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ZurückAm 2. Juni 2025 präsentierte das Europäische Gewerkschaftsinstitut (ETUI) im Rahmen einer Kooperationsveranstaltung mit AK EUROPA in Brüssel die diesjährige Ausgabe des Benchmarking Working Europe-Berichts. Angesichts der aktuellen politischen Debatte stehen im Jahr 2025 qualitativ hochwertige Arbeitsplätze als entscheidender Faktor für nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit im Zentrum. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Wettbewerbsfähigkeit kam auch während der Veranstaltung nicht zu kurz.
In der aktuellen Legislaturperiode wurde der Green Deal als strategische Leitlinie der EU-Kommission weitgehend durch das Ziel gesteigerter Wettbewerbsfähigkeit verdrängt. Auch der diesjährige Benchmarking Working Europe-Bericht von ETUI und EGB bewegt sich auf diesem Terrain, bemüht sich dabei aber um eine progressive Deutung von Wettbewerbsfähigkeit. Es geht demnach weniger um Kostensenkung, als um einen mehrdimensionalen Ansatz, der wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soziale Gerechtigkeit, Umweltverantwortung und demokratische Teilhabe miteinander verbindet. Der Kern nachhaltiger Wettbewerbsfähigkeit: Hochwertige Arbeitsplätze.
In seiner Begrüßung machte ETUI-Forschungsdirektor Bart Vanhercke deutlich, dass es im Lichte der geopolitischen, technologischen und sozialen Rahmenbedingungen notwendig ist, unterschiedliche Aspekte zu berücksichtigen. Diese reichen von geeigneten industriepolitischen Strategien über Green Jobs bis hin zur eingehenden Beschäftigung mit den psychosozialen Risiken am Arbeitsplatz. Judith Vorbach, Leiterin von AK EUROPA, ergänzte, dass nur eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit eine Basis für zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg und sozialen Fortschritt sein kann. Ein europäisches Modell, das auf preisliche Wettbewerbsfähigkeit setzt und auf dem Abbau von Arbeitsrechten und Lohndruck, der Schwächung der Umweltstandards, Kürzungen im Sozial- und Umweltbereich und einer Vernachlässigung öffentlicher Investitionen beruht, ist keinesfalls nachhaltig.
Problemaufriss: Widersprüchliche Strategie
Sotiria Theodoropoulou (ETUI) erläuterte zentrale Widersprüche in der derzeitigen EU-Strategie, die im Bericht herausgearbeitet werden. Sie zeigte anhand aktueller Daten, dass der industriepolitische Kurs der EU zwar mittlerweile größere Eingriffe vorsieht, diese aber weder ausreichend national koordiniert noch sozial abgefedert sind. Die Investitionen konzentrieren sich auf wenige Länder und Sektoren, während nationale Investitionsspielräume durch die Fiskalregeln massiv eingeschränkt werden. Der Widerspruch zwischen verstärkter industriepolitischer Steuerung und gleichzeitiger Austeritätspolitik behindert nicht nur den Ausbau zukunftsfähiger Sektoren, sondern verschärft auch bestehende Ungleichgewichte. Wettbewerbsfähigkeit müsse daher neu definiert werden – nicht als Kostenwettlauf, sondern als sozial-ökologische Resilienz.
Strukturelle Probleme jenseits der Beschäftigungsquote
Agnieszka Piasna (ETUI) setzte die Präsentation des Berichts mit ausgewählten Einblicken in die Beschäftigungsqualität in der EU fort. Die hohe Beschäftigungsquote in der EU verdecke strukturelle Probleme, etwa die wachsende Kluft zwischen Männern und Frauen bei Arbeitszeit und Einkommen. Als Erfolgsparameter wird viel zu oft nur die Arbeitslosenquote herangezogen, die Qualität der geschaffenen Jobs bleibt außen vor. Länder mit besonders hohen Beschäftigungsquoten weisen gleichzeitig überdurchschnittlich lange Arbeitszeiten auf. Der allgemeine Rückgang der Wochenarbeitszeit ist dabei fast ausschließlich auf den Anstieg von Teilzeitarbeit zurückzuführen. Sie wies auf die psychosozialen Risiken am Arbeitsplatz hin. Mehr als ein Viertel der Beschäftigten in Europa berichten, dass gesundheitliche Risikofaktoren wie Stress oder Ängste durch den Arbeitsplatz verursacht oder verschlimmert werden. Diese Risiken werden jedoch zu wenig systematisch erfasst, obwohl sie Indikatoren für die Qualität der Arbeit seien. Sie betonte zudem die Bedeutung demokratischer Strukturen in Unternehmen und forderte stärkere, verbindliche Maßnahmen zur Förderung des sozialen Dialogs auf nationaler wie europäischer Ebene.
Zum Abschluss der Präsentation unterstrichen weitere Autor:innen der Studie, dass es nicht darum gehe, Wettbewerbsfähigkeit grundsätzlich infrage zu stellen, sondern um eine Weiterentwicklung des Begriffs. Nur wenn Politik und Wirtschaft auf das Wohl der Menschen ausgerichtet sind