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ZurückNachdem die EU-Kommission am 19. September 2022 einen Vorschlag für ein Notfallinstrument für den Binnenmarkt vorgestellt hat, zeigten sich Gewerkschaften und AK in den unmittelbaren Reaktionen besorgt über die potenzielle Aufweichung von arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen durch das Vorhaben. Insbesondere die Gefährdung des Streikrechts wurde dabei wiederholt negativ hervorgehoben. Eine genauere Analyse der AK unterstreicht nun diese Kritik und beinhaltet gleichzeitig gezielte Forderungen an die europäischen Entscheidungsträger:innen.
Grundlegende Idee des Notfallinstruments für den Binnenmarkt ist die Sicherung des freien Waren-, Dienstleistungs- und Personenverkehrs sowie die Sicherstellung der Verfügbarkeit von essenziellen Waren und Dienstleistungen im Falle zukünftiger Notfälle. Die multiplen Krisen der vergangenen Jahre haben die Nachteile der bisher verfolgten angebots- und wirtschaftsorientierten Binnenmarktphilosophie aufgezeigt. Dementsprechend sind Änderungsvorschläge der derzeitigen Binnenmarktpolitik prinzipiell zu begrüßen, unter anderem auch die Implementierung eines Notfallinstruments für den Binnenmarkt zur Sicherstellung der Versorgung, von Arbeitsplätzen und Wertschöpfungsketten. Doch bereits die ersten Reaktionen im Anschluss an die Präsentation der EU-Kommission haben gezeigt, dass der Vorschlag in vielen Bereichen nicht ausgereift ist.
Beginn der Verhandlungen im EU-Parlament
Als federführender Ausschuss im EU-Parlament nominierte der Binnenmarktausschuss (IMCO) am 16.12.2022 mit Andreas Schwab (EVP) den Berichterstatter für das Dossier. Bereits im November 2022 hatte auch der Beschäftigungs- und Sozialausschuss (EMPL) mit Marc Angel (S&D) einen Berichterstatter nominiert und sich damit früh für eine aktive Teilnahme an den Verhandlungen in Stellung gebracht, welche in den kommenden Wochen und Monaten stattfinden werden.
Als bisher einziger Ausschuss äußerte sich bereits Mitte Dezember der Budgetausschuss (BUDG) offiziell zu dem Notfallinstrument. In der Stellungnahme wird besonders auf das ungewisse Ausmaß des finanziellen Bedarfs eines solchen Instruments hingewiesen. Der Vorschlag der EU-Kommission beinhaltet lediglich eine Aufschlüsselung der Kosten für Maßnahmen für den Zeitraum, in dem noch keine Krise eingetreten ist. Welche Kosten jedoch im Rahmen der Aktivierung des Überwachungs- oder des Notfallmodus auftreten werden und ob diese finanziellen Mittel durch bestehende budgetäre Spielräume bereitgestellt werden können, bleibt unklar.
Position der AK bleibt unverändert
Was bereits in den ersten Stellungnahmen von Gewerkschaften und AK nach der Präsentation des Vorschlags der EU-Kommission kritisiert wurde, hat auch nach einer genaueren Analyse der AK Bestand. Der Verordnungsentwurf enthält unter anderem die Aufhebung der Verordnung über das Funktionieren des Binnenmarkts im Zusammenhang mit dem freien Warenverkehr. Diese enthält in Artikel 2 eine explizite Regelung, wonach die Auslegung dieser Verordnung in keiner Weise die Ausübung der in den Mitgliedstaaten anerkannten Grundrechte, einschließlich des Rechts oder der Freiheit zum Streik, beeinträchtigen darf. Durch den Wegfall dieser Bestimmung wäre das Streikrecht somit nicht mehr ausdrücklich abgesichert. Aus diesem Grund fordert die AK die Aufnahme eines expliziten Artikels in den Rechtstext der Verordnung, welcher neben dem Recht zum Streik auch andere arbeits- und sozialrechtliche Bestimmungen gewährleisten und damit eine Einschränkung durch Notfallmaßnahmen verhindern soll.
Auch die vorgesehene Art der Erlassung von Maßnahmen in der Überwachungs- und Notfallphase durch sogenannte Durchführungsakte der EU-Kommission ist aus Sicht der AK sehr kritisch zu beurteilen. Aufgrund der durchaus zu erwartenden gravierenden Auswirkungen dieser Maßnahmen hat aus demokratiepolitischer Perspektive auch eine Einbindung des EU-Parlaments und des Rates der EU zu geschehen.
Schließlich fordert die AK eine Aufwertung der Rolle der Sozialpartner während des gesamten Entscheidungsfindungsprozesses. Anstatt eines reinen Status als Beobachter:innen, ist den Sozialpartnern im Rahmen der Beratungsgruppe aus Vertreter:innen der Mitgliedstaaten und der EU-Kommission bei allen wichtigen Entscheidungen ein Stimmrecht zu gewähren, da gerade sie im Mittelpunkt des Geschehens am Binnenmarkt stehen.
Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) nahm im Rahmen der Sitzungen des Exekutivausschusses von 27.-28. Oktober 2022 ebenfalls eine umfassende offizielle Position zur Einführung des Notfallinstruments an. Dabei wurde gleichlautend betont, dass ein Streik unter keinen Umständen als potenzielle Krise eingeordnet werden dürfe, um eine Aushöhlung dieses fundamentalen Rechts zu verhindern. Darüber hinaus fordert auch der EGB die aktive Einbindung der Sozialpartner im Zuge der Verhängung von Maßnahmen zur Sicherung des Binnenmarktes.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA Positionspapier: Notfallinstrument für den Binnenmarkt
AK EUROPA: Binnenmarkt-Notfallinstrument – Streikrecht darf nicht gefährdet werden
Europäischer Gewerkschaftsbund: Safeguarding the Right to Strike against Emergency Measures in the Single Market (nur Englisch)