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ZurückMit der Proklamierung der Europäischen Säule sozialer Rechte vor über eineinhalb Jahren wurde einmal mehr ein Anlauf genommen, um den Weg hin zu einer sozialeren Ausgestaltung der Europäischen Union einzuleiten. Seitdem sind mehrere Richtlinien erlassen worden. Inwiefern die Säule zu positiven Veränderungen führen wird, hängt aber nicht zuletzt von den sozialpolitischen Maßnahmen der nächsten Kommission ab.
Am 13. Juni 2019 wurde bekanntgegeben, dass der Sitz der Europäischen Arbeitsbehörde (ELA) in Bratislava sein wird. Die ELA spielt eine bedeutende Rolle im Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping und soll bei der Umsetzung der Europäische Säule Sozialer Rechte (ESSR) helfen. In einer Zwischenbilanz hat AK EUROPA darauf hingewiesen, dass die Säule zwar rechtlich nicht bindend ist, aber dennoch einen Anstoß für Rechtsakte im europäischen Arbeits- und Sozialrecht gegeben hat, wie für die Richtlinien zur Work-Life-Balance und zu fairen und transparenten Arbeitsbedingungen.
Sozialpolitische Maßnahmen im Europäischen Semester
Im Rahmen einer Veranstaltung des Europäischen Gewerkschaftsinstituts (EGI) am 13. Juni 2019 wurde nun auch über die bisherigen Entwicklungen der Säule und über zukünftige Herausforderungen der europäischen Sozialpolitik diskutiert. In seinem kürzlich erschienenen Buch „À la recherche de l'Europe sociale“ zeigt Philippe Pochet, Generaldirektor des EGI, die historischen Entwicklungen der Sozialpolitik der EU auf. In seiner Eröffnungsrede wies er darauf hin, dass es auf europäischer Ebene alle 15 Jahre eine Debatte über die sozialpolitische Gestaltung der EU gibt. Dadurch ergäbe sich in den kommenden Jahren ein „Window of Opportunity“. Es wird sich zeigen, wie die neue Kommission die Sozialpolitik in Zukunft gestalten wird.
Die Implementierung der ESSR im Rahmen des Europäische Semesters sah Sebastiano Sabato, Senior Researcher bei European Social Observatory (OSE), vorsichtig positiv. Die ESSR hätte zumindest auf formaler Ebene Auswirkungen gezeigt: Bei den „sozialen länderspezifischen Empfehlungen“ sei insgesamt ein Anstieg zu verzeichnen, während Vorschläge zu Maßnahmen für den Sozialabbau rückläufig seien.
Caroline de la Porte von der Copenhagen Business School wies aber darauf hin, dass die Umsetzung der 20 Grundsätze der Säule bislang nur teilweise ambitioniert ist; dies betreffe insbesondere die 2. Dimension der ESSR zu fairen Arbeitsbedingungen: Nach ihrer Einschätzung hat insbesondere die in diesen Bereich fallende neue Richtlinie zur Work-Life Balance Potential, um positive Veränderungen voranzutreiben. In den anderen zwei Kapiteln fehlen bislang jedoch entsprechende Umsetzungsschritte und Maßnahmen.
Zane Rasnača, Researcherin des EGI, betonte, dass die ESSR kein rechtlich bindendes Instrument sei, jedoch seien sowohl die EU als auch die Mitgliedstaaten zur Umsetzung des ESSR angehalten. Aber unter KritikerInnen der Stärkung der europäischen Sozialpolitik finden sich neue Allianzen. Die nordischen EU-Länder stehen mehr europäischen Mindeststandards oftmals skeptisch gegenüber, da sie befürchten, dass dadurch ihre gut funktionierenden Wohlfahrtsstaaten unter verstärkten Druck geraten. Auch ärmere europäische Volkswirtschaften, die noch keinen gut ausgebauten Wohlfahrstaaten haben und die für die Umsetzung der Säule einiges an Budget in die Hand nehmen müssten, zeigen sich zurückhaltend beim Ausbau des sozialen Europas. Hier sei es auch Aufgabe der Gewerkschaften und Sozialpartner, mit den jeweiligen Regierungen in Diskurs zu treten.
Herausforderungen für die nächste Legislaturperiode
Die Juncker-Kommission hat seit der Proklamation der ESSR Ende 2017 einen Schwerpunkt auf Sozialpolitik gelegt und mit der ESSR soziale Themen in den Mittelpunkt gerückt. Dieser Weg muss weiterhin verfolgt werden und eine Verknüpfung zu den UN-Nachhaltigkeitszielen (SDGs) hergestellt werden, so Beate Beller von SOILDAR im Rahmen der Veranstaltung. Weiters betonte sie, dass es eine Kombination von ökologischen und sozialen Zielen braucht, um Armut zu bekämpfen und soziale Gerechtigkeit voranzutreiben.
Krzysztof Nowaczek von der EU-Kommission zufolge stellen neben dem Klimawandel auch der digitale Wandel und Künstliche Intelligenz eine große Herausforderung für die zukünftige Sozialpolitik dar. Es bedarf daher Investitionen in Ausbildung und Qualifikationen der Menschen (z.B. lebenslanges Lernen), sowie eine faire Gestaltung der Europäischen Union (z.B. leistbares Wohnen). Dazu braucht es die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie die Integration sozialpolitischer Themen in alle anderen politischen Bereiche („mainstream social policy“).
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: 1 Jahr Säule Sozialer Rechte: Der Reality Check
AK EUROPA: Implementierung und Zukunft der Europäischen Säule sozialer Rechte
EGI/OSE Publikation: Social policy in the European Union: state of play 2018
EGI: A European Social Semester? The European Pillar of Social Rights in practice