdem auf das Eintreten für gerechten Frieden und die Einigkeit der Mitgliedstaaten bei der Unterstützung der Ukraine (Priorität 4). Als wesentliches Projekt wird schließlich der Abschluss des EU-Migrationspaktes genannt, wo man eine humane, mitfühlende und wirksame Vorgangsweise finden möchte.
Wichtige Themen aus AK-Sicht: Soziales Europa, wirtschaftspolitische Steuerung & Fairer Übergang
Wie auch im Kommissionsprogramm vorgesehen wird unter spanischer Präsidentschaft an wichtigen Legislativdossiers im Sozialbereich weitergearbeitet. Bei der Plattformarbeit und bei krebserregenden Arbeitsstoffen (Blei und gefährliche Chemikalien) möchte die Präsidentschaft eine Einigung der Institutionen im Trilog schaffen. Auch drei neue Vorschläge für Rechtsakte zu Telearbeit und dem Recht auf Abschalten, einem EU-Behindertenausweis sowie zur Überarbeitung der Richtlinie über Europäische Betriebsräte dürften im Herbst 2023 erfolgen. Eigene Schwerpunkte möchte Spanien mit Ratsschlussfolgerungen zur Demokratie am Arbeitsplatz und grünen Kollektivverhandlungen, mentaler Gesundheit und Digitalisierung in der Sozialversicherung setzen. Ein großer Schritt wäre es, wenn auch zum EU-Lieferkettengesetz eine Einigung bis zum Jahresende 2023 gelingt und die Verhandlungen zu Produkten aus Zwangsarbeit – anders als zuvor unter schwedischem Vorsitz – rasch voranschreiten.
Ein Mammutprojekt wird die Überarbeitung des wirtschaftspolitischen Steuerungsrahmens sein. Gerade im Bereich der EU-Fiskalregeln liegen die Mitgliedstaaten noch weit auseinander. Am Plan ist außerdem die Halbzeitrevision des mehrjährigen Finanzrahmens, und auch beim Thema neue Eigenmittel sollen Fortschritte erzielt werden. Die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion soll durch die Arbeiten am digitalen Euro, an einem nachhaltigen Finanzwesen, der Bekämpfung von Geldwäsche und weiteren Finanzmarktdossiers gelingen, während auch die Regeln für öffentliche Beihilfen überarbeitet werden. Strategische Autonomie soll mit Hilfe einer entsprechenden Industriepolitik und dem Notfallinstrument für den Binnenmarkt (Single Market Emergency Instrument, SMEI) erzielt werden. Ein Fokus liegt schließlich in der Handelspolitik, wo man die Lieferketten ausweiten und weitere Handelsabkommen vorantreiben möchte.
Die AK wird sich damit und auch mit der weiteren Entwicklung der Verhandlungen zur Strommarktreform, zum Critical Raw Materials Act, zur Neuen Gentechnik, zum Null-Schadstoffpaket (kommunale Abwasser, Luftqualität) sowie mit sämtlichen Dossiers zur Stärkung der Verbraucher:innen im grünen Wandel bzw. in der Kreislaufwirtschaft intensiv beschäftigen und sich aktiv in die Diskussion einmischen. Politisch interessant wird auch, wie sich die Debatte zur Wiederherstellung der Natur entwickelt. Beim jüngst vorgelegten Paket zur Ökologisierung des Güterverkehrs soll zumindest zu einem der Dossiers eine Allgemeine Ausrichtung erreicht werden. Daneben wird die Vorlage des horizontalen Vorschlags zu Passagierrechten seitens der EK erwartet. Im nicht-legislativen Bereich plant der spanische Vorsitz u.a. Schlussfolgerungen zur Positionierung für die COP-28 in Dubai.
Weiterführende Informationen:
Programm der spanischen EU-Präsidentschaft
AK EUROPA: Schweden übernimmt die Ratspräsidentschaft: Was wird uns erwarten?
AK EUROPA: Prioritäten der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft
AK EUROPA: Frankreich übernimmt die Ratspräsidentschaft für das erste Halbjahr 2022