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ZurückAm 26. April legte die EU-Kommission ihren Vorschlag zur „Reform für eine zukunftsfähige wirtschaftspolitische Steuerung“ vor. Dabei versucht man einen Spagat zwischen gemeinsamen Regeln und der Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten, sowie zwischen Schuldenabbau und der Förderung notwendiger Investitionen. Ob das gelingt, ist fraglich: Einerseits birgt der Vorschlag selbst ein Risiko für unzureichende Spielräume, andererseits droht eine weitere Verschärfung im Rat.
Im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts sind die EU Mitgliedstaaten seit über 20 Jahren dazu angehalten, die damalige durchschnittliche Staatsschuldenquote von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) wieder zu erreichen und dafür ihr Defizit nicht über 3 Prozent des BIP steigen zu lassen. Die vorwiegend regelbasierte Fiskalpolitik hält jedoch der Realität immer weniger Stand, zum einen, weil mit jeder schweren Krise die Staatsschuldenquote unvermeidlich ansteigt, zum anderen, weil die Antworten auf die Klimakrise sehr viel mehr öffentliche Investitionen erfordern. Will man vor allem in wirtschaftlich schlechten Zeiten an diesen Regeln festhalten, gehen sie schnell zu Lasten anderer sozialer, wirtschaftlicher oder umweltpolitischer Ziele.
Mit Aktivierung der allgemeinen Ausweichklausel kurz nach Ausbruch der Covid-19-Krise wurde von der strikten Bindung an die Haushaltsregeln abgegangen und den Staaten endlich der notwendige Spielraum eingeräumt, um einem Konjunktureinbruch gegenzusteuern. Bis heute bleiben jedoch dringend benötigte Investitionen weit hinter dem zurück, was nötig wäre, um den grünen Wandel zu stemmen. Und es ist vorgesehen, dass die Fiskalregeln ab Anfang 2024 wieder greifen. Damit nicht das alte Regelwerk erneut zum Einsatz kommt, ist deren Modernisierung höchst an der Zeit.
Überfällige Überarbeitung der EU Budgetpolitik
Nachdem die geplante Überprüfung der wirtschaftspolitischen Steuerung – und damit vor allem auch der Haushaltspolitik - aufgrund der Coronakrise von Anfang 2020 auf 2022 verschoben wurde, wurde Ende April endlich der EU-Kommissionsvorschlag für eine zukunftsfähige wirtschaftspolitische Steuerung vorgelegt. Vorweg: Die altbekannten Defizit- und Schuldengrenzen bleiben zwar aufrecht, allerdings soll es bei Abweichungen – abhängig von der Tragfähigkeit der öffentlichen Verschuldung mehr Spielraum bei der Korrektur geben. Zurecht wird dabei davon ausgegangen, dass ein One-Size-Fits-All-Ansatz aufgrund unterschiedlicher Ausgangslagen der Mitgliedstaaten nicht sinnvoll ist. In diesem Sinn sind eingehende länderspezifischen Analysen bei der Bewertung durch die Kommission vorgesehen.
Kern des Vorschlages sind nationale Pläne auf Basis der EU-Vorschriften, in denen Mitgliedstaaten ihre finanzpolitischen Anpassungspfade vorlegen, formuliert als in der Regel vierjährige Ausgabenziele. So soll die „nationale Eigenverantwortung“ erhöht werden. Die Pläne werden von der Kommission bewertet und müssen vom Rat gebilligt werden. Zur Überwachung und Durchsetzung sind jährliche Fortschrittsberichte der Staaten vorgesehen. Zusätzlich zu den Haushaltszielen sollen die nationalen Pläne auch Reform- und Investitionsziele enthalten. Wenn sich die Staaten zu einer „Reihe von Reformen und Investitionen“ entlang bestimmter Kriterien verpflichten, so würden sie „von einem stärker abgestuften haushaltspolitischen Anpassungspfad“ profitieren. Darüber hinaus möchte die Kommission „striktere Regeln zur Durchsetzung“ der nationalen Pläne vorsehen, damit die Mitgliedstaaten ihre Zusagen einhalten.
Dreh- und Angelpunkt sind die konkreten Mindestvorgaben, die diese Pläne erfüllen müssen. Hier hält die Kommission an der bereits bisher gültigen Konsolidierungsverpflichtung von zumindest 0,5 % des BIP fest, allerdings nur mehr für Länder mit einem Defizit jenseits der 3 % des BIP. Beim Schuldenabbau wird die vielkritisierte „neue“ Abbauverpflichtung von zumindest 1/20 pro Jahr des die 60 % des BIP übersteigenden Teils durch die einfachere und realistischere Vorgabe ersetzt, dass die Staatsschuldenquote am Ende des Plans unter ihrem ursprünglichen Niveau liegen muss. Diese Lockerungen sind prinzipiell zu begrüßen, bergen allerdings die Gefahr, dass sie zu kurz greifen und insbesondere kurzfristig zu einem Bremsklotz für soziale und ökologische Ziele in all jenen Ländern werden, die von den Fiskalzielen noch weit weg sind – wie etwa Frankreich, Italien oder Belgien. Gleichzeitig stehen sie unter Beschuss der Hardliner im Rat der Finanzminister:innen, die für eine rasche Einhaltung der fiskalpolitischen Ziele die Erreichung sozialer und ökologischer Ziele im Zweifelsfall opfern wollen.
Wie geht es weiter
Zur weiteren Verarbeitung liegt der Vorschlag beim Europäischen Parlament und dem Rat. Die Kommission ruft diese auf, „so rasch wie möglich“ eine Einigung zu erzielen. Kommissar Gentiloni zeigt sich zuversichtlich, dass ein Abschluss der gesetzgeberischen Arbeit bis Ende des Jahres möglich ist.
Für eine wohlstandsorientierte Haushaltspolitik
Aus Perspektive der Arbeitnehmer:innen besteht am vorliegenden Vorschlag deutlicher Verbesserungsbedarf, da unklar ist, wie in einem lediglich etwas weniger engem Fiskalregel-Korsett genug Spielraum für die notwendigen Zukunftsinvestitionen bleibt. So fehlt insbesondere ein zusätzlicher gemeinsamer EU Investitionsfonds oder eine goldene Investitionsregel. Der Europäische Gewerkschaftsbund sieht sogar das Risiko eines Rückfalls in die Austeritätspolitik. Dies wäre auch aus Sicht der Arbeiterkammer unbedingt zu verhindern. Kürzungen im Sozial-, Gesundheits- oder Bildungsbereich sind ein gefährlicher sozialer Rückschritt und behindern die wirtschaftliche Entwicklung. Hochproblematisch wäre auch eine Verknüpfung von Reformmaßnahmen, die zu Lasten der Arbeitnehmer:innen gehen, mit fiskalpolitischen Erleichterungen. Schließlich muss die demokratische Einbettung der Wirtschaftspolitik geachtet werden.
Weiterführende Informationen
EU-Kommission: Kommission schlägt neue Vorschriften für eine zukunftsfähige wirtschaftspolitische Steuerung vor
EU-Kommission: Factsheet - Commission proposes new economic governance rules fit for the future (Nur Englisch)
AK EUROPA: Reformvorschlag der Europäischen Fiskalregeln: besser, aber nicht gut
AK EUROPA: EU Economic Governance Review
ETUC: New EU economic rules bring back risk of austerity (Nur Englisch)