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ZurückSeit Anfang 2025 wird in hochrangig besetzten Dialogforen auf unterschiedlichen Ebenen über die Zukunft der europäischen Automobilindustrie diskutiert. Als Ergebnis des intensiven Austauschs mit der Industrie kündigte die EU-Kommission unter anderem an, das umstrittene Verbrenner-Aus ab 2035 bereits in diesem Jahr zu überprüfen – ein Jahr früher als geplant. Schon zuvor wurden die Zwischenziele der CO2-Grenzwerte für 2025 aufgeweicht. Die Industrie fordert immer vehementer mehr Flexibilität und wird dabei auch von Politiker:innen unterstützt.
Die europäische Automobilindustrie ist ein zentraler Eckpfeiler der europäischen Wirtschaft. Die mehr als 13 Millionen direkten und indirekten Beschäftigten erwirtschaften rund sieben Prozent des EU-BIPs. Doch dieser Industriezweig befindet sich im Wandel: Um die europäischen Klimaziele zu erreichen und die Vorgaben des Pakets Fit for 55 zu erfüllen, müssen die CO2-Emissionen im Verkehrssektor stark sinken. Ein Umstieg von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor auf solche mit CO2-neutralem Antrieb ist daher notwendig. Hinzu kommen die Herausforderungen einer geopolitisch veränderten Welt und der daraus resultierende internationale Druck.
Aktionsplan für die europäische Automobilindustrie
Obwohl die europäischen Hersteller in den vergangenen Jahren große Gewinne verbuchen konnten, sind sie technologisch ins Hintertreffen geraten. China hat die Technologieführerschaft bei E-Autos übernommen und drängt auf den europäischen Markt, während gleichzeitig immer weniger europäische Autos in China abgesetzt werden. Außerdem versuchen die USA, europäische Autos mit hohen Zöllen aus dem heimischen Markt zu drängen, was sich Berichten zufolge bereits in den Halbjahreszahlen der europäischen Hersteller bemerkbar macht.
Bereits Anfang 2025 hat die EU-Kommission den strategischen Dialog zur Autoindustrie ins Leben gerufen. Am 5. März hat sie dann den Aktionsplan für die europäische Automobilindustrie mit Initiativen in fünf Säulen präsentiert. Diese reichen von Innovation über die Unterstützung der Beschäftigten bis zur Sicherung fairer Wettbewerbsbedingungen im internationalen Kontext. Gleichzeitig wurde angekündigt, die Emissionsnormen für neue Pkw, die eine stufenweise CO2-Reduktion der neuzugelassenen Fahrzeuge in Europa garantieren sollten, für die Jahre 2025-2027 zu flexibilisieren und die Vorbereitung der geplanten Überprüfung zu beschleunigen. Damit ist die EU-Kommission den Wünschen der Autolobby nachgekommen. An dem heiß diskutierten Ende der Zulassung von fossil betriebenen Pkw ab 2035 wurde jedoch lange nicht gerüttelt.
Politisches Gewicht der Automobilindustrie
Wie bedeutsam die Lage der Autoindustrie ist, zeigt sich daran, dass die bisherigen Gipfeltreffen von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geleitet wurden. Auch in ihrer letzten Rede zur Lage der Union betonte sie mehrfach die Bedeutung der Autoindustrie und kündigte eine Initiative für kleine, bezahlbare Autos an, die die Entwicklung von Elektroautos in Europa forcieren soll: „Die Zukunft der Autos muss in Europa geschrieben – und die Autos der Zukunft müssen in Europa hergestellt werden.“
Trotz all dieser Bekenntnisse seitens der EU-Kommission blieb eines der entscheidenden Projekte der Automobilindustrie die Offensive gegen das Verbrenner-Aus im Jahr 2035. Auch bei der bedeutenden internationalen Automesse IAA Mobility, die Anfang September in München stattfand, wurden nicht nur die neuesten Modelle präsentiert, sondern auch der Druck auf die politischen Entscheidungsträger:innen erhöht. Nun müsse man pragmatisch und realistisch in die Zukunft blicken. Zwar ist man sich einig, dass die Zukunft den E-Autos gehört, doch will sich die Branche mit weiteren Technologien wie Plug-in-Hybriden, Range Extendern oder Wasserstoff auch andere Optionen offenhalten.
Angesichts des großen Drucks wurde die Konsultation zur Überprüfung der Emissionsstandards für neu zugelassene Pkw bereits im Juli 2025 gestartet, ein Jahr früher als erwartet. Vor wenigen Tagen wurde sie beendet. Inzwischen fand am 12. September ein weiterer strategischer Dialog zwischen der Automobilindustrie und den Spitzen der EU-Kommission in Brüssel statt. Neben der erklärten Absicht, Innovationen im Automobilbereich zu beschleunigen und Europa zum Vorreiter bei nachhaltiger Mobilität zu machen, soll die Kommissionspräsidentin als Ergebnis auch zugestanden haben, den für das zweite Quartal 2026 geplanten Gesetzesvorschlag noch in diesem Jahr vorzulegen und damit die Weichen für die Zukunft des Verbrennungsmotors zu stellen.
