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ZurückUm die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, wurde auf EU-Ebene das Ziel ausgerufen, Bürokratie und Berichtspflichten vor allem im Sinne von Unternehmen abzubauen. Dies mündet immer mehr in einer weitreichenden Deregulierungsagenda, die eine Vielzahl von Bereichen betrifft. Die Rechte von Arbeitnehmer:innen und Konsument:innen geraten damit unter Druck. Mittels mehrerer Omnibus-Pakete wird im Schnellverfahren in eine Vielzahl von EU-Legislativakten eingegriffen, wobei jedoch der Omnibus I im EU-Parlament jüngst – zumindest vorerst – angehalten wurde. Unterdessen stehen weitere Omnibus-Pakete am Start.
Spätestens mit dem Draghi-Bericht im September 2024 rückte die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in den Fokus der EU-Politik. Neben einem deutlichen Ausbau wichtiger Investitionen wird auch ein Abbau von Bürokratie und Berichtspflichten für Unternehmen empfohlen. Unter dem Schlagwort Vereinfachung stellt dies dann ein zentrales Element der zweiten Amtsperiode von Ursula von der Leyen dar, begleitet von erheblichem Lobbying von Unternehmensverbänden. Zu den konkreten Zielen gehören die Verringerung von Verwaltungskosten und Berichtspflichten um mindestens 25 % für alle Unternehmen (Einsparungen in Höhe von 37,5 Mrd. €) und um mindestens 35 % für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) bis 2030. Tatsächlich geht dies über weite Strecken in eine Deregulierungsagenda über. Beim informellen EU-Gipfel in Kopenhagen Anfang Oktober machte die Kommissionspräsidentin klar: „Denn wenn wir uns die Vereinfachung ansehen, sind wir uns alle einig, dass wir Vereinfachung brauchen, dass wir Deregulierung brauchen. Wir brauchen sie auf europäischer Ebene. Tatsächlich brauchen wir sie auch auf nationaler Ebene, wo es um Gold Plating geht.“ Während das 28. Regime nationales Recht auszuhöhlen droht, wird die Deregulierung auf EU-Ebene vor allem mit den sogenannten Omnibus-Paketen vorangetrieben.
Omnibusse „umfahren“ demokratische Abstimmungsprozesse
Charakteristisch für die Omnibus-Pakete ist der Eingriff in mehrere EU-Legislativakte gleichzeitig, was sehr oft mittels „Fast track“-Gesetzgebung passiert. Das heißt, die Vorschläge werden teilweise ohne die sonst üblichen Konsultationen vorgelegt. Im Rat wurde zudem abseits der ursprünglichen inhaltlichen Zuständigkeiten eine eigene Formation ins Leben gerufen, während man im EU-Parlament teilweise zu Eilverfahren übergeht. Seit Anfang 2025 hat die EU-Kommission auf Ersuchen des Europäischen Rates dem Ministerrat und dem EU-Parlament sechs Omnibus-Vorschläge vorgelegt, und es sind weitere am Start.
Omnibus I zu Lasten der Nachhaltigkeitsgesetze vorerst gebremst
Der Omnibus I greift in die Nachhaltigkeits-Bestimmungen ein. Dies bedeutet eine Aushöhlung der Lieferkettenrichtlinie (CSDDD), womit die Chancen zur Durchsetzung von Menschenrechten gemindert werden. Außerdem ist eine Abschwächung der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) vorgesehen, wodurch die Erreichung der EU-Klimaziele mangels transparenter Daten deutlich erschwert wird. Gerade auch der Omnibus I wird von massivem Lobbying begleitet. Nachdem man im Rat die Umsetzung dieses Omnibusses zur höchsten Priorität erklärt hat, ringt das EU-Parlament noch um seine Position. Die Abgeordneten haben sich dagegen ausgesprochen (318 zu 309 Stimmen), mit dem im Rechtsausschuss ausverhandelten Bericht die finalen Trilog-Verhandlungen mit Rat und Kommission zu beginnen. Am 13. November stimmt daher das Plenum des EU-Parlaments erneut ab; Abänderungsanträge sind zu erwarten. Dies zeigt, wie umstritten das Omnibus I Paket ist.
