Nachrichten
ZurückZum Höhepunkt der Hearings der 1. Runde der designierten Kommissionsmitglieder standen am 8. Oktober 2019 im EU-Parlament jene der drei exekutiven VizepräsidentInnen auf der Tagesordnung. Einer davon war der Sozialdemokrat Frans Timmermans, der als erster exekutiver Vizepräsident vor allem den Grünen Deal für Europa planen und umsetzen soll.
Der Niederländer Frans Timmermans, der bereits in der Kommission von Jean-Claude Juncker als erster Vizepräsident für die Themen der besseren Rechtsdurchsetzung und Rechtstaatlichkeit zuständig war, soll unter Ursula von der Leyen einen Grünen Deal für Europa erarbeiten. Wie auch alle anderen designierten KommissarInnen musste auch er sich einem dreistündigen Hearing vor dem Europäischen Parlament stellen und vorab Fragen schriftlich beantworten. Seinen Auftritt vor den Abgeordneten der Umwelt-, Verkehrs- und Industrieausschüsse nutzte er, um seine Leuchtturmprojekte für den Grünen Deal in der kommenden Periode zu erläutern.
Grüne Linien
In 100 Tagen ab Beginn seiner Amtszeit soll ein konkreter Plan für die Umsetzung des Grünen Deals auf dem Tisch liegen. Schon jetzt stellt sich das Projekt als sehr ambitioniert dar: Auf wissenschaftlicher Basis und mit viel Überzeugungskraft möchte er dafür sorgen, dass alle Mitgliedsstaaten ihre Ziele zur Reduktion des CO2-Ausstoßes für 2030 auf -55% erhöhen. Aktuell sind -40% vorgesehen.
Ein besonders wichtiger Sektor in Timmermans Plan ist der Verkehr. Die von ihm geplanten Maßnahmen sind noch nicht sehr konkret, aber die Ziele sind klar abgesteckt: Emissionsfreie Autos, der Ausbau und die Verlagerung des Personen- und Lastverkehrs auf die Schiene sowie die Verteuerung von Schiff- und Luftfahrt. Auch die Staaten außerhalb der EU möchte Timmermans dazu bringen, sich an ambitionierte Klimaziele zu halten. Sollte der diplomatische Ansatz nicht erfolgreich sein, wäre er bereit, auch Maßnahmen wie eine Karbonsteuer an der europäischen Außengrenze einzuführen. Damit würden die realen Kosten der importierten Produkte genauer widergespiegelt und jene mit weniger Auswirkungen auf die Umwelt günstiger sein. Reale Kosten würden die von Unternehmen verursachten negativen Folgen für Umwelt und Menschen, die von der Allgemeinheit getragen werden müssen, miteinrechnen und daher die Realität genauer widerspiegeln.
Um all dies umsetzen zu können, müssen alle Teile der Kommission effektiv zusammenarbeiten. Denn die Zuständigkeiten für den Verkehr und die Steuern sind wie auch der Handel anderen KommissarInnen zugeordnet. Dementsprechend betont Timmermans auch die Notwendigkeit, dass alle gemeinsam in die richtige Richtung rudern müssen. Das gewichtigste Wort liegt aber jedenfalls bei ihm, denn die anderen KommissarInnen sind ihm als exekutivem Vizepräsidenten untergeordnet.
Auch wenn sich das schnelle Vorlegen des Aktionsplanes innerhalb von 100 Tagen auf den ersten Blick sehr positiv anhört, so beinhaltet diese schnelle Vorgehensweise auch kritische Aspekte: Mit Verordnungs- und Richtlinienentwürfen gehen normalerweise umfangreiche offizielle Konsultationsprozesse einher, die gerade der Zivilgesellschaft und Interessenvertretungen wie AK und ÖGB die Möglichkeit geben, vorab ihre Positionen und Bedenken zu äußern. Dies ist bei einer Umsetzung von 100 Tagen nicht oder nur in eingeschränktem Maße realistisch. Falls der Aktionsplan aber „nur“ eine Mitteilung über die weiteren geplanten Maßnahmen und konkretere Ziele ohne Legislativvorschläge umfasst, wird der gesamte Prozess deutlich länger dauern, bis wir in der EU konkrete und verbindliche Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel haben werden.
Rote Linien
Frans Timmermans betonte während des Hearings mehrfach, dass eine just transition, also ein sozial gerechter Übergang, ein essentieller Teil hin zu einer klimaneutralen EU sein muss. Allerdings ließ er die Frage, wie beispielsweise der just transition fund finanziert werden soll, offen. Dieser Aspekt ist aber essentiell, um die Mitgliedsstaaten, die den Veränderungen kritisch gegenüberstehen, überzeugen zu können. Insbesondere Polen mit seiner Kohle- und Automobilteilindustrie ist noch sehr zurückhaltend, wenn es um ambitionierte CO2-Ziele geht. Aber auch andere zentral- und osteuropäische Länder sowie rechte Parteien in vielen Mitgliedsstaaten sind skeptisch oder leugnen sogar die Existenz des Klimawandels. Daher gab es auch Kritik einiger weniger EU-kritischer Abgeordneter, die unter anderem die Bewegung „Fridays for future“ und deren Initiatorin Greta Thunberg lächerlich machten. Timmermans konterte jedoch gekonnt mit der Feststellung, dass die inhaltlichen Argumente der Abgeordneten wohl sehr schwach sein müssten, wenn sie einzig Kritik an einer 16-jährigen Klimaaktivistin äußern würden.
Ziellinie
Die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten kam zum Schluss, dass es sich bei Frans Timmermans um den geeigneten Kandidaten handle, um einen Grünen Deal für Europa umzusetzen. Die Abstimmung im Europäischen Parlament über alle KandidatInnen für die neue Kommission wird voraussichtlich gesammelt am 23. Oktober stattfinden. Wenn sich eine Mehrheit der Abgeordneten für die Kommission ausspricht, so wird sie am 1. November 2019 ihre Arbeit aufnehmen. Unklar sind bislang noch die Nachbesetzungen aus Ungarn und Rumänien, für die auch noch keine Hearingtermine festgesetzt wurden. Zusätzlich ist die Französin Goulard vom Parlament nach dem zweiten Hearing mit großer Mehrheit und gegen den Druck der Mitgliedsstaaten abgelehnt worden. Das EU-Parlament hat damit gezeigt, dass es seine wichtige Rolle bei der Wahl der Kommissionsmitglieder auch tatsächlich wahrnimmt. Damit könnte es beim Zeitplan also noch Verzögerungen geben.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA Soziales Europa im Klimawandel: Einen gerechten Umstieg möglich machen
AK EUROPA Positionspapier: Auf dem Weg zu einem nachhaltigen Europa bis 2030
A&W Blog Es gibt keinen Plan(eten) B. Höchste Zeit für sozial gerechten Klimaschutz!