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ZurückDie EU-Kommission hat am 26. März 2025 eine neue Strategie für eine krisenfeste Union veröffentlicht. Darin macht sie Vorschläge, wie die EU-Bürger:innen besser auf Katastrophen, hybride Bedrohungen und geopolitische Krisen vorbereitet und vor diesen bewahrt werden können. Die Strategie umfasst 30 Leitmaßnahmen und einen detaillierten Aktionsplan, unter anderem in den Bereichen Antizipation, Schutz der gesellschaftlichen Grundfunktionen sowie Koordination und Kooperation. Dabei geht es um nicht weniger als die Entwicklung einer Kultur der "eingebauten Krisenvorsorge" in allen Politikbereichen der EU.
Fünf Jahre nach dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie, drei Jahre nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine und angesichts der allgegenwärtigen Gefahr von Naturkatastrophen, erscheint die Strategie zu einem Zeitpunkt, an dem Europa von einer Krise in die nächste schlittert. Keine der großen Krisen der letzten Jahre sei isoliert zu betrachten oder von kurzer Dauer gewesen; Europa könne es sich nicht leisten, weiterhin nur zu reagieren, heißt es in der Gemeinsamen Mitteilung, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gemeinsam mit der EU-Außenbeauftragen Kaja Kallas und den beiden Kommissarinnen für Vorsorge, Roxana Mînzatu und Hadja Lahbib, präsentierte.
Startschuss für Vorsorge
Bereits im Juli 2024 hat Präsidentin von der Leyen in ihren Politischen Leitlinien für die nächste EU-Kommission eine „Prepardeness Union“ angekündigt. Neue Realitäten würden ein höheres Maß der Krisenvorsorge erfordern, betonte sie nun auch bei der Vorstellung der Strategie. Es brauche ein neues Krisenbewusstsein, damit alle wissen, was in einem Notfall zu tun sei, ergänzte Vizepräsidentin Mînzatu. Ein gemeinsames europäisches Vorgehen sei notwendig. Aufgrund der Erfahrungen während der Pandemie müsse man aber nicht mehr bei null anfangen.
Die neuen Pläne basieren auf den Empfehlungen des ehemaligen finnischen Präsidenten Sauli Niinistö. In seinem im Oktober 2024 veröffentlichten Bericht skizziert er eine weit gefasste Definition von Sicherheit für die EU, die deutlich über militärische Verteidigung hinausgeht. Er betont, dass die EU einen tiefgreifenden Mentalitätswandel brauche und ihre zivilen und militärischen Fähigkeiten an die neuen Bedrohungen anpassen müsse.
Struktur der krisenfesten Union
Die EU-Kommission hat vier Hauptrisiken identifiziert, gegen die es sich zu wappnen gilt: Naturkatastrophen, von Menschen verursachte Katastrophen wie Pandemien oder Industrieunfälle, hybride Bedrohungen wie Cyberangriffe und Desinformationskampagnen sowie geopolitische Konflikte. Um diesen Risiken zu begegnen, zielt die Strategie darauf ab, einen integrativen, gesamtgesellschaftlichen und gesamtstaatlichen Ansatz zu entwickeln, indem einige bereits bestehende Initiativen gebündelt und neue hinzugefügt werden. Diese Maßnahmen gliedern sich in sieben Bereiche, von Vorschau und Antizipation über zivil-militärische Zusammenarbeit bis hin zu Resilienz durch eine bessere Zusammenarbeit mit externen Partnern wie der NATO.
Resilienz als Kernstück
Aus Arbeitnehmer:innen-Perspektive ist besonders der zweite Bereich zur Resilienz lebenswichtiger gesellschaftlicher Funktionen hervorzuheben. Die hier definierten Sektoren basieren auf der NIS-2-Richtlinie für ein hohes gemeinsames Cybersicherheitsniveau in der EU und auf der Richtlinie zur Resilienz kritischer Einrichtungen, in der EU-weit festgelegt wurde, was unter kritischer Infrastruktur zu verstehen ist. Darunter fallen elf Sektoren und Teilsektoren, die die Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Tätigkeit, der öffentlichen Gesundheit, der Sicherheit und der Lebensmittel- und Wasserversorgung gewährleisten. Um diese Sektoren weiterhin zu schützen, drängt die EU-Kommission nun auf eine vollständige Umsetzung und Anwendung dieser Richtlinien und will Sicherheits- und Vorsorgeaspekte direkt in EU-Politiken und EU-Programme integrieren. Außerdem schlägt sie eine Bevorratungsstrategie vor, um den Zugang zu kritischen Ressourcen wie medizinischen Produkten, Notfallausrüstung oder kritischen Rohstoffen zu verbessern
In diesem Zusammenhang kündigt die EU-Kommission auch an, bald einen europäischen Klimaanpassungsplan vorzulegen, der die Mitgliedstaaten dabei unterstützt, sich auf Klimarisiken vorzubereiten. Dieser wird wohl die EU-Strategie für die Anpassung an den Klimawandel von 2021 und die Mitteilung zur Bewältigung von Klimarisiken von 2024 ergänzen und weiter konkretisieren. Auch die geplante Strategie für eine resiliente Wasserversorgung, die die Verfügbarkeit von sauberem Wasser sicherstellen und die EU vor wasserbezogenen Risiken schützen soll, wird angesprochen. Ebenso wichtig sind die Initiativen zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und der nachhaltigen Nutzung von Materialien, um die Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen zu verringern.
