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Zurück15 Prozent Zoll auf EU-Industrieprodukte in den USA bei gleichzeitiger Zollfreiheit für US-Produkte in der EU schaffen eine deutliche Schieflage in den künftigen Handelsbeziehungen zwischen der EU und den USA. Die Investitionsverpflichtungen der EU in den USA in Milliardenhöhe verschärfen dieses Ungleichgewicht zusätzlich. Besonders drastisch ist die Kluft der Zölle bei Stahl und Aluminium. Außerdem bringt der „Deal“ einmal mehr wichtige EU-Initiativen wie das Lieferkettengesetz unter Druck. Insgesamt ist er ein Einfallstor, um an europäischen Standards zu rütteln.
Am 27. Juli kam es zum Handschlag zwischen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und US-Präsident Donald Trump über den „EU-US Handelsdeal“. Am 21. August wurde von Handelskommissar Maroš Šefčovič eine „gemeinsame Erklärung“ („Joint Statement“) zu einem Rahmenabkommen präsentiert, welches die künftigen Handels- und Investitionsbeziehungen „auf eine solide Grundlage“ stellen soll. Das Abkommen enthält eine Vielzahl von Vorhaben und stellt einen ersten Schritt in einem Prozess dar, „der im Laufe der Zeit weiter ausgebaut werden kann.“
Schieflage in der Zollpolitik
Die EU sagt zu, ihre Zölle auf alle US-Industriegüter abzuschaffen und den USA für ein breites Spektrum an Meeresfrüchten und landwirtschaftlichen Erzeugnissen einen präferenziellen Marktzugang, das heißt bessere Bedingungen als für andere Handelspartner, zu gewähren. Umgekehrt wird die USA einen Zollsatz von mindestens fünfzehn Prozent erheben. Liegt bei einem Produkt aber der Zollsatz laut Meistbegünstigungsprinzip (Most-Favoured-Nation, MFN) über 15 Prozent, gilt dieser MFN-Zollsatz auch weiterhin für die EU. Für nicht verfügbare natürliche Ressourcen (einschließlich Kork), Luftfahrzeuge, Luftfahrzeugteile und im Generikabereich liegt der MFN-Zollsatz jedoch bei null bzw. nahe null und soll auch für die EU so bleiben. Diese Liste soll erweitert werden.
Für Arzneimittel, Halbleiter und Holz aus der EU soll wiederum ein Zollsatz von höchstens 15 Prozent gelten. Bezüglich Autos und Autoteile wurde vereinbart, dass die USA ihre Zölle ebenso auf 15 Prozent begrenzt, wenn die EU die von ihr angekündigten Zollsenkungen umsetzt. Kommissar Šefčovič hat mit zwei Gesetzesvorschlägen bereits die entsprechenden Schritte gesetzt. Nun ist das EU-Parlament am Zug. Dieses steht dem „Deal“ jedoch sehr kritisch gegenüber und kann auch ein Veto einlegen. Besonders bei Stahl, Aluminium und daraus abgeleiteten Produkten hätte man sich in der EU eine deutlich günstigere Lösung erhofft, zumal der Zollsatz dort bei 50 Prozent liegen soll. In diesem Bereich wird lediglich eine Kooperation angekündigt, um Überkapazitäten einzudämmen und Lieferketten abzusichern.
Nichttarifäre Handelshemmnisse im Visier, EU-Verpflichtung zu Investitionen in den USA
Geplant ist eine enge Zusammenarbeit beim Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse, insbesondere im Energie- und Kraftfahrzeugbereich sowie bei Lebensmitteln und landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Dabei geht es vor allem um die Akzeptanz der Normen und Standards des Handelspartners, vielfach auch um eine Angleichung an niedrige Standards, und damit um die Zulassung der betroffenen Produkte für den Import. Auch die Kooperation zwischen den Normungsstellen soll verbessert und die Überprüfung der Einhaltung von Normen für weitere Industriezweige erleichtert werden. Ebenso wurde die Anerkennung von US-Prüfstellen im Zusammenhang mit Anforderungen an Telekommunikationsgeräte vereinbart, einschließlich Cybersicherheit. Für diesen Bereich soll ein eigenes Abkommen verhandelt werden.
Bis 2028 soll die EU außerdem Flüssigerdgas-, Öl- und Kernenergieprodukte im Wert von 750 Mrd. US-Dollar von den USA abnehmen und KI-Chips im Wert von mindestens 40 Mrd. US-Dollar für EU-Rechenzentren kaufen. EU-Unternehmen sollen bis 2028 zusätzlich 600 Mrd. US-Dollar in strategische Sektoren der USA investieren. Außerdem sollen die EU-Ausgaben für militärische und verteidigungstechnische Güter aus den USA erheblich steigen.
