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ZurückDer europäische Arbeitsmarkt ist aktuell von einer hohen Nachfrage nach Arbeitskräften, geringen Weiterbildungsquoten und Hürden bei der Anerkennung von Qualifizierungsabschlüssen geprägt. Viele Schüler:innen treten mit unzureichenden Fähigkeiten in den grundlegenden Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen in die Arbeitswelt ein. Der Mangel an diesen Kompetenzen vertieft soziale Missstände und gesellschaftliche Ungleichheiten. Die EU-Kommission sieht diese Entwicklungen vor allem als Hindernisse für Wettbewerbsfähigkeit. Um dem entgegenzuwirken hat Roxana Mînzatu, Vizepräsidentin der EU-Kommission, am 5. März 2025 eine Union der Kompetenzen als neue bildungs- und arbeitsmarktpolitische Leitinitiative vorgestellt.
Die Union der Kompetenzen (Union of Skills) der neuen EU-Kommission zielt darauf ab, das sogenannte Humankapital in der EU zu stärken. Dadurch soll sichergestellt werden, dass Unternehmen Zugang zu ausreichend qualifizierten Arbeitskräften haben, um expandieren zu können und wettbewerbsfähig zu sein. Im Zentrum stehen:
- Förderung von Grundfertigkeiten: Schulen sollen im Zuge eines Pilotprojekts zur Förderung von Grundkompetenzen (Basic Skills Support Scheme) gezielt unterstützt werden.
- Lebenslanges Lernen stärken: Regelmäßige Weiterbildungen und (Re-)Qualifizierungen sollen für möglichst viele Arbeitnehmer:innen zur Regel werden.
- Anerkennung von Abschlüssen verbessern: Damit Unternehmen in der gesamten EU Arbeitskräfte rekrutieren können, soll eine Initiative zur Übertragbarkeit von Kompetenzen (Skills Portability Initiative) die EU-weite Anerkennung von Kompetenzen und Abschlüssen vereinfachen.
- Talente aus der ganzen Welt anziehen: Das Programm „Choose Europe“ soll talentierte Arbeitskräfte in die EU bringen.
- Governance stärken: Durch verbesserte Governance-Strukturen sollen bestehende und neue Maßnahmen im Bereich der Arbeitsmarktpolitik besser aufeinander abgestimmt werden.
150 Mrd. EUR will die EU zwischen 2021 und 2027 in Aus- und Weiterbildung investieren – auf Ebene der Arbeitnehmer:innen, der Unternehmen und der Ausbildungsinstitutionen. Für die Union of Skills soll es jedoch keine zusätzlichen Mittel geben. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass die EU im Bereich der beruflichen Bildung nur eng begrenzte Zuständigkeiten hat. Sie kann vor allem ergänzen, z. B. durch Pilotprojekte, koordinieren und Empfehlungen aussprechen.
Skills Guarantee: Pilotprojekt soll Auswirkungen des doppelten Übergangs abfedern
Aus Arbeitnehmer:innen-Perspektive spannend ist das angekündigte Pilotprojekt einer Kompetenzgarantie (Skills Guarantee). Arbeitnehmer:innen, die von Umstrukturierungen im Zuge des digitalen und ökologischen Wandels negativ betroffen oder von Arbeitslosigkeit bedroht sind, sollen die Chance bekommen, ihre Berufslaufbahn in einem anderen Unternehmen bzw. Sektor weiterzuentwickeln. Dieser Vorschlag kommt – in seiner vorerst vagen Formulierung – nah an die Forderung einer Arbeitsplatzgarantie heran. Wichtig ist, dass Förderungen für Unternehmen an strenge soziale Kriterien geknüpft sind, wie etwa Kollektivverträge, Lehrlingsausbildung und Weiterbildungsmöglichkeiten während der Arbeitszeit. Entscheidend wird auch sein, welche Arbeitnehmer:innen Zugang zu so einem Programm haben, also wie eine negative Betroffenheit von der digitalen und ökologischen Transformation definiert wird, und ob diese Initiative bei einem erfolgreichem Abschluss des Pilotprojekts flächendeckend umgesetzt wird.