Weitere Maßnahmen
Ein weiterer entscheidender Bereich ist die Vorbereitung der Bevölkerung. Hier zielt die Strategie darauf ab, das Risikobewusstsein durch Kommunikation zu erhöhen. Die Regierungen der Mitgliedstaaten sollen Bürger:innen durch gezielte Kampagnen und praktische Leitlinien dazu befähigen, im Notfall lebenswichtige Vorräte für mindestens 72 Stunden aufrechtzuerhalten. Dabei wird auch die Notwendigkeit der Integration von Aspekten der Krisenvorsorge in die Lehrpläne von Schulen und die Förderung von Jugendaustauschprogrammen betont.
Darüber hinaus enthält die Mitteilung eine Reihe von Vorschlägen zu industrie- und verteidigungspolitischen Maßnahmen. Diese sind mit anderen kürzlich veröffentlichten Initiativen wie dem Clean Industrial Deal, dem Weißbuch zur europäischen Verteidigung, der Union of Skills und der neue Europäischen Strategie für die innere Sicherheit ProtectEU verknüpft und ergänzen sie.
Dazu gehören u.a. die Verbesserung der Frühwarnsysteme, die Stärkung des Zentrums für die Koordination von Notfallmaßnahmen (ERCC) oder die Einrichtung einer öffentlich-privaten Taskforce für die Krisenvorsorge, um den Informationsaustausch und das gemeinsame Krisenmanagement mit der Industrie zu fördern.
Eine erste Einordnung
In einer ersten Reaktion des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) betont Generalsekretärin Esther Lynch, dass die Beschäftigungsdimension in der Diskussion um Anpassungsmaßnahmen häufig vernachlässigt werde. Entscheidungen dürften nicht von oben herab getroffen werden, sondern erforderten unbedingt die Einbindung von Gewerkschaften und den Sozialpartnern insgesamt. Sie warnt vor den Folgen wachsender Erwerbsarmut und fordert, Sicherheitsrisiken durch lange Subunternehmerketten bei der öffentlichen Auftragsvergabe zu reduzieren.
Inwieweit eine echte „Vorsorgeunion“ vollständig umgesetzt werden kann, hängt auch von Finanzierungsmöglichkeiten und der rechtlichen Umsetzung ab. In einer ersten Debatte im EU-Parlament betonten insbesondere die progressiven Kräfte die Notwendigkeit höherer Klimainvestitionen. Unklar ist, wie verbindlich die Regelungen sein werden. Die EU-Kommission kündigt lediglich an, neue Gesetze und politische Maßnahmen in Zukunft stets auf Sicherheit und Krisenvorbereitung zu prüfen. Sie will auch die Finanzierungsinstrumente der EU überprüfen, um eine flexible und an die Umstände anpassbare Finanzierung zu gewährleisten. Die Umsetzung der Strategie soll in Zukunft regelmäßig überwacht werden.
Weiterführende Informationen:
EU-Kommission: EU-Strategie für eine krisenfeste Union – sich abzeichnende Bedrohungen und Krisen verhindern und darauf reagieren
AK EUROPA: Europa ist auf unvermeidbare Klimakatastrophen nicht genügend vorbereitet
AKEUROPA: Politische Leitlinien für die nächste EU-Kommission 2024 – 2029. Die richtigen Antworten auf aktuelle Herausforderungen?
AK EUROPA: Wasserresilienz in Europa. Mensch und Planet im Mittelpunkt
ETUC: Anpassung an den Klimawandel und die Arbeitswelt
EUA-Bericht: Europäische Bewertung der Klimarisiken
A&W-Blog: Der soziale und ökologische Umbau braucht einen Plan
POLITICO: Threat of war and disease means Europeans need 3 days’ supplies, Commission to warn (nur Englisch)