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ZurückSeit nunmehr knapp zwei Jahren verhandelt das Europäische Parlament über die Sozialvorschriften für LKW- und BusfahrerInnen. Nicht weniger als sechs Abstimmungen gab es dazu im Parlament insgesamt, um am 4. April 2019 zu einem mehrheitsfähigen Kompromiss im Plenum zu gelangen. Dieser beinhaltet neben einigen positiven Aspekten aber auch eine Reihe kritischer Punkte.
Die Sozialvorschriften für LKW- und BusfahrerInnen gehören zu den umstrittensten Themen auf Europäischer Ebene. Dabei geht es um zentrale Bestimmungen für die FahrerInnen, um Sozialdumping zu vermeiden: Sie reichen von der Frage, wann die Entsenderichtlinie anzuwenden ist, über die zulässigen Lenk- und Ruhezeiten bis hin zu den Bestimmungen, wann ausländische Unternehmen innerstaatliche Transporte durchführen können (Kabotage).
Licht und Schatten beim Kompromiss
Der Bericht, der im Plenum des EU-Parlaments am 4. April 2019 die Mehrheit erhielt, sieht vor, dass bei grenzüberschreitenden Fahrten die Entsenderichtlinie erst dann anzuwenden ist, wenn mehr als zwei Zwischenstopps eingelegt werden. Dies ist zwar nicht die von Seiten der Arbeiterkammer geforderte Anwendung der Entsenderichtlinie bei Grenzübertritt. Dennoch ist die Regelung zumindest strenger als der Vorschlag der Kommission, die Richtlinie erst ab dem 4. Tag eines Kalendermonats anzuwenden, oder als die Anträge anderer Abgeordneter, die zehn Zwischenstopps und mehr gefordert hatten, bevor die sie zur Anwendung kommen soll.
Hinsichtlich der Lenk- und Ruhezeiten spricht sich das Parlament für die Beibehaltung der bisherigen Ruhezeiten am Wochenende aus. Die Kommission hatte vorgeschlagen, zwei verkürzte wöchentliche Ruhezeiten zu ermöglichen. Im Gegenzug soll es gemäß Parlament aber möglich werden, ausnahmsweise zwei Stunden länger zu fahren, um einen Firmenstandort zu erreichen. Die Notwendigkeit zusätzlicher Ausnahmen für BusfahrerInnen soll von der Kommission noch evaluiert werden. Das Verbringen der regulären Ruhezeit am Wochenende von 45 Stunden im Fahrzeug wird ausdrücklich untersagt, die Rückkehr an den Wohnsitz des Fahrers/der Fahrerin nach spätestens vier Wochen wird aber abgeschwächt, da er/sie sich für einen anderen Ort aussprechen kann. Dies bedeutet potentiell großen Druck auf die Betroffenen, sich für einen „günstigeren“ Ort auszusprechen.
Nationale Transporte sollen für ausländische Unternehmen für drei Tage im Anschluss an eine grenzüberschreitende Fahrt möglich sein. Die Kommission hatte fünf Tage vorgeschlagen. Die Position des Rates ist bei dieser Bestimmung recht weit entfernt, da er die Beibehaltung der derzeit gültigen Regelung (3 innerstaatliche Fahrten innerhalb von sieben Tagen) vorsieht.
Keine Einigung in der ersten Runde
Mit der Mehrheit zu diesen drei Berichten endete am 4. April 2019 der lange Weg dieser drei Dossiers mit vielen äußerst konfrontativen Debatten und nicht weniger als sechs Abstimmungen:
Im April 2018 sprach sich der Beschäftigungsausschuss EMPL des Europäischen Parlaments für wirksame Maßnahmen zum Schutz von FahrerInnen gegen Sozialdumping aus. Einen Monat später war der Verkehrsausschuss TRAN aber gegensätzlicher Meinung und verabschiedete einen Bericht, der eine weitreichende Marktöffnung zu Lasten der Beschäftigten vorgesehen hätte. Im Plenum im Juli 2018 fand der Bericht aber keine Mehrheit, weshalb es für die drei Dossiers „zurück zum Start“ hieß.
Neuer Anlauf im Jahr 2019
Während der Europäische Rat seine generelle Ausrichtung zu diesen drei Dossiers im Dezember 2018 verkündete, fand bei der neuerlichen Abstimmung im Verkehrsausschuss TRAN im Januar 2019 keiner der vorgelegten Berichte eine Mehrheit. Nur zur Kabotage konnte sich die Mehrheit auf einen Text einigen.
Um in dieser Wahlperiode aber noch einen Abschluss erzielen zu können, fanden sich die drei Dossiers neuerlich auf der Tagesordnung des Plenums im März 2019. Da aber nicht weniger als 1.600 Abänderungsanträge von den Abgeordneten eingebracht wurden, setzte Parlamentspräsident Antonio Tajani für den 2. April 2019 eine Sondersitzung des Verkehrsausschusses an. Bei dieser Sitzung erhielt aber der überwiegende Teil der Änderungsanträge die erforderliche Stimmenzahl, um wiederum im Plenum eingebracht zu werden.
Für die Abstimmung im Plenum am 4. April 2019 wurden die Anträge in Blöcke zusammengefasst, um einen stundenlangen Abstimmungsmarathon zu vermeiden. Dieser Vorgang stieß aber vor allem bei osteuropäischen Abgeordneten, die eine weitreichende Liberalisierung des Transportgewerbes fordern, auf massiven Widerstand. Sie beantragten eine Verschiebung der Abstimmung erzielen, mit der Perspektive, dass ihre neoliberale Position im neuen Parlament womöglich bessere Chancen auf eine Mehrheit gehabt hätte. Schließlich wurde die Abstimmung aber durchgeführt, bei der die Kompromisstexte zwischen den Fraktionen der Sozialdemokraten und Liberalen, die auch von einer größeren Zahl von Abgeordneten der Europäischen Volkspartei unterstützt wurden, die Mehrheit bekam.
Verbesserungen im Trilog notwendig
Mit der Abstimmung im Parlament ist das letzte Wort über die neuen Gesetzestexte aber noch nicht gesprochen: Denn nach den Wahlen werden die Trilogverhandlungen zwischen der Kommission, dem Rat und dem Parlament gestartet. Die Arbeiterkammer wird sich im Rahmen dieser Trilogverhandlungen weiterhin dafür einsetzen, dass die neuen Bestimmungen Sozialdumping in Europa wirksam bekämpfen und die Arbeitsbedingungen der Millionen von Beschäftigten im Transportgewerbe nicht weiter verschlechtert werden.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Fairer Transport für Europa
AK EUROPA: Mobilitätspaket: Abschluss in weiter Ferne
A&W Blog: Vom „absoluten“ Kabinenschlafverbot für Lkw-FahrerInnen und anderen Märchen
A&W Blog: Der dreckige Alltag auf Europas Straßen und das EU-Mobilitätspaket