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ZurückTurbulente Szenen spielten sich am 8. Juni 2022 im Plenum des Europäischen Parlaments ab: Bei der Abstimmung über die Position des EU-Parlaments zum Emissionszertifikatehandel fand der Endbericht keine Mehrheit. Als Folge wurden die Abstimmungen zum Klima-Sozialfonds sowie dem CO2-Grenzausgleichssystem ausgesetzt und alle drei Dossiers zurück an den Umweltausschuss verwiesen.
Vor knapp einem Jahr – im Juli 2021 – stellte die EU-Kommission ein umfangreiches Legislativpaket unter dem Namen „Fit For 55“ vor. Dieses hat zum Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 % zu senken. Ein zentrales Dossier dafür ist die Reform des Emissionszertifikatehandels (ETS), der auf die Bereiche Raumwärme und Straßenverkehr ausgeweitet werden soll. Gleichzeitig soll ein Klima-Sozialfonds eingerichtet werden, um die negativen Auswirkungen auf vulnerable Bevölkerungsgruppen abzuschwächen. Außerdem soll ein CO2-Grenzausgleichsystem geschaffen werden, um die Produktion von CO2-intensiven Erzeugnissen in Länder mit niedrigeren Umweltauflagen zu vermeiden. Die bisher zugewiesenen Gratiszertifikate für Unternehmen im Rahmen des ETS-Handels, um die Verlagerung der Produktion in Länder mit geringeren Auflagen zu vermeiden, sollen mit der Einführung dieses Grenzausgleichs stufenweise auslaufen.
Lobbying zum Aufweichen von Klimazielen zeigte Erfolg
Während im federführenden Umweltausschuss bei der Abstimmung am 17. Mai 2022 das stufenweise Auslaufen der Gratiszertifikate von 2024 bis 2030 gefordert wurde, stimmte nun im Plenum eine Mehrheit der Abgeordneten rund um die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EPP) für einen Abänderungsantrag, der dieses Auslaufen um vier Jahre nach hinten verschoben hätte – von 2028 bis 2034. Der Tsunami an Lobbying, den manche Abgeordnete rund um diese Gesetzesvorschläge beklagt hatten, zeigte somit Erfolg. Bei der abschließenden Abstimmung im Europäischen Parlament zur Gesamtfassung des Berichts gab es schlussendlich aber keine Mehrheit für den Bericht.
Aufgeladene Stimmung im EU-Parlament
Dass 340 Abgeordnete und damit die Mehrheit im Plenum einem Endbericht die Mehrheit verwehrt, ist ein seltenes Ereignis und kommt einem politischen Erdbeben in Straßburg gleich. Letztes bekanntes Beispiel war die Plenumsabstimmung zum Mobilitätspaket im Juli 2018. Während sich damals die Fronten weniger durch die Fraktionen des Parlaments zogen, sondern vielmehr zwischen den Abgeordneten der verschiedenen Mitgliedstaaten, so ist es nun beim ETS der gegenteilige Fall: Die Fraktionen der Sozialdemokrat:innen, Grünen und Linken stimmten nahezu geschlossen gegen den Endbericht zum ETS, die Abgeordneten der Europäischen Volkspartei (EPP) sowie Liberalen fast einstimmig dafür. Die Mehrheit gegen den Bericht kam schließlich dadurch zustande, dass auch die beiden rechten Fraktionen des EU-Parlaments gegen den Endbericht stimmten, was Abgeordnete der EPP dazu brachte, den Fraktionen der Sozialdemokrat:innen und Grünen eine Zusammenarbeit mit der extremen Rechten vorzuwerfen. Dabei übersehen sie aber, dass die Zustimmung der extremen Rechten gleichermaßen die Mehrheit jener Abänderungsanträge sicherte, die Klimaambitionen in diesem Vorschlag maßgeblich abzuschwächen.
Mit der Rückverweisung der Dossiers an den Umweltausschuss beginnen die Verhandlungen wieder von vorn, und die derzeit aufgeheizte Stimmung dürfte das Finden von Kompromissen nicht leichter machen. Dafür hat das Plenum die Endberichte für fünf weitere Dossiers des „Fit For 55“-Pakets angenommen, unter anderem jenen zu den CO2-Standards für PKW, das den Kommissionsvorschlag zum Verbot des Verkaufs von PKW mit Verbrennungsmotoren ab 2035 bestätigt hat. Für diese Dossiers können die abschließenden Verhandlungen mit dem Rat starten, wenn dieser seine generelle Ausrichtung festgelegt hat.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Gerechter Weg zur Klimaneutralität!
AK EUROPA: „Fit for 55“ – Europas Weg zur Klimaneutralität
AK EUROPA Positionspapier: „Fit for 55“ Paket I – Bepreisung von Treibhausgasemissionen
AK EUROPA Positionspapier: Energie- und Klimahilfsfonds