Nachrichten
ZurückAngesichts der zunehmenden geopolitischen Spannungen rückt das Thema Verteidigung in den Mittelpunkt der EU-politischen Agenda. Mit dem Weißbuch zur europäischen Verteidigung und dem ReArm Europe Plan schlägt die EU-Kommission neue Strategien zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der EU vor. Welche Maßnahmen sind geplant und welche sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen bringen diese mit sich?
Nachdem Ursula von der Leyen bereits in ihren politischen Leitlinien einen neuen Ansatz zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der EU angekündigt hat, nimmt dieser nun immer mehr Form an. Das am 19. März von der EU-Kommission veröffentlichte „Weißbuch zur europäischen Verteidigung – Bereitschaft 2030“ soll eine erste Skizze eines gemeinsamen Vorgehens zum Aufbau einer „stabilen EU-Verteidigungsfähigkeit“ sein. Es steht in inhaltlichem Zusammenhang zum Draghi-Bericht zur Stärkung der EU-Wettbewerbsfähigkeit und zum Niinistö-Bericht, der als Grundlage der Preparedness Union gilt. Der ReArm Europe Plan, den die EU-Kommission bereits Anfang März 2025 vorgestellt hat, schlägt verschiedene finanzielle Hebel vor, um Investitionen in die Verteidigung zu fördern.
Ein neues Verteidigungskonzept für die EU
Das Weißbuch führt sieben Leitlinien an, um Schwachstellen zu beheben und die Abhängigkeit von Lieferungen aus Drittstaaten zu verringern. Es wird dafür plädiert, Verteidigungsgüter gemeinsam zu beschaffen und die Produktion möglichst vollständig in die EU zu verlagern. Um dies zu ermöglichen, möchte man die europäische Verteidigungsindustrie und den EU-Binnenmarkt für Verteidigung weiter ausbauen. Dies soll unter anderem mithilfe vereinfachter Vorschriften erreicht werden. Auch im Verteidigungsbereich ist ein Omnibus geplant. Der „Defence Omnibus“ soll im Juni 2025 erscheinen. Gleichzeitig wird auch im Bereich der Verteidigung ein technologischer Wandel angestrebt, der durch Investitionen und die Förderung von Innovation im Bereich KI und Quantentechnologie beschleunigt werden soll. Kurzfristig liegt der Fokus vor allem auf der Unterstützung der Ukraine durch militärische Hilfe. Langfristiges Ziel ist es, Europa einerseits durch mehr militärische Mobilität und Bevorratung besser auf Worst-Case-Szenarien vorzubereiten und andererseits strategische Partnerschaften auch auf globaler Ebene mit gleichgesinnten Staaten auszubauen.
Darüber hinaus gibt es die Europäische Strategie für die Verteidigungsindustrie (European Defense Industrial Strategy, EDIS). Im Rahmen der Verordnung zum Europäischen Programm für die Verteidigungsindustrie (European Defence Industry Programme, EDIP) soll die Umsetzung der bei EDIS festgelegten Maßnahmen eingeleitet werden. Die EU-Kommission hat das 1,5 Mrd. Euro schwere Programm am 5. März vorgestellt, und das EU-Parlament hat durch Anwendung eines Dringlichkeitsverfahrens den Weg für eine Schlussabstimmung dazu im Mai geebnet. Darüber hinaus existieren zahlreiche weitere Verteidigungsfonds und -programme der EU.
Finanzierung durch ReArm und EDF
Mit dem ReArm Europe Plan möchte die EU-Kommission über 800 Mrd. Euro generieren und so die Verteidigungsausgaben der Mitgliedstaaten erhöhen. Um öffentliche Mittel auf nationaler Ebene frei zu machen, wird die Aktivierung der nationalen Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts vorgeschlagen. Dies würde es den Mitgliedstaaten erlauben, Verteidigungsausgaben zu tätigen, ohne dass diese auf die EU-relevanten Defizit- und Schuldenkriterien angerechnet werden.
