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ZurückDie grüne und digitale Transformation, das Streben nach Wettbewerbsfähigkeit und die Pläne zum Ausbau der Verteidigung in Europa bringen einen massiven Investitions- und damit Finanzierungsbedarf mit sich. Angesichts dessen soll unter dem Titel Spar- und Investitionsunion erneut die Vollendung der Kapitalmarkt- und Bankenunion vorangetrieben werden. Diese enthält jedoch mehrere Elemente, die kritisch zu betrachten sind.
Die Bestrebungen zur Gründung einer Kapitalmarktunion haben bereits eine lange Geschichte. 2014 wurde die Idee von der EU-Kommission ins Leben gerufen. In den vergangenen Jahren folgten mehrere Aktionspläne sowie legislative und nichtlegislative Maßnahmen, jedoch ist es hin zu einer „vollendeten“ Kapitalmarktunion noch ein weiter Weg. Große Baustellen sind zum Beispiel unterschiedliche Insolvenzvorschriften und eine fragmentierte Aufsicht. Am 19. März 2025 veröffentlichte die Kommission eine Mitteilung, um das Projekt erneut voranzutreiben. Ziel ist es, den innerhalb der EU fragmentierten Kapitalmarkt zu integrieren. Das soll europäischen Unternehmen verbesserten Zugang zu privatem Kapital verschaffen, was wiederrum Investitionen und damit die Wettbewerbsfähigkeit und die wirtschaftliche Entwicklung fördern soll.
Eine Auffrischung der Kapitalmarktunion
Die „neue“ Strategie der Spar- und Investitionsunion (SIU) möchte die Marktintegration und Bürgerorientierung in den Mittelpunkt stellen. Die Schaffung einer SIU soll als gemeinsame Verantwortung der EU-Institutionen und Mitgliedstaaten verstanden werden. Dabei werden für die kommenden zwei Jahre 22 Initiativen vorgeschlagen, die in vier Kernbereiche gegliedert sind.
Erstens sollen die Bürger:innen mehr Möglichkeiten bekommen, Einkünfte und Ersparnisse gewinnbringend am Kapitalmarkt anzulegen, insbesondere im Bereich der Altersvorsorge. Hier stehen neben der Betrieblichen Altersvorsorge (IORPs) sogenannte Paneuropäische Private Pensionsprodukte (PEPP) auf der Agenda der EU-Kommission. Das Ziel von PEPP ist es, einerseits privates Sparen für den Ruhestand anzuregen und andererseits einen Pool an Kapital zu schaffen, der für private Investitionen zur Verfügung steht.
Außerdem geht es um die Erleichterung des Zugangs zu Finanzierungen, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen. Es sollen hier zusätzliche Initiativen ergriffen und insbesondere Investitionen in kritischen Sektoren gefördert werden. Private Equity und Risikokapital sollen hier eine wichtige Rolle spielen. Ein entsprechender Legislativvorschlag soll im dritten Quartal vorgelegt werden.
Um die ersten beiden Ziele effizient umzusetzen, zielt die Spar- und Investitionsunion auch darauf ab, Regulierung abzubauen. Grenzüberschreitende Transaktionen sollen erleichtert werden, damit Unternehmen besser expandieren und planen können. Ergänzend dazu will die EU-Kommission Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass Finanzmarktakteure unabhängig von ihrem Standort die gleichen Bedingungen vorfinden. Dies erfordere unter anderem eine einheitlichere Anwendung von Aufsichtsregeln und die Verlagerung von Aufsichtsbefugnissen von nationaler auf EU-Ebene. Es wird jedoch nicht konkretisiert, welche Bereiche der zentralisierten Aufsicht unterliegen sollen.
Im Zuge der SIU soll außerdem auch die Bankenunion weiter ausgebaut werden. In diesem Zusammenhang möchte man etwa den Markt für verbriefte Wertpapiere wiederbeleben. Bei Verbriefungen geht es darum, dass Banken Kredite in Wertpapiere „packen“, die dann inklusive des Ausfallrisikos an Investoren verkauft werden. Diese Wertpapierform hat maßgeblich zur Finanzkrise 2008 beigetragen.
