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Zurück2023 könnte als „heißes Handelsjahr“ für die EU bezeichnet werden. Durch Pandemie, Krieg und Klimakrise ausgelöste Rufe nach Diversifizierung und Widerstandsfähigkeit der europäischen Wirtschaft werden immer lauter, weswegen man sich nach alternativen Handelspartnern umsieht. Vor allem Südamerika ist nicht nur als Exportmarkt, sondern auch aus einem Importblickwinkel für Europa interessant, da dort neben kritischen Rohstoffen auch Potentiale für den Ausbau erneuerbarer Energien liegen. Die EU-Kommission erhofft sich, das EU-Mercosur Freihandelsabkommen bis Ende 2023 über die Bühne zu bringen – aber zu welchem Preis für Umwelt, Arbeitnehmer:innen und die indigene Bevölkerung?
Seit 1999 verhandelt die EU mit den vier Mercosur-Gründungsstaaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay über ein Handelsabkommen. Der Prozess war von Anfang an von Intransparenz geprägt und auch viel Kritik ausgesetzt, 2019 konnte eine politische Einigung zwischen den Vertragsparteien erreicht werden. Angesichts der verheerenden Folgen der Rodung des Regenwalds und der Missachtung der Umwelt unter dem damaligen Präsidenten Brasiliens, Jair Bolsonaro, kam der Ratifikationsprozess zum Stillstand. Seit dem Regierungswechsel in Brasilien und im Bestreben, angesichts der geopolitischen Spannungen neue Handelspartner zu finden wird erneut eine Finalisierung des Handelsabkommens angestrebt. Sowohl die aktuelle schwedische als auch die darauffolgende spanische Ratspräsidentschaft sind an Handelsbeziehungen mit Südamerika sehr interessiert.
Risiken des Handelsdeals für Menschen und Umwelt
Mit einer Bevölkerung von 260 Millionen Menschen und einer jährlichen Wirtschaftsleistung von mehr als 2 Billionen Euro gilt der Mercosur als fünftgrößter Wirtschaftsraum der Welt. Vor allem die Aussicht auf ein gesteigertes EU-Exportvolumen in den Bereichen Maschinen, Kraftfahrzeuge, Chemikalien und Arzneimittel durch verringerte Zollabgaben befördert das Interesse am Abschluss des Vertrags. Eine AK Studie zeigt jedoch auf, dass die ökonomischen Vorteile des Handelsdeals vernachlässigbar sind, die Gefahren für Menschen und Umwelt dagegen beträchtlich. Der Fokus muss daher auf die mit dem Handel einhergehenden ökologischen und sozialen Risiken gerichtet werden. Exporte des Mercosur in die EU sind neben Agrar- und Lebensmittelprodukten kritische Rohstoffe. Diese Branchen stehen in direktem Zusammenhang mit Entwaldung, Beförderung des Klimawandels und Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen. Weitere Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen, Lohn- und Sozialdumping und massive Umweltschäden in diversen Bereichen stehen nicht im Einklang mit den deklarierten Nachhaltigkeitsbestrebungen der EU.
Zusatzinstrument wiederholt lediglich Absichtserklärungen
Der Amtsantritt von Luiz Inácio Lula da Silva als brasilianischer Präsident im Jänner 2023 wird von manchen als neue Chance für das Abkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten gesehen: Bedenken über die negativen Auswirkungen des Abkommens sollen durch ein von EU-Seite entworfenes Zusatzinstrument aus dem Weg geräumt werden. Über dieses wird aktuell zwischen beiden Vertragsseiten unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt. Allerdings wurde der der geheime Entwurf geleakt. Aus diesem geht hervor, dass im Zusatzinstrument lediglich die bereits im Abkommen selbst verankerten, nicht durchsetzungsfähigen Absichtserklärungen einmal mehr wiederholt werden. Wenn Arbeitnehmer:innen ausgebeutet oder Umwelt zerstört wird, braucht es aber Sanktionsmöglichkeiten.
Darüber hinaus überlegt die EU-Kommission, das Assoziierungsabkommen zu zerteilen, um den handelspolitischen Teil ohne Mitsprache der nationalen Parlamente ratifizieren zu können. Aus Sicht der AK untergräbt dies demokratische Teilhaberechte und wurde jüngst auch in einem von Greenpeace beauftragten Gutachten als Verletzung der Rechte der einzelnen EU-Mitgliedstaaten eingeordnet.
Abschluss der Verhandlungen noch heuer?
Am 17. und 18. Juli findet ein EU-Lateinamerika Gipfel (EU-CELAC Summit) statt, bei dem weitere Schritte in Richtung Abschluss des Vertrags gesetzt werden sollen. Auch auf ihrer jüngsten Lateinamerika Reise unterstrich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das Bestreben der EU-Kommission, das EU-Mercosur Abkommen bis spätestens Ende dieses Jahres fertig zu stellen. Aber auch über Mercosur hinaus ist die EU an engeren Beziehungen mit Südamerika interessiert. In einer jüngst vorgestellten Strategie der Kommission wird eine Vertiefung der Beziehungen in Aussicht gestellt. Aus Sicht der AK sind diese zu unterstützen, allerdings braucht es dafür eine Neuausrichtung der EU-Handelspolitik und nicht klimaschädliche und sozial-unverträgliche Handelsabkommen.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Handelspolitische Aussichten für 2023
AK EUROPA: EU-Mercosur-Abkommen: Splitting als Gefahr für die demokratische Mitbestimmung
AK EUROPA: Hält das EU-Mercosur Abkommen, was es verspricht?
EU-Kommission: The EU-Mercosur agreement explained (Nur Englisch)
EU-Kommission: EU-Mercosur (Nur Englisch)