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ZurückBereits im Februar 2023 hat die EU-Kommission einen Industrieplan für den Grünen Deal vorgelegt, mit dem Ziel, die europäische Industrie auf dem Weg zur Klimaneutralität zu stärken. Doch der geopolitische Wettlauf um die industrielle Wettbewerbsfähigkeit wird härter. Um noch mehr Wirkung zu entfalten, folgten am 26. Februar 2025 zwei lange angekündigte, miteinander verbundene Vorhaben: Der Deal für eine saubere Industrie und ein Aktionsplan für erschwingliche Energie. Bereits eine Woche später, am 5. März, legte die Kommission den Aktionsplan für den europäischen Automobilsektor nach. Was verbirgt sich hinter diesen Plänen?
Im Zuge des Industrieplans für den Grünen Deal wurden Anfang 2023 drei entscheidende Gesetze für die Transformation der europäischen Industrie auf den Weg gebracht, die allesamt noch im ersten Halbjahr 2024 verabschiedet wurden, nämlich die Verordnung zu kritischen Rohstoffen (Critical Raw Materials Act), die Netto-Null-Industrie-Verordnung und die Reform des Strommarkts.
Beschleunigung der Dekarbonisierung der Industrie
Der Deal für eine saubere Industrie (Clean Industrial Deal bzw. CID) zielt nun erneut darauf ab, die europäische Industrie wettbewerbsfähiger und nachhaltiger zu machen, indem Energiekosten gesenkt, erneuerbare Energien gefördert und grüne Leitmärkte geschaffen werden sollen. Dabei konzentriert sich die EU-Kommission vor allem auf Schlüsselsektoren energieintensiver Industrien, den Clean-Tech-Sektor und die Förderung der Kreislaufwirtschaft. Neben neuen Maßnahmen zur Nutzung von kohlenstoffarmem Wasserstoff oder zur Schaffung eines Marktes für abgeschiedenes CO2 finden sich auch nicht-preisliche Kriterien in der öffentlichen Auftragsvergabe oder ein Gesetz zur Beschleunigung der Dekarbonisierung unter den Vorhaben. Wesentliche Bezugspunkte bleiben die Klimaneutralität bis 2050 und das Ziel, die CO2-Emissonen bis 2040 um 90 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren.
Bei der Finanzierung des industriellen Wandels spielen InvestEU, die Europäische Investitionsbank (EIB) und der Innovationsfonds eine zentrale Rolle. Ziel ist es, kurzfristig mehr als 100 Milliarden Euro an Unterstützung zu mobilisieren. Darüber hinaus empfiehlt die EU-Kommission den Mitgliedstaaten, über ihre Unternehmenssteuersysteme Anreize zu schaffen, um sauberere Geschäftsmodelle zu unterstützen. Die Förderung der Kreislaufwirtschaft und die Sicherung kritischer Rohstoffe sollen durch eine beschleunigte Umsetzung des Critical Raw Materials Act gestärkt werden. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf den internationalen Handelsbeziehungen, dem Abschluss weiterer Handelsabkommen und der Ausweitung des CO2-Grenzausgleichsystems CBAM, um die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu stärken.
Um die Transformation sozial gerecht zu gestalten, verweist die Mitteilung zum CID auf weitere bekannte Vorhaben der EU-Kommission, nicht zuletzt die Union of Skills, die die Kompetenzen der Bürger:innen zur Bewältigung des Wandels stärken soll. Gemeinsam mit den Sozialpartnern soll bis Ende 2025 ein Fahrplan für hochwertige Arbeitsplätze entwickelt werden. Die Einrichtung des European Fair Transition Observatory, das Informationen und Beispiele zur bestmöglichen Unterstützung von Arbeitnehmer:innen in der Transformation sammeln soll, wird für Anfang 2026 erwartet.
Energie für alle: Ein Plan für leistbare und stabile Energieversorgung
Ein wesentliches Element des CID ist ein Aktionsplan für erschwingliche Energie, der noch 2025 bei den Bürger:innen, Unternehmen und Gemeinden zu Einsparungen in Höhe von 45 Mrd. Euro führen soll; bis 2040 sollen die jährlichen Einsparungen dann sukzessive auf 260 Mrd. Euro ansteigen. Kern des Plans ist eine Kombination von kurzfristigen Maßnahmen mit Strukturreformen, um die Energie- und Stromversorgungskosten in der EU deutlich zu senken. Dabei setzt der Plan bei allen Komponenten der Stromrechnung an, also bei den Netzkosten, den Energiepreisen und bei Steuern bzw. Abgaben. Zu den langfristigen Zielen gehören auch die Vollendung der Energieunion und eine bessere Vorbereitung auf Energiekrisen durch die Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs und die Nutzung der gemeinsamen Einkaufskraft auf den Gasmärkten. Zentral bleibt die Steigerung der Energieeffizienz durch Förderungsmaßnahmen und den Zugang zu effizienten Geräten und Produkten.
