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ZurückAm 22. Oktober sprach der scheidende Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor dem Europäischen Parlament. In seiner Abschiedsrede bedankte er sich für die Zusammenarbeit und zog nach fünf Jahren an der Spitze der Europäischen Kommission Bilanz.
Am Anfang seiner 25-minütigen Rede rief Jean-Claude Juncker in Erinnerung, dass bereits zu Beginn seiner Amtszeit viel auf dem Spiel stand: Es sei eine Kommission „der letzten Chance“ gewesen, die Zustimmungsraten zur Kommission und zu den anderen europäischen Institutionen seien 2014 niedrig gewesen. Auch deshalb wollte Juncker eine „politische Kommission“ schaffen, besetzt mit bekannten und gewählten Personen aus den Mitgliedsstaaten, die den BürgerInnen die EU näherbringen sollten.
„Polykrisen“ der EU
Während der Amtszeit von Juncker musste die EU viele Krisen meistern: Die zäheste und unendlichste ist wohl der Brexit, den er selber als „Zeit- und Energieverschwendung“ brandmarkte. Auch der drohende Austritt Griechenlands aus der EU im Zuge der Schuldenkrise gehörte zu den prägendsten Momenten seiner Amtszeit. Dazu sagte der ehemalige luxemburgische Premierminister selber, er sei stolz, den Verbleib Griechenlands geschafft zu haben – und das obwohl er viele Anrufe von PremierministerInnen erhalten habe, die ihm nahegelegt hatten „sich rauszuhalten“. Als Misserfolg bezeichnete Juncker, dass immer noch keine Lösung im Zypern-Konflikt gefunden worden sei, ebenso wie das institutionellen Rahmenabkommen mit der Schweiz nicht zustande gekommen sei. Juncker zeigte sich ebenfalls enttäuscht über das Ausbleiben der Bankenunion. Schuld daran seien die Mitgliedsstaaten, die die Initiative blockierten.
Stärkung der sozialen Dimension
Neben seinem Krisenmanagement verwies Juncker auf die Stärkung der sozialen Dimension, die er als Erfolg verbuchen könne. Mit der Einführung der Europäischen Säule sozialer Rechte sei es ihm um die Würde der ArbeiternehmerInnen Europas gegangen. Dazu habe ebenfalls der sogenannte Juncker-Plan beigetragen, der direkt zu Beginn seiner Amtszeit vorgelegt wurde. Dieses Investitionsprogramm generierte in seiner Laufzeit 432 Milliarden Euro. Daraus – so der scheidende EU-Kommissionspräsident – resultierten 0,9 % Wirtschaftswachstum und 1,1 Millionen neu geschaffene Arbeitsplätze. Weiters betonte Juncker das Rekordhoch der Beschäftigungsrate und den europaweiten Rückgang der Arbeitslosenquote.
Lob und Kritik der Abgeordneten
Während Manfred Weber von der Europäischen Volkspartei Juncker für seine Prinzipientreue und für sein Engagement für die europäischen Grundwerte lobte, kritisierten Abgeordnete der Linken (GUE/NGL) und der Grünen den scheidenden Präsidenten. Philippe Lamberts von den Grünen sprach Junckers Untätigkeit, gar Blockade, im Kampf gegen Steuerhinterziehung und seine Schonhaltung gegenüber Steuerparadiesen an. Zu letzteren gehöre schließlich auch Junckers Heimatland Luxemburg. Vor allem MdEP Manon Aubry von den französischen Linken wurde deutlich: Juncker, als Mitverantwortlicher der Lux-Leaks, mit dem Kampf gegen Steuerhinterziehung zu beauftragen, wäre genauso wie „Monsanto zu fragen, Pestizide abzuschaffen“. Die Grünen meinten überdies, dass Juncker seine soziale Ader unter Beweis gestellt habe, allerdings sei Klimapolitik unter seiner Präsidentschaft auf der Strecke geblieben. Iratxe García Pérez, Vorsitzende der S&D-Fraktion, äußerte ihre Anerkennung für die Arbeit der KommissarInnen im „Team Juncker“, allen voran Frans Timmermans‘ Engagement für die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien. Sie lobte ebenfalls Junckers Abkehr von strikter Sparpolitik für krisengebeutelte Mitgliedsstaaten.
Vive l’Europe, es lebe Europa.
Trotz berechtigter Kritikpunkte verabschiedete sich gestern ein großer Europäer. Juncker selbst mahnte, Frieden in Europa nie für selbstverständlich zu halten und „beschränkte und dumme Nationalismen mit aller Kraft zu bekämpfen“. Europa müsse geschlossen agieren, um überhaupt noch eine Stimme auf der politischen Weltbühne zu haben.
Weiterführende Informationen:
Europäisches Parlament: Bilanz der Juncker-Kommission
AK EUROPA: Neue Kommission 2019-2024
AK EUROPA: Strategische Agenda 2019-2024