Angriff auf EU-Regulierungsvorhaben
Die EU kündigt an, die Bedenken in den USA bezüglich der EU-Entwaldungsverordnung auszuräumen und hinsichtlich des CO2-Grenzausgleichsystems (CBAM) mehr Flexibilität zu ermöglichen. Auch das Lieferkettengesetz (CSDDD) und die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) werden ins Visier genommen, die ohnehin im Zuge des Nachhaltigkeits-Omnibus unter massivem Druck stehen. Sie sollen „keine unangemessenen Beschränkungen“ des transatlantischen Handels darstellen. Verwaltungsaufwand und Haftungsrisiken für US-Unternehmen sollen verringert werden.
Regeln im internationalen Kontext
Darüber hinaus verpflichten sich die EU und die USA, ihre Zusammenarbeit bei Ausfuhrbeschränkungen für kritische Mineralien und ähnliche Ressourcen durch Drittländer zu verstärken und über hohe Standards zum Schutz und zur Durchsetzung von geistigen Eigentumsrechten zu diskutieren. Die beiden Handelspartner streben außerdem eine engere Zusammenarbeit beim Schutz international anerkannter Arbeitnehmer:innenrechte an, insbesondere im Hinblick auf die Beseitigung von Zwangsarbeit in Lieferketten. Ebenso sollen die wirtschaftliche Sicherheit gestärkt, Lieferketten widerstandsfähiger gemacht und Innovationen gefördert werden.
Digitalisierungsbereich bereits in Frage gestellt
Die Erklärung geht auch auf „ungerechtfertigte digitale Handelshemmnisse“ ein, ohne aber den Digital Markets und Digital Services Act direkt anzusprechen. Inzwischen wurden nichtsdestotrotz von Donald Trump erneut Zölle aufgrund der entsprechenden EU-Regulierung im Digitalbereich angekündigt. Unabhängig davon bestätigt die EU, dass sie „keine Netznutzungsgebühren einführen und beibehalten wird“. Es sollen beidseitig keine Zölle auf elektronische bzw. digitale Übertragungen (zum Beispiel Software-Downloads) erhoben werden. Das multilaterale Moratorium für derartige Zölle bei der WTO soll unterstützt und eine dauerhafte multilaterale Verpflichtung angestrebt werden. Die EU kündigt auch an, die US-amerikanischen Händler zur Digitalisierung der Handelsverfahren und zur Umsetzung der vorgeschlagenen „EU-Zollreform“ zu konsultieren.
Heftige Debatten und Kritik
Ursula von der Leyen verweist darauf, dass man sich mit dem Deal bewusst für Stabilität und Berechenbarkeit entschieden habe und weitere Vergeltungszölle den Beschäftigten, Verbraucher:innen und der Industrie noch mehr schaden würden. Sie hat dabei auf eine Kritik des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi reagiert, der die vom größten Handelspartner und langjährigen Verbündeten auferlegten Zölle beklagt. Laut Draghi habe die EU auch dem Druck der USA zur Abschwächung der Legislativakte zu Lieferketten, Nachhaltigkeitsberichterstattung und Entwaldung nachgegeben.
Auch der Vorsitzende des Handelsausschusses (INTA) im EU-Parlament Bernd Lange verweist auf das Ungleichgewicht der Vereinbarung und den daraus resultierenden Wettbewerbsvorteil für die USA: „Auf den Punkt gebracht: Europäische Industriegüter werden in den USA mit mindestens 15 Prozent belegt, während amerikanische Produkte in der EU mit 0 Prozent hereinkommen.“ Besonders der Zollsatz auf Stahl und Aluminium sei horrend. Außerdem widerspreche das Abkommen den Prinzipien der WTO und das regelbasierte Handelssystem werde geschwächt. „Wir werden diese Vorschläge sehr sorgfältig prüfen“, so Lange. Er weist außerdem darauf hin, dass der „Deal“ in dieser Form rechtlich nicht bindend und nicht wie ein normales Handelsabkommen zu betrachten ist. Insgesamt geriet der „Deal“ in der jüngsten Sitzung am 3. September des INTA-Ausschusses unter deutliche Kritik.
Auch seitens des EGB gibt es Bedenken aufgrund des Ungleichgewichts. EGB-Generalsekretärin Esther Lynch ergänzt: „Es bereitet den Beschäftigten Sorgen, dass das Abkommen die Auswirkungen auf Arbeitsplätze nicht berücksichtigt und keine flankierenden Maßnahmen zur Förderung guter Beschäftigung in Europa vorgesehen sind, um seine Folgen abzufedern.“
Weiterführende Informationen:
EU-Kommission: Gemeinsame Erklärung zu einem Rahmen der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union für ein Abkommen über gegenseitigen, fairen und ausgewogenen Handel
EU-Kommission: EU schlägt Zollsenkungen zur Umsetzung der Einigung mit USA vor
AKEUROPA: Nachhaltigkeits-Omnibus. Vereinfachung der Lieferkettenrichtlinie oder Abschwächung von Menschenrechtsverpflichtungen?
MdEP Bernd Lange: Ein „Deal“ ist kein Abkommen