Förderungen unzureichend: Recht auf Weiterbildung muss gesetzlich verankert werden
Auch wenn es prinzipiell zu begrüßen ist, dass die EU-Kommission einen Schwerpunkt auf Aus- und Weiterbildung legen will, ist klar, dass vage Bekenntnisse und Förderungen nicht ausreichen. Ein „gerechter“ Übergang (Just Transition) ist dann gerecht, wenn es endlich ein Recht auf Weiterbildung gibt, z. B. nach dem von der AK vorgeschlagenen Modell Qualifizierungsgeld. Arbeitnehmer:innen müssen während der (Re-)Qualifizierung eine ausreichende und vor allem langfristige Existenzsicherung erhalten. Die Union of Skills muss außerdem hochwertige Arbeitsplätze mit fairer Entlohnung und guten Arbeitsbedingungen ins Zentrum rücken, anstatt das Ziel der Wettbewerbsfähigkeit über alles zu stellen. Ohne rechtliche Vorgaben werden vor allem Arbeitgeber:innen und private Lebensumstände (z.B. Betreuungspflichten) darüber entscheiden, ob Arbeitnehmer:innen von den vorgesehenen Qualifizierungsprogrammen profitieren können.
Die Mitteilung zur Union of Skills erkennt nicht an, dass die hohe Nachfrage nach Arbeitskräften in einigen Branchen auf schlechte Arbeitsbedingungen und fehlende Qualifizierungsmöglichkeiten zurückzuführen ist. Obwohl 86 Prozent der österreichischen Unternehmen angeben, dass der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften eine Investitionshürde darstellt und 53 Prozent der KMU von Schwierigkeiten berichten, Arbeitnehmer:innen mit den richtigen Kompetenzen zu finden, sind Unternehmen immer weniger dazu bereit, in die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter:innen zu investieren. Dem Arbeitskräftemangel soll im Rahmen der Union of Skills auch durch eine verstärkte Arbeitsmigration aus Drittstaaten begegnet werden. Abgesehen davon, dass hohe Arbeitskräftepotenziale innerhalb der EU und auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht realisiert werden, sind diese Bestrebungen auch aus Gründen des damit drohenden Lohn- und Sozialdumpings kritisch zu sehen.
Wie geht es weiter?
Im Rahmen des Europäischen Semesters will die EU-Kommission eine Empfehlung für Ausbildung und Kompetenzen erlassen. Es wird darauf zu achten sein, dass bei der Entwicklung und Umsetzung der aus der Union of Skills entstehenden Programme Sozialpartner, insbesondere Gewerkschaften, gut eingebunden werden. Doch während die neue EU-Kommission mit der Union of Skills den Schwerpunkt auf lebenslanges Lernen setzt, hat die österreichische Bundesregierung gerade die Abschaffung der Bildungskarenz, ein Instrument zur Förderung der Erwachsenenbildung, bekanntgegeben. Es bleibt abzuwarten, inwiefern ein für 2026 angekündigtes reformiertes Modell Arbeitnehmer:innen den Zugang zu (Re-)Qualifizierung ermöglicht.
Weiterführende Informationen:
EU-Kommission: Eine Union der Kompetenzen, um die Menschen für ein wettbewerbsfähiges Europa zu rüsten
AK EUROPA: Europäische Strategie für Aus- und Weiterbildung: Den Wandel bewältigen, die Zukunft gestalten
Lifelong Learning Plattform: The Union of Skills: Are we honoring Jacques Delors’ vision on lifelong learning? (nur Englisch)
EGB: Right to training missing from “Union of Skills” (nur Englisch)
IndustriAll: The Union of Skills falls short of concretely delivering on lifelong learning and employment security (nur Englisch)