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ZurückDie Implementierung der Europäischen Säule sozialer Rechte ist ein notwendiger, aber nicht ausreichender Schritt hin zu einem faireren Europa. Daher nahm AK EUROPA den diesjährigen Bericht „Benchmarking Working Europe 2019“ zum Anlass, um bei einer gemeinsamen Veranstaltung von ÖGB Europabüro, mit dem EGB, EGI und VertreterInnen der Politik zu diskutieren, welche Schritte in der EU zu setzen sind, um die ArbeitnehmerInnen in den Mittelpunkt zu rücken.
In Hinblick auf die EU-Wahl wies ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian in seiner Begrüßung darauf hin, dass es für viele ArbeitnehmerInnen unklar sei, in welche Richtung sich Europa entwickeln werde. Aus Sicht der Gewerkschaften ist die Antwort ganz klar: Es muss in Richtung eines sozialen Europas gehen, in dem soziale Grundrechte Vorrang vor Profitinteressen haben. Dabei betonte er die Dringlichkeit einer effektiven Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping und die Notwendigkeit von europaweit geltenden sozialen Mindeststandards. Besonders hob er die Forderung nach der Stärkung des sozialen Dialogs in ganz Europa hervor.
Philippe Pochet, EGI-Generaldirektor, ging im Zusammenhang mit der Studie insbesondere auf das Thema Investitionen in grüne Technologien ein und forderte, dass diese an erster Stelle in Europa stehen müssen. Er verwies dabei auf ein Ergebnis des neuen Berichts, das veranschaulicht, dass China deutlich mehr und selbst in den USA unter Trump nicht weniger in grüne Technologie investiert wird als derzeit in der EU.
Darüber hinaus thematisierte Pochet die Bedeutung von „Demokratie am Arbeitsplatz“, besonders vor dem Hintergrund der sich verändernden politischen Landschaft in Europa. Diese stelle auch eine zunehmende Gefahr für Mitbestimmungs- und ArbeitnehmerInnenrechte dar.
Maria Jepsen, Leiterin der Forschungsabteilung des EGI, präsentierte nach den Eröffnungsreden die Studie „Benchmarking Working Europe 2019“. Der Bericht behandelt vier Schwerpunkte: Wirtschaftswachstum, Arbeitsmarktveränderungen, Lohnentwicklung und Mitbestimmung. So soll der Bericht ein umfassendes Bild darüber vermitteln, inwieweit die Europäische Union eine Union der arbeitenden Bevölkerung ist. Als besorgniserregende Entwicklung betonte Jepsen die größer werdende Kluft in der sektoralen Entwicklung zwischen mittel/ost- und westeuropäischen Ländern: die Staaten Mittel- und Osteuropas sind vom Rückgang des Produktionssektors in Europa überdurchschnittlich betroffen. Dieser Rückgang wird von wachsenden Sektoren in Europa, wie beispielsweise die Gesundheits- und Sozialberufen, gerade in diesen Ländern jedoch nur unzureichend kompensiert. Dies hat zur Folge, dass deren Aufwärtskonvergenz geschwächt wird.
Luca Visentini, Generalsekretär des EGB, stellte die mangelnden öffentlichen und privaten Investitionen in Europa zur Diskussion. Seiner Einschätzung nach ist dies die Ursache für viele aktuelle Herausforderungen wie zu hohe Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Außerdem betonte er, dass Tarifverhandlungen das einzig wirksame Instrument sind, damit die Lohnentwicklung mit der wirtschaftlichen Entwicklung Schritt hält. Er wünscht sich deshalb eine EU-weite Rahmenrichtlinie, um Tarifverhandlungen stärker in der EU zu verankern und auch in jenen Ländern durchzusetzen, die dahingehend keine oder eine lediglich schwache Tradition haben.
Ruth Paserman, Kabinettsmitglied der Kommissarin für Beschäftigung, Soziales, Qualifikation und Arbeitskräftemobilität, sprach von einer erfolgreichen Gesetzgebungsperiode der Generaldirektion Beschäftigung, in der Vieles für die Rechte von ArbeitnehmerInnen in Bewegung gekommen ist. Größter Erfolg war die Proklamation der Europäischen Säule sozialer Rechte, und die Abschlüsse zur Richtlinie zur Work-Life Balance oder der Verordnung zur Europäischen Arbeitsbehörde. Im Hinblick auf Investitionen sieht sie ebenfalls, dass hier in den kommenden Jahren Handlungsbedarf besteht.
Sotiria Theodoropoulou, Abteilungsleiterin im EGI für Europäische Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik, sprach über den zunehmenden Verlust der Verhandlungsmacht der ArbeitnehmerInnen aufgrund von politischen Entscheidungen der letzten Jahre. Verstärkt wird dies auch durch die teilweise rückläufigen Mitgliedszahlen von Gewerkschaften. Darüber hinaus stellte sie das Ziel des Produktivitätswachstums in Europa infrage, da dies, wie vom IWF aufgezeigt, zu höherer Ungleichheit führe. Generell muss man sich ihr zufolge daher die Frage stellen, ob ein größerer Kuchen, der dafür ungleicher verteilt wird, ein Ziel für sich sein darf.
Adi Buxbaum, Experte der BAK zu Sozialpolitik, stellte die von der AK in Auftrag gegebene WIFO-Studie „Labour Market Monitor 2018 - EU in a nutshell“ kurz vor. In seinem Beitrag stellte er insbesondere die Messkonzepte infrage, mit denen Arbeitslosigkeit und Beschäftigung statistisch europaweit erfasst werden. So gelten alle Personen als beschäftigt, die gerade einmal 1 Stunde im Referenzzeitraum gearbeitet haben. Demnach beschönigen die gängigen Standardindikatoren die aktuelle Lage am Arbeitsmarkt in Europa. Er leitete daraus ab, dass sowohl der Blick auf die Realität verstellt ist als auch die Formulierung von wirtschafts- und sozialpolitischen Schlussfolgerungen nicht in einer Weise erfolgen kann, die den Bedürfnissen der Menschen in Europa gerecht wird. Seiner Meinung nach kann nur durch eine bessere Analyse der Ist-Situation – z.B. durch komplementäre Indikatoren – auch eine positive Zukunftsgestaltung eingeleitet werden.
Weiterführende Informationen:
Video zur Veranstaltung: What does it take to have a European Union working for workers?