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ZurückSeit 2017 gehören die Änderungen der sozialrechtlichen Bestimmungen für LKW- und BusfahrerInnen zu den umstrittensten Dossiers auf EU-Ebene. Mit der Abstimmung im Verkehrsausschuss des Parlaments am 10. Januar 2019, bei der keiner der vorgelegten Berichtsentwürfe zur Anwendung der Entsenderichtlinie sowie der Lenk- und Ruhezeitenverordnung eine Mehrheit fand, ist ein Abschluss der Vorlagen in weite Ferne gerückt – zum Vorteil der Betroffenen.
Mittlerweile ist es mehr als eineinhalb Jahre her, dass die Kommission das Erste Mobilitätspaket vorgelegt hat. Um den Verkehr auf Europas Straßen fairer und wettbewerbsfähiger zu gestalten, schlägt sie substantielle Gesetzesänderungen vor. Von größter Bedeutung ist dabei die Lex Specialis zur Entsenderichtlinie, mit der neu geregelt werden soll, wann die Entsenderichtlinie für BerufskraftfahrerInnen (nicht) angewendet werden soll. Da nach derzeitigem Stand FahrerInnen Anspruch auf die Entlohnung jenes Landes haben, in der die Tätigkeit erfolgt und dies beim Transportgewerbe nach Ansicht der UnternehmerInnen und der Kommission zu kompliziert sei, schlug Letztere vor, die Entsenderichtlinie für die FahrerInnen bei grenzüberschreitenden Fahrten erst nach drei Tagen Tätigkeit in einem Staat anzuwenden. Und auch bei den Lenk- und Ruhezeiten soll durch längere Berechnungszeiträume die Flexibilität für FrächterInnen erhöht werden.
An diesem Vorschlag entzweit sich seitdem das Europäische Parlament: Während VertreterInnen vieler süd- und osteuropäischer Mitgliedstaaten diese Lockerung als nicht ausreichend ansehen, da sie sich durch die Öffnung des Marktes Chancen für ihre Unternehmen erhoffen, sehen Abgeordnete Zentraleuropas richtigerweise keine Notwendigkeit für ausufernde Ausnahmebestimmungen. Damit würde nämlich dem Nomadentum auf Europas Straßen Tür und Tor geöffnet und Lohn- und Sozialdumping gefördert werden. Denn jene FahrerInnen aus Osteuropa, die wochenlang in Westeuropa unterwegs wären, hätten dann nur Anspruch auf Entlohnung ihres Heimat- bzw. Entsendelandes gehabt.
Bei der ersten Abstimmung im Verkehrsausschuss im Juni 2018 erhielt dennoch ein Bericht die Mehrheit, der eine weitgehende Ausnahme des Straßenverkehrs für die Entsenderichtlinie vorgesehen hätte, - mit fatalen Folgen für die Betroffenen. Bei der Abstimmung des Plenums einen Monat später fand diese Position genauso wenig eine Mehrheit wie jene zu den Lenk- und Ruhezeiten sowie zum nationalen Marktzugang für ausländische Transportunternehmen (so genannte Kabotage). Alle drei Dossiers wurden an den Verkehrsausschuss zurückverwiesen.
Am 10. Januar 2019 kam es nun im Verkehrsausschuss zur neuerlichen Abstimmung. Gleich fünf verschiedene Berichtsentwürfe zur Lex Specialis Entsenderichtlinie kamen zur Abstimmung, und kein einziger erhielt eine Mehrheit. Am knappsten war dabei das Ergebnis zum aus ArbeitnehmerInnensicht einzigen als positiv zu bewertenden Entwurf, der keine substantiellen Ausnahmeregelungen vorgesehen hätte. Dennoch wurde er mit 22 Ja- gegenüber 24 Nein-Stimmen abgelehnt. Dasselbe passierte mit dem Bericht zu den Lenk- und Ruhezeiten. Einzig der Bericht zum Marktzugang (Kabotage) von Berichterstatter Ismail Ertug (S&D) wurde angenommen.
Während der Rat am 3. Dezember 2018 eine Einigung zu den Dossiers erzielte, die aus ArbeitnehmerInnensicht sowohl positive als auch höchstproblematische Regelungen enthielt, ist das nun folgende Prozedere um die Vorlagen im Parlament völlig offen. So könnten die beiden weiterhin offenen Dossiers vom Verkehrsausschuss oder vom Plenum behandelt werden, um doch noch eine Mehrheit für einen Bericht zu finden. In Anbetracht der verhärteten Fronten, die auch quer durch viele Fraktionen verlaufen, ist es allerdings auch möglich, dass die Dossiers vor den EU-Wahlen nicht mehr behandelt werden. Ein Zurückziehen der Vorlage durch die Kommission wäre in weiterer Folge genauso denkbar wie eine neuerliche Behandlung durch das neu gewählte Parlament in der zweiten Jahreshälfte.
Aus Sicht der Betroffenen ist es bedauerlich, dass der arbeitnehmerInnenfreundliche Berichtsentwurf zur Lex Specialis Entsenderichtlinie nur knapp die Mehrheit verfehlte. Dennoch bedeutet das Nicht-Ergebnis, dass der Status Quo hinsichtlich der Anwendung zur Entsenderichtlinie sowie der Lenk- und Ruhezeiten beibehalten wird und die zahlreichen Versuche, unter dem Deckmantel der Entbürokratisierung sowie der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit die Arbeitsbedingungen der FahrerInnen zu verschlechtern, vorerst abgewendet werden konnten.
Weiterführende Informationen:
A&W Blog: Vom „absoluten“ Kabinenschlafverbot für Lkw-FahrerInnen und anderen Märchen
AK EUROPA: Mobilitätspaket: Rat einigt sich bei Sozialvorschriften
AK EUROPA: Entsenderichtlinie im Straßenverkehr, Lenk- und Ruhezeiten, Kabotage: Zurück zum Start
AK EUROPA: Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping auf Europas Straßen ist noch nicht geschlagen