Erwähnt wird auch die Entkopplung von Stromkosten und Gaspreisen in Krisenzeiten, was angesichts der Volatilität der Gaspreise für die Energieversorgungssicherheit und die wirtschaftliche Resilienz der EU unerlässlich wäre. Dies soll unter anderem durch neue Leitlinien für die Mitgliedstaaten zur Kombination von langfristigen Energielieferverträgen (PPAs) und Differenzverträgen (CfDs) erfolgen. Grundsätzlich sind die energiepolitischen Maßnahmen zu begrüßen. Unklar ist allerdings noch, ob sie tatsächlich zu einer substanziellen Senkung der Energiepreise führen werden. Dazu müsste man wohl bereit sein, stärker in die Gewinnmargen der Stromerzeuger einzugreifen.
Fahrplan für die Zukunft für die krisengebeutelte Automobilindustrie?
Der Aktionsplan für den europäischen Automobilsektor, der ebenfalls im Rahmen des Clean Industrial Deal vorgestellt wurde, adressiert Probleme in den Lieferketten und soll die europäische Automobilindustrie, die mit den Herausforderungen der Digitalisierung und Dekarbonisierung konfrontiert ist, in der notwendigen Transformation unterstützen. Mit einem ganzheitlichen Ansatz soll der Sektor fit für die Zukunft gemacht werden. Der Plan baut nicht nur auf dem Draghi-Bericht und dem Wettbewerbsfähigkeitskompass, sondern insbesondere auch auf dem von Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen im Jänner 2025 ins Leben gerufenen strategischen Dialog zur Zukunft der Automobilindustrie auf. (Anfang März folgte bereits ein weiterer strategischer Dialog, nun zur Zukunft der europäischen Stahlindustrie.)
Der am 5. März veröffentlichte Aktionsplan für die Automobilindustrie basiert auf fünf Säulen. Im Bereich Innovation und Digitalisierung liegt der Schwerpunkt auf autonomem Fahren und der Entwicklung des Autos der Zukunft, unterstützt durch eine Industrieallianz, grenzüberschreitende regulatorische Sandkästen und Mittel aus dem Forschungsprogramm Horizon Europe. Saubere Mobilität soll unter anderem durch die gezielte Dekarbonisierung von Unternehmensflotten und die Verbesserung der Ladeinfrastruktur gefördert werden. Die CO2-Emissionsstandards, die die Hersteller gerne grundsätzlich diskutieren würden, werden nicht angetastet. Drohende Strafzahlungen sollen aber durch eine flexiblere Handhabung verhindert werden. Um die Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz der Lieferketten zu stärken, wird der Fokus auf die Batterieproduktion und den Zugang zu Rohstoffen gelegt, wobei auch verstärktes Batterierecycling Abhängigkeiten reduzieren soll. Während Handelsschutzinstrumente auf den Schutz vor unlauterem Wettbewerb abzielen, will die EU-Kommission durch gezielte Maßnahmen sicherstellen, dass Investitionen aus Partnerländern die langfristige Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Die Unterstützung von Arbeitnehmer:innen soll auch durch eine Ausweitung des Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung (EGF) und eine Erhöhung der einschlägigen Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds Plus (ESF+) verbessert werden.
Soziale Aspekte warten auf Konkretisierung
Die soziale Dimension des Clean Industrial Deal, insbesondere die Unterstützung von Arbeitnehmer:innen und die Sicherstellung eines gerechten Übergangs, wird derzeit noch unzureichend behandelt. Zwar werden die Einbindung der Betroffenen, soziale Konditionalitäten und die notwendige Förderung von Kompetenzen an unterschiedlichen Stellen erwähnt. Insgesamt werden die Verteilungseffekte der Transformation aber nicht ausreichend thematisiert. Da aktuell rund 500 Industriearbeitsplätze pro Tag in der EU verloren gehen, ruft der Europäische Gewerkschaftsbund dazu auf, rasch konkrete Maßnahmen im Interesse der Beschäftigten zu ergreifen.
Weiterführende Informationen:
EU-Kommission: The Clean Industrial Deal: A joint roadmap for competitiveness and decarbonisation (nur Englisch)
EU-Kommission: Action Plan for Affordable Energy (nur Englisch)
EU-Kommission: Industrial Action Plan for the European automotive sector (nur Englisch)
AK EUROPA: Industrieplan für den Grünen Deal. Förderung des grünen Übergangs und der europäischen CO2-neutralen Industrie
AK EUROPA: Netto-Null-Industrie-Verordnung: Neuausrichtung der EU-Industriepolitik muss sozial und ökologisch gestaltet werden
A&W-Blog: Österreichs Energiepolitik in der Warteschleife
AK: Europäische Industriepolitik sozialökologisch gestalten!
EGB: Action needed to reinforce the Clean Industrial Deal (nur Englisch)
industriAll Europe: It’s one minute to midnight for industrial workers – we demand action now! (nur Englisch)
Euractiv: Clean Industrial Deal: EU steuert auf „große Finanzierungsdebatte“ zu