Ein weiteres neu geschaffenes Instrument im Rahmen von ReArm Europe ist SAFE (Security Action for Europe). Hierbei möchte die EU-Kommission bis zu 150 Mrd. Euro auf dem Kapitalmarkt aufnehmen. Diese Mittel sollen in Form von langfristigen, durch den EU-Haushalt besicherte Darlehen und basierend auf nationalen Plänen an die Mitgliedstaaten ausgezahlt werden. Unter den Mitgliedsstaaten und auch im EU-Parlament ist diese gemeinsame Kreditaufnahme zur Verteidigungsbeschaffung jedoch umstritten.
Neben direkten öffentlichen Investitionen setzt man auf eine erweiterte Kreditvergabe für Verteidigungs- und Sicherheitsprojekte durch die Europäische Investitionsbank (EIB). Dies soll für positive Signale auf den Märkten sorgen und private Investitionen ankurbeln. Eine wichtige Rolle kommt dabei auch der Spar- und Investitionsunion zu. Des Weiteren soll es möglich sein, Mittel aus dem Kohäsionsfonds nun für Verteidigungsausgaben umzuwidmen.
Bei all diesen Maßnahmen wird jedoch kaum „frisches Geld“ aufgestockt, sondern es handelt sich eher um Verschiebungen von bestehenden EU-Fördergeldern oder Anreize, öffentliche und private Investitionen auf nationaler oder privater Ebene zu tätigen. Geld, das direkt aus EU-Mitteln fließt bzw. über den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFF) der EU finanziert wird, gibt es im Rahmen des European Defence Fund (EDF), der bereits seit 2021 Mitgliedstaaten bei der Entwicklung von Verteidigungsprojekten unterstützt. Bis 2027 steht hier insgesamt ein Budget von 7,3 Mrd. Euro zur Verfügung. Am 30. April 2025 hat die EU-Kommission bekanntgegeben, im Rahmen des Europäischen Verteidigungsfonds 2024 910 Mio. Euro weiter in den Aufbau einer stärkeren Verteidigungsindustrie zu investieren. Diese Investitionen sollen im Einklang mit dem Weißbuch und dem geplanten ReArm Europe Plan stehen.
Kritische Stimmen
In einer Resolution für Frieden und Sicherheit kritisiert der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) den neuen Verteidigungsplan. Es wird klargestellt: „Sicherheit entsteht nicht durch immer mehr Geld für immer mehr Waffen, sondern dadurch, dass man der Diplomatie, der Konflikt- und Krisenprävention und dem aktiven Engagement für neue Abrüstungs- und Rüstungskontrollinitiativen Vorrang einräumt. Sicherheit bedeutet in erster Linie starke Demokratie und sozialen Fortschritt, bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen.“ (KI-unterstützte Übersetzung) Der EGB warnt davor, dass die vorgeschlagenen Finanzierungsmechanismen zu größerer Ungleichheit innerhalb der EU führen könnten. Ein Kritikpunkt ist auch die Umleitung von Geldern aus dem Kohäsionsfonds zu Verteidigungszwecken, wodurch essenzielle Ausgaben für Bildung, Gesundheit und Infrastruktur gefährdet werden. Der EGB fordert insgesamt die Einrichtung einer permanenten Europäischen Investitionsfazilität, um die langfristigen Herausforderungen - von der grünen und digitalen Transformation bis hin zur Sicherstellung hochwertiger Arbeitsplätze - nachhaltig anzugehen. Gefordert wird auch eine Sicherstellung der Ausgaben zu sozialen Zwecken und die Einbindung der Sozialpartner in die laufenden Diskussionen.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Im Fokus der EU-Politik. Verteidigung und Aufrüstung
EURACTIV: "ReArm Europe": Von der Leyens 800-Milliarden-Aufrüstungsplan und seine Lücken
EURACTIV: Im Fokus: Die Verteidigungsfonds und -programme der EU im Überblick
EURACTIV: EU Commission White Paper sets out steps for 'single market for defence' (nur Englisch)
EGB: Resolution on peace and security (nur Englisch)
EGB: Towards a Coordinated and Fair European Investment Framework for Security and Prosperity (nur Englisch)
FEPS: European defence for security and peace (nur Englisch)