Deutschland ringt um eine Position
Da die deutsche Wirtschaft stark von der Automobilindustrie geprägt ist, fand kürzlich auch in Berlin ein Autogipfel statt. Am 9. Oktober trafen sich Vertreter:innen der Bundesregierung mit Herstellern, Zulieferbetrieben und Gewerkschaften, um über die Zukunft der Branche zu beraten. Das Ergebnis: Die deutsche Regierung ändert ihre Position zum Verbrenner-Aus. Bundeskanzler Friedrich Merz und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder stellen sich klar auf die Seite der Hersteller und sind gegen einen „harten Schnitt“ im Jahr 2035. Die SPD war sich lange uneins, hält Plug-in-Hybride, Range Extender und die Beimischung neuer Kraftstoffe aber für einen gangbaren Weg. Daneben soll es eine neue E-Auto-Prämie für Bezieher:innen kleiner und mittlerer Einkommen geben. Auch die IG Metall zeigt sich kompromissbereit: „Wir brauchen jetzt eine volle Offensive für Elektromobilität und gleichzeitig eine Flexibilisierung der CO2-Regeln in einigen Punkten“.
Weitere Positionen und Ausblick
Aus Sicht der AK ist es begrüßenswert, dass die EU-Kommission die aktuellen Herausforderungen der europäischen Automobilindustrie vor allem mit aktiver Industriepolitik bewältigen möchte. Eine weitere Senkung oder Flexibilisierung der vereinbarten Emissionsstandards sieht die AK hingegen kritisch, da dies die nötige Planungssicherheit untergraben würde. Problematisch ist zudem, dass die bisherigen Vorhaben die sozial gerechte Umsetzung nicht ausreichend berücksichtigen. Zwar werden mit Blick auf Qualifizierungsinitiativen, den Ausbau europäischer Wertschöpfungsketten und die Betonung des sozialen Dialogs erste richtige Signale gesetzt. Insgesamt bleibt der Plan bei sozialpolitischen Fragen jedoch unverbindlich, die Mittelausstattung dafür ist zu gering.
Ähnlich positionieren sich europäische Interessenvertretungen der Beschäftigten und Konsument:innen. So meint Agustín Reyna, Generaldirektor des Europäischen Verbraucherverbands BEUC: „Elektroautos können für Verbraucher:innen ein gutes Geschäft sein. […] Um jedoch auf Kurs zu bleiben und das Vertrauen der Konsument:innen zu stärken, sollten die politischen Entscheidungsträger sicherstellen, dass die CO2-Ziele für Autos für 2030 und 2035 beibehalten werden.“ Der Dachverband der Industriegewerkschaften industriAll Europe nimmt hingegen in einem offenen Brief einen Mittelweg ein, der sich auch an der IG Metall orientiert: „Die Dekarbonisierung ist nicht verhandelbar. Aber der Übergang muss gerecht sein. Die Klimagesetzgebung muss zweckmäßig sein und bei Bedarf angepasst werden.“
Letztendlich werden sich Elektroautos durchsetzen. Das wissen auch die Hersteller. Doch die industrielle Umstellung ist langwierig und kommt in Europa nur schwer in Gang. Ein klares Ziel würde allen Beteiligten Planungssicherheit geben, auch wenn Detailfragen zu klären sind. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, welchen Weg die Kommission beschreitet. Um die Elektromobilität entschlossener voranzutreiben, wartet man in Brüssel nun auch mit Spannung auf den Gesetzesvorschlag zur Dekarbonisierung von Unternehmensflotten. Die Diskussion wird uns noch länger beschäftigen.
Weiterführende Information:
EU-Kommission: Aktionsplan für die europäische Automobilindustrie
EU-Kommission: Dritter strategischer Dialog mit der europäischen Automobilindustrie
AK EUROPA: Aktionsplan für die europäische Automobilindustrie
AK EUROPA: Industrie, Energie und Automobil. Neue Pläne für die Transformation
AK EUROPA: Handelsbeziehungen EU-USA. Ein ungleicher „Deal“ gibt die Richtung vor
BEUC: Study shows electric cars are a good deal for consumers (nur Englisch)
industriAll Europe: Europe’s Automotive Industry Needs Urgent Action - Not Another Diagnosis (nur Englisch)
POLITICO: Kommission will Vorschlag zum Verbrenner-Aus vorlegen
POLITICO: German Cabinet splits over EU combustion engine ban letter (nur Englisch)
POLITICO: European automakers despair of dodging Trump tariffs (nur Englisch)
POLITICO: Commission agrees to water down automotive emission targets (nur Englisch)
IG Metall: Jetzt Arbeitsplätze in der Automobilindustrie sichern
ACEA: Third Strategic Dialogue on automotive convened: bold and fast action required (nur Englisch)
CLEPA: Europe must navigate its automotive transition – September’s Strategic Dialogue is last chance to correct course (nur Englisch)