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ZurückMit dem Europäischen Semester versucht die EU, die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten besser aufeinander abzustimmen, um wirksamer gegen Wirtschaftskrisen gerüstet zu sein. Um speziell die Eurostaaten wettbewerbsfähiger zu machen, schlug die Europäische Kommission im Juli 2019 einen zusätzlichen Steuerungsrahmen vor, der die Reform- und Investitionsprioritäten für die Eurozone vorgeben soll. Aus Sicht von AK EUROPA geht dieser Vorschlag aber in die falsche Richtung.
Seit 2011 ist das sogenannte Europäische Semester zentraler Bestandteil der Europäischen Wirtschaftspolitik: Jedes Jahr erstellt die Kommission einen Jahreswachstumsbericht für die EU, Länderberichte für jeden Mitgliedsstaat und schließlich länderspezifische Empfehlungen. Diese sahen 2019 für Österreich beispielsweise die Erhöhung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters vor. Gleichzeitig kritisierte die Kommission aber auch den zunehmenden Druck, dem die Sozialpartnerschaft in Österreich ausgesetzt ist sowie die „bemerkenswerte Ungleichverteilung der Vermögen in Österreich und der Tatsache, dass Erbschaften und Schenkungen nicht besteuert werden“.
Um die Länder der Eurozone zusätzlich besser aufeinander abzustimmen, schlug die Kommission im Juli 2019 ein zusätzliches Instrument vor, das sich nur an die Euroländer richtet, nämlich einen Steuerungsrahmen für das Euro-Währungsgebiet. Demnach soll zukünftig die Kommission jährlich strategische Vorgaben für Reform- und Investitionsprioritäten machen. Anschließend sollen davon länderspezifische Leitlinien formuliert werden. Ziel ist es, die Widerstandsfähigkeit der Volkswirtschaften gegen Krisen im Euroraum zusätzlich zu erhöhen.
Aus Sicht der AK ist jedoch schon die Grundlage dieses Steuerungsrahmens, nämlich die derzeitige Ausgestaltung des Europäischen Semesters, als ungeeignet zu bewerten. Die länderspezifischen Empfehlungen stellen eine Aneinanderreihung von Forderungen dar, die vielfach willkürlich, sachlich ungerechtfertigt und überdies sozial unausgewogen erscheinen. Sie stehen zudem auch den in den EU-Verträgen verankerten sozialen Grundsätzen einer wohlstandsorientierten Politik entgegen. Das zeigen frühere Empfehlungen der Kommission, in denen zB eine Dezentralisierung der Kollektivvertragssysteme oder auch eine Anhebung des allgemeinen gesetzlichen Pensionsantrittsalters – dies sogar entgegen eigenen empirischen Berechnungen – empfohlen worden war. Die AK fordert daher vielmehr eine Neuausrichtung des Europäischen Semesters, die sich nach dem sogenannten magischen Vieleck für eine wohlstandsorientierte Wirtschaftspolitik ausrichtet.
Die länderspezifischen Empfehlungen des Europäischen Semesters, auf denen diese neuen „länderspezifischen Leitlinien“ fußen sollen, wurden von Seiten der Kommission in den letzten Jahren von der reinen wirtschaftspolitischen Betrachtung schrittweise auf andere Politikbereiche ausgeweitet. Mittlerweile umfassen sie fast zur Hälfte die Bereiche Soziales inklusive neu geschaffener „Social Scoreboards“, Beschäftigung, Bildung, Gleichstellung, Gesundheit, Langzeitpflege, Pensionen, Armut und soziale Exklusion. Es besteht die Gefahr, dass die Umsetzung der neuen Empfehlungen einer wohlstandsorientierten Politik zuwiderlaufen könnte. Insbesondere weist aus Sicht der AK das falsche Verständnis von „Wettbewerbsfähigkeit“ in diese Richtung. In diesem Zusammenhang ist zu befürchten, dass wie schon in der Vergangenheit etwa vor einer notwendigen Anhebung von (Mindest-)Löhnen gewarnt werden würde oder erneut eine Dezentralisierung von Kollektivvertragssystemen vorangetrieben werden könnte.
Äußerst problematisch ist die Art und Weise, wie die Leitlinien zustande kommen sollen: Gemäß dem Entwurf soll der Rat auf Vorschlag der Kommission eine entsprechende Empfehlung annehmen. Im Rat nehmen dabei nur die VertreterInnen der Euro-Mitgliedstaaten teil. Damit steht das Verfahren im Widerspruch zum von der designierten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigten „neuen Schwung für die Demokratie in Europa“. Nach diesem wäre nämlich eine direkte Einbindung des Europäischen Parlaments und der Sozialpartner in den Entscheidungsprozess zur Festlegung der unterstützungswürdigen Reformen nicht vorgesehen. Dem Europäischen Parlament wird lediglich ein Anhörungsrecht eingeräumt. Den Sozialpartnern kommen keinerlei Mitspracherechte zu, obwohl die Reformmaßnahmen ihre Mitglieder unmittelbar betreffen können.
Die Entscheidung über die länderspezifischen Leitlinien auf EU-Ebene sowie die Beantragung und die spätere Abwicklung der Förderung auf Mitgliedstaaten-Ebene bedeutet einen erheblichen Verwaltungsaufwand, dessen Mehrwert nicht erkennbar ist. Aus Sicht der AK braucht es kein neues Haushaltsinstrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit für das Euro-Währungsgebiet, sondern vielmehr eine Reform des Europäischen Semesters, das die in den EU-Verträgen verankerten sozialen Ziele und einer wohlstandorientierten Politik entspricht.
Weitere Informationen:
AK Positionspapier: Jahreswachstumsbericht 2019 – Kurswechsel notwendig
AK EUROPA: Europäisches Semester: Sozialpartner einbinden!
A&W Blog: Aus der Krise lernen: ein magisches Vieleck wohlstandsorientierter Wirtschaftspolitik