Kritische Stimmen
Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) betont in einer Stellungnahme, dass eine SIU zwar spezifische Finanzierungsprobleme in bestimmten Sektoren, wie etwa bei Start-Ups, lösen könnte. Wesentliche Hemmnisse für private Investitionen, wie zum Beispiel wirtschaftliche Unsicherheit und hohe Energiekosten, werden damit aber nicht angegangen. Der EGB betont die Bedeutung öffentlicher Investitionen, um soziale und ökologische Ziele zu erreichen, und fordert daher eine gerechte Besteuerung. Finance Watch kommt in einem Bericht zu dem Fazit, dass im besten Fall ein Drittel der notwendigen Investitionen über Kapitalmärkte finanziert werden kann. Die restlichen zwei Drittel müssen über die öffentliche Hand generiert werden.
Bei einer Aussprache mit EU-Kommissarin Maria Luís Albuquerque im ECON-Ausschuss des Europäischen Parlaments, begrüßte die Mehrheit der Abgeordneten das Strategiepapier. Aber auch Kritik wurde laut. Evelyn Regner, Abgeordnete im EU-Parlament, fasst zusammen: „(…) eine Deregulierung der Finanzmärkte, wie sie momentan diskutiert wird, dürfen wir nicht zulassen - wohin das führen kann, haben wir 2008 schmerzlich erfahren. Es ist jedoch entscheidend, dass die Schritte hin zur Spar- und Investitionsunion nicht ohne demokratische Legitimation umgesetzt werden.“
Kein Blankoscheck für eine Kapitalmarktunion seitens der AK
Aus Sicht der Arbeiterkammer dürfen die Schutzinteressen privater Kleinanleger:innen und Arbeitnehmer:innen sowie die Finanzmarktstabilität keinesfalls privaten Kapitalinteressen untergeordnet werden. Fraglich ist auch, ob das Ziel der Integration der national fragmentierten Kapitalmärkte ohne eine stärkere Harmonisierung von Regulierung und Vergemeinschaftung der Aufsicht gelingen kann.
Besonders kritisch werden Maßnahmen gesehen, welche Sparer:innen zu riskanten Investitionen und Pensionsvorsorgeprodukten motivieren sollen. Schließlich hat sich das öffentliche Umlagesystem als Stabilisator in Krisen erwiesen und sollte daher Vorrang haben. Auch der Förderung von Verbriefungen steht die AK ablehnend gegenüber. Vielmehr sollten Lücken zur Umgehung von Regulierungen geschlossen werden. Schließlich kann selbst eine „vollendete“ Kapitalmarktunion notwendige öffentliche Investitionen nicht ersetzen.
Ausblick
Die Mitgliedstaaten begrüßen zwar die Ziele der SIU, hinsichtlich einzelner Elemente herrscht jedoch noch Uneinigkeit, insbesondere hinsichtlich einer Kompetenzverschiebung der Aufsicht auf die EU Ebene, für welche sich allen voran Frankreich und die Niederlande einsetzen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sollen ab nun in einem regelmäßigen Dialog bis Ende 2025 weiterentwickelt werden. Eine Halbzeitbilanz soll im zweiten Quartal 2027 veröffentlicht werden.
Weiterführende Informationen
AK EUROPA: Über die Kapitalmarktunion. Ein Gespräch mit dem Chief Economist von Finance Watch, Thierry Philipponnat
AK EUROPA: Den Investitionsbedarf der EU decken. Ein Gespräch mit dem Chief Economist von Finance Watch, Thierry Philipponnat – Teil 2
AK EUROPA: Der Investitionsbedarf in der EU ist enorm. Wie soll er finanziert werden?
A&W-Blog: Kapitalmarktunion – die eierlegende Wollmilchsau?
EU-Kommission: Questions and answers on the Savings and Investments Union (nur Englisch)