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ZurückDie EU-Kommission plant zusätzlich zu den 27 Gestaltungsregeln auf nationaler Ebene die Einführung eines optionalen EU-Regelungssystems für Unternehmen, bekannt als das „28. Regime“. Während von Unternehmensseite die Erleichterung europaweiter Tätigkeiten und der verbesserte Zugang zu Risikokapital betont wird, warnt die Arbeitnehmer:innenseite eindringlich vor einer Aushöhlung wichtiger Schutzstandards etwa in den Bereichen Arbeitsrecht oder Unternehmensmitbestimmung. Die Interessen der Arbeitnehmer:innen müssen daher unbedingt berücksichtigt werden. Dabei stellt sich auch die Grundsatzfrage, ob dieser neue Rechtsrahmen überhaupt erforderlich ist.
Die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten unterliegen einem laufenden Harmonisierungsprozess, wobei gleichzeitig aber auch nationale Standards – etwa im Arbeits- und Steuerrecht oder bei der Unternehmensmitbestimmung – berücksichtigt werden müssen. „Wir werden innovativen Unternehmen stattdessen anbieten, in der gesamten Union nach einheitlichen Regeln zu arbeiten. Wir nennen dies das 28. Regime“, so EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Damit meint sie ein optionales Regelungssystem auf EU-Ebene, um die grenzüberschreitende Gründung und Führung von Unternehmen und den Zugang zu Risikokapital zu erleichtern. Kritiker:innen befürchten jedoch eine Aushöhlung unter anderem der bereits angesprochenen nationalen Standards. Während bis Ende September eine Konsultation der EU-Kommission durchgeführt wurde, wurde im EU-Parlament ein Berichtsentwurf mit Vorschlägen für die konkrete Ausgestaltung eines 28. Regimes debattiert.
Starke Stimmen zur Schaffung eines 28. Regimes
Sowohl im April im Letta-Bericht wie auch im September im Draghi-Bericht letzten Jahres wird ein 28. Regime vorgeschlagen. In Letzterem heißt es, es könnte „(…) ein freiwilliges 28. Unternehmensregelwerk zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht sowie einiger wichtiger Aspekte des Arbeitsrechts und des Steuerrechts, das schrittweise ehrgeiziger gestaltet werden soll, geprüft werden“. Die Idee wurde im Rahmen des EU-INC Vorschlags von einer Lobbygruppe von Start-Ups weiter ausformuliert. Laut des im Jänner 2025 vorgelegten Dokuments solle es einen EU-weiten Unternehmenstyp geben, dessen Registrierung einfach, digital und schnell (innerhalb von 24 Stunden) funktioniere. Der Zugang zu Risikokapital solle über eine Investment-Instrument sichergestellt und vereinfacht werden. Arbeitnehmer:innen können Informations- und Konsultationsrechte bekommen, aber das Recht, mit Sitz und Stimme im Aufsichtsrat vertreten zu sein wird explizit abgelehnt. Corporate Europe Observatory stellt die umfassenden Lobbyaktivitäten zur Schaffung eines 28. Regimes dar und kritisiert, dass der EU-INC Vorschlag auch den Kommissionsdiskurs bestimmt.
Die Debatte im EU-Parlament
Unterdessen hat das EU-Parlament einen Initiativbericht zum 28. Regime entwickelt. Der Berichterstatter René Repasi (S&D) präsentierte seinen Bericht im Rahmen einer Debatte, die von MEP Evelyn Regner, AK EUROPA, dem ÖGB Europabüro und der Österreichischen Notariatskammer organisiert wurde. Er sieht die Chancen vor allem in der Erleichterung des Zugangs zu Risikokapital, verweist jedoch auch auf Gefahren zur Umgehung nationaler Schutzrechte. Im Bericht wird die Einführung einer Unternehmensform namens „European Start-Up and Scale-Up“ (ESSU) vorgeschlagen. Anders als im EU-INC-Vorschlag soll laut Repasi die neue EU-Unternehmensform als Richtlinie statt als Verordnung implementiert werden, um den Mitgliedsstaaten auf nationaler Ebene Anpassungen zu ermöglichen.