„Das Lieferkettengesetz wurde nicht beschlossen, um Unternehmen mit Papierkram zu überhäufen. Bei der Debatte verliert man schnell aus den Augen, worum es eigentlich geht: Dass Tragödien wie der Zusammensturz der Rana-Plaza-Textilfabrik in Bangladesch in Zukunft verhindert werden“, so die Abgeordnete Evelyn Regner. Während auch der Europäische Gewerkschaftsbund im Vorfeld zu einer Ablehnung des Entwurfs aufgerufen hatte, missfiel den Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel am 22. und 23. Oktober das Abstimmungsergebnis aus dem EU-Parlament deutlich und wurde von Bundeskanzler Friedrich Merz gar als „inakzeptabel“ bezeichnet. Auch die Ankündigung der Präsidentin des Parlaments, Roberta Metsola, dass das Parlament auf jeden Fall liefern werde, lässt aufhorchen.
Weitere Omnibusse am Weg
Beim Omnibus II zu EU-Investitionen geht es neben der Vereinfachung von Berichtspflichten für die Bezieher:innen der EU-Unterstützung auch um eine Ausweitung der öffentlichen Garantien um 2,9 Mrd. Euro, was tatsächlich deutlich über das Ziel der „Vereinfachung“ hinausgeht. Über das Programm „InvestEU“ sollen zusätzlich öffentliche und private Investitionen in Höhe von 50 Mrd. Euro angestoßen werden. Das Omnibus-Paket III greift unterdessen in die Gemeinsame Agrarpolitik ein. Es sollen Umweltanforderungen vereinfacht, Kontrollen unter anderem mittels Satelliten gestrafft und Vor-Ort-Kontrollen verringert werden. Weiters ist vorgesehen, Zahlungsregelungen zu vereinfachen und die Finanzierung für Landwirte in Krisenzeiten zu verbessern.
Mit dem Omnibus IV führt die EU-Kommission eine neue Unternehmenskategorie, die Small Mid Caps (SMC) ein, welche weniger als 750 Beschäftigte (KMU bis zu 250 Beschäftigte) haben, deren Umsatz unter 150 Mio. Euro liegt und deren Bilanzsumme weniger als 129 Mio. Euro beträgt. Bestimmte legislative Ausnahmen für KMU sollen auch für SMC gelten. Davon sind acht bestehende Rechtsakte betroffen, und es wurde eine Konsultation durchgeführt, an der sich auch die AK beteiligte. Die AK spricht sich dabei gegen die faktische Ausweitung der KMU-Definition und damit bestimmter Ausnahme-Regelungen auf SMC aus. Bemängelt werden eine fehlende Folgeabschätzung und die mögliche Benachteiligung sehr kleiner Unternehmen. Insbesondere lehnt die AK die Ausnahme von SMC im Zusammenhang mit der DSGVO ab, die sich auf das Führen eines Verarbeitungsverzeichnisses bezieht. Wird ein solches nicht geführt, bedeutet das eine massive Aushöhlung des Datenschutzes, sodass etwa auch die Rechtsdurchsetzung nicht mehr uneingeschränkt möglich wäre.
Beim Omnibus V geht es um Verteidigung, ein Thema, welchem auf EU-Ebene aktuell höchste Priorität zukommt. Ziel ist es, hier Investitionen voranzutreiben, die Bedingungen für die Verteidigungsindustrie zu erleichtern und diese zu fördern sowie die Beschaffung zu vereinfachen. Betroffen ist auch das Vergaberecht, wo es zu einem “fast-track”-Verfahren für Verteidigungsinfrastrukturprojekte kommen soll. Besonders kritisch ist die Erwähnung der Arbeitszeit-Richtlinie in diesem Kontext zu sehen. Der Omnibus VI bezieht sich auf Chemikalien und geht mit einer Abschwächung der Bestimmungen bei der Verpackung von gefährlichen Stoffen (CLP), der Kosmetika-VO und bei Düngemitteln einher.
Lage und Ausblick
Mitte Oktober wurde von Stéphane Séjourné, exekutiver Vizepräsident der EU-Kommission, der Jahresfortschrittsbericht 2025 über Vereinfachung, Umsetzung und Durchsetzung vorgestellt. Dabei wird von Kosteneinsparungen für Unternehmen allein aufgrund der Pakete I, II, IV und VI von 7 Mrd. Euro ausgegangen. Seitens der Kommission wurden Umsetzungsdialoge – unter anderem mit dem Chemiesektor – und sogenannte Reality Checks mit Interessenträgern der Automobil- und Chemieindustrie durchgeführt. In diesen neu eingeführten Formaten werden Gewerkschaften und Vertreter:innen der Zivilgesellschaft oftmals nicht gehört oder sind deutlich unterrepräsentiert. Séjourné plant weitere Omnibus-Pakete und Umsetzungsdialoge, insbesondere im Bausektor. Außerdem möchte er die Zusammenarbeit mit dem EU-Parlament und dem Rat vertiefen. Im Europäischen Rat im Oktober wurde von den Staats- und Regierungschefs gefordert, dass das Omnibus I Paket Ende 2025 verabschiedet wird, die anderen fünf so bald wie möglich Anfang 2026. Wie umfassend die Agenda auch darüber hinaus ist, zeigt sich an weiteren geplanten Omnibus-Paketen, die sich auf die Bereiche Digitales, Umwelt, Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit, Fahrzeuge, Energieproduktgesetzgebung, Steuern und Bürger beziehen sollen. Ursula von der Leyen kündigte außerdem an, dass die Kommission 2026 ihre Gesetzgebungsgrundsätze im Sinne der Vereinfachung reformieren werde. Und im Rahmen der kommenden zyprischen Ratspräsidentschaft soll Vereinfachung zur Priorität werden.
AK lehnt Abschwächung sozialer Standards ab
Die AK sieht die Omnibus-Initiativen durchwegs äußerst kritisch. Es drohen immer mehr Sozial- und Umweltstandards ausgehöhlt und Rechte von Arbeitnehmer:innen und Konsument:innen bzw. Gemeinwohlinteressen abgeschwächt zu werden. Auch die Vorgehensweise ist demokratiepolitisch zweifelhaft und unterminiert die Rechtssicherheit, nicht zuletzt deshalb, weil gerade erst beschlossene EU-Gesetze erheblich geschwächt werden würden. Schließlich ist es äußerst zweifelhaft, ob es mit dem Regulierungsabbau zur erhofften Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit kommt.
Weiterführende Informationen:
Europäische Kommission: Vereinfachung
Rat: Vereinfachung der EU-Vorschriften
Europäisches Parlament: Sustainability reporting and due diligence: simpler rules for fewer companies
Arbeiterkammer Wien: Deregulierungswelle: Wenn Schutzregeln fallen
AK EUROPA: Nachhaltigkeits-Omnibus. Vereinfachung der Lieferkettenrichtlinie oder Abschwächung von Menschenrechtsverpflichtungen?
AK EUROPA: Unternehmensrecht: Ein gemeinsames 28. Regime auf EU-Ebene birgt die Gefahr der Aushöhlung wichtiger Schutzstandards
AK EUROPA: Studie zur EU-Lieferkettenrichtlinie: CSDDD als Chance, Menschenrechte durchzusetzen und gleichzeitig die Wirtschaft zu stärken
A&W-Blog; Omnibus: Wie die EU-Kommission Schutzvorschriften im Eiltempo loswerden will