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ZurückAm 17. November 2017 wurde die Europäische Säule sozialer Rechte (ESSR) am Sozialgipfel in Göteborg proklamiert. Eineinhalb Jahre nach dieser Proklamation und vor den anstehenden EU-Wahlen lässt sich nun eine Zwischenbilanz ziehen. Über die Implementierung und einen Ausblick in die Zukunft wurde am 28. März 2019 in Brüssel auch in einem öffentlichen Hearing im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss diskutiert.
Zwar haben die 20 Grundsätze der ESSR keinen rechtsverbindlichen und durchsetzbaren Charakter, dennoch waren sie der Anstoß für Rechtsakte im Bereich des europäischen Arbeits- und Sozialrechtes, wie für die Richtlinien zur Work-Life-Balance, zu fairen und transparenten Arbeitsbedingungen oder die Verordnung zur Europäischen Arbeitsbehörde. Durch die ESSR als Impulsgeberin konnten somit soziale Rechte auf europäischer Ebene weiterentwickelt und Schritte in Richtung einer sozialeren Ausgestaltung Europas gesetzt werden.
Abgesehen vom legislativen Bereich betonten Raquel Lucas und Marie-Anne Paraskevas (beide GD EMPL) im Rahmen des EWSA-Hearings die Bedeutung der ESSR im Rahmen des Europäischen Semester-Prozesses sowie des Mehrjährigen Finanzrahmens, insbesondere des Europäischen Sozialfonds+ (ESF+). Zumindest beim Thema ESF+ kann die Analyse der Kommission aus Sicht der AK nicht geteilt werden, hier wäre zumindest ein Anteil von 10 % des EU Budgets erforderlich, um wichtigen sozialen, integrationspolitischen und arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen der EU zu begegnen. Aus Sicht der Kommissionsvertreterinnen sind nun aber auch die Mitgliedstaaten gefragt, die ESSR umzusetzen. Denn – so ihr Hinweis – die Verabschiedung der ESSR erfolgte als gemeinsame Proklamation aller drei Institutionen.
Aber bringt die ESSR den BürgerInnen nun auch die proklamierten Rechte und Leistungen, die sie verspricht? Zane Rasnača, Researcherin beim Europäischen Gewerkschaftsinstitut (EGI), hat sich dieser Frage angenommen. In einer vergleichenden Länderstudie (Griechenland, Irland, Lettland) des EGI wurde untersucht, inwieweit die Prinzipien der ESSR umgesetzt wurden. Die Studie ergab, dass es teilweise in den Mitgliedstaaten bereits vorher Regelungen gab, die den Prinzipien der ESSR entsprechen. In vielen Fällen sind die Prinzipien der ESSR jedoch national nur teilweise oder gar nicht umgesetzt worden. Bezeichnend ist dabei auch, dass sich die Umsetzung auf bestimmte Prinzipien konzentriert und andere hingegen ignoriert werden. Auf nationaler Ebene – so die Schlussfolgerung – mangelt es im Ergebnis an einem direkten Konnex zur ESSR, hingegen besteht auf Ebene der Europäischen Union die Tendenz, jegliche Rechtssetzung als Ausfluss der ESSR zu proklamieren.
Sabastiano Sabato, Policy Officer bei European Social Observatory (OSE) bewertete wie in der jährlich erscheinenden Publikation „Social policy in the European Union: state of play 2018“ (EGI/OSE) und der EESC-Studie „Implementing the European Pillar of Social Rights“ (2018) die Rolle des Europäischen Semesters. Seit 2014 – so sein Fazit – ist der Prozess des Europäische Semesters sozialer ausgestaltet. Die Entwicklung der Jahre 2017 zu 2018 lässt auch klare Auswirkungen der ESSR erkennen („pillar effect“). Datenmäßig belegbar ist ein Anstieg „sozialer länderspezifischer Empfehlungen (LSE)“ der Kommission an die einzelnen Mitgliedstaaten. Differenziert man die „sozialen LSEs“ nach ihrer politischen Orientierung, ist ein erheblicher Anstieg jener LSEs zu verzeichnen, die auf einen verbesserten sozialen Schutz abzielen, während „soziale LSEs“ mit neoliberaler Politikausrichtung ganz klar abnehmen. Trotz dieser positiven Entwicklungen – so Sabato – könnte es zu einer unzureichenden Umsetzung der ESSR in den Mitgliedstaaten aufgrund mangelnder Abstimmung zwischen wirtschaftlichen, fiskalischen und sozialen Strategien kommen. Die 2017 von der Kommission getroffene Aussage, wonach die ESSR entsprechend der „verfügbaren Ressourcen“ und „eines soliden Haushaltsmanagements“ der Mitgliedstaaten umzusetzen sei, wirken hier ebenfalls beschränkend.
Blick in die Zukunft
Ob die Umsetzung der sozialen Säule wie in der „Erfolgsgeschichte“ ihrer ersten eineinhalb Jahre voranschreiten wird, wird sich nach den EU-Wahlen im Mai 2019 und durch die neu zusammengesetzte Europäische Kommission auf Basis ihres neuen Arbeitsprogramms zeigen. Seitens des Europäischen Gewerkschaftsbundes wies Ben Egan auf noch zahlreiche offene Projekte zur Stärkung der sozialen Dimension Europas hin. Genannt wurden viele auch aus Sicht der Arbeiterkammer wichtige Projekte, u.a. mehr Demokratie am Arbeitsplatz, die Verstärkung grenzüberschreitender Kollektivverhandlungen, die Verbesserung des ArbeitnehmerInnenschutzes bei krebserregenden Arbeitsstoffen (bislang wurden 24 Grenzwerte geschaffen, Forderung von mind. 50), die Umwandlung des Rahmenabkommens zu psychosozialen Risiken in eine Richtlinie, die Überarbeitung des Stabilitätspaktes sowie die Stärkungen des sozialen Dialoges.
Weiterführende Informationen:
EWSA-Hearing: Implementierung und Zukunft der Europäische Säule sozialer Rechte
AK EUROPA: Perspektiven für ein soziales Europa
AK EUROPA: 1 Jahr Säule Sozialer Rechte: Der Reality Check