Eine zentrale Frage ist auch, ob sich das 28. Regime tatsächlich nur auf „innovative Unternehmen“ beschränken lässt, wie von der EU-Kommission angedacht. Schließlich gibt es keine klare Definition von Start-Ups und Scale-Ups. Repasi sieht daher Einschränkungen für die Berechtigung von Unternehmen vor, um sich als ESSU eintragen zu lassen. Genau dies wird jedoch in einer Analyse, welche vom Rechtsausschuss des EU-Parlaments beauftragt wurde, als Problem gesehen. Darin heißt es: „Anstatt den Zugang zu beschränken, sollte das 28. Regime für Unternehmen aller Art offen sein und auf die Bedürfnisse innovativer Unternehmen zugeschnitten sein, einschließlich solcher mit einer Ausstiegsstrategie, die Risikokapital anziehen möchten, und solcher mit einer Vision langfristiger Unabhängigkeit.”
Kritik an den Vorschlägen von Seiten der Arbeitnehmer:innen
Die Idee zum 28. Regime ist keineswegs neu. Tatsächlich gibt es bereits seit 2001 mit der Europäischen Gesellschaft (SE) die Möglichkeit für Aktiengesellschaften, europaweit unter einem einheitlichen Regelwerk tätig zu sein. Das Europäische Gewerkschaftsinstitut hebt hervor, dass bereits die Einführung der SEs trotz diverser Schutzbestimmungen zu einem eklatanten Rückgang von Partizipations- und Mitbestimmungsmöglichkeiten der Beschäftigten geführt hat und sieht diese Gefahr auch im Zusammenhang mit dem 28. Regime. Der Europäische Gewerkschaftsbund übt außerdem scharfe Kritik an allen Plänen, die eine Einbindung von Arbeits-, Steuer- oder Kollektivvertragsrecht vorsehen. Die große Gefahr bestehe darin, dass es zu einer Umgehung von Mitbestimmungs- und Gewerkschaftsrechten sowie von Kollektivverträgen komme.
Die Arbeiterkammer weist darauf hin, dass es tatsächlich keinen Bedarf zur Schaffung eines 28. Regimes gibt. Vielmehr wurde mit den Digitalisierungsrichtlinien I und II bereits die Grundlage für die Optimierung digitaler Werkzeuge geschaffen und auch das EU Mobilitätsgesetz fördert und vereinfacht grenzüberschreitende Umstrukturierungen. Ein 28. Regime wäre hingegen eine Einladung an Unternehmen, in den Bereichen Arbeits-, Steuer- und Insolvenzrecht die für sie bestmögliche Option wählen. Dies würde zu einem Unterbietungswettlauf bei Sozial- und Arbeitsstandards, zur Aushöhlung von Mitbestimmungsrechten und zur Reduzierung gesellschaftsrechtlicher Mindeststandards führen.
Wie geht es weiter?
Der Berichtsentwurf von René Repasi wird aktuell im Rechtsausschuss diskutiert und wird voraussichtlich nicht vor Jänner 2026 ins Plenum gehen. Für das erste Quartal 2026 wird ebenso – auch basierend auf den Ergebnissen der Konsultation - der Vorschlag der Europäischen Kommission erwartet.
Weiterführende Informationen:
EU-Kommission: Konsultation zum 28. Regime
AK EUROPA Position: Konsultation zum 28. Regime - ein EU Rechtsrahmen für Unternehmen
EU-Parlament: Initiativbericht (Entwurf) zum 28. Regime
EU-Parlament: In-Depth-Analyse beauftragt durch den Rechtsausschuss
ETUI Policy Brief: How a 28th company law regime jeopardises workers’ rights
Europäischer Gewerkschaftsbund: Stellungnahme zu den Kommissionsplänen
Corporate Europe Observatory: A social dumping disaster? EU´s 28th Regime´plans could help corporations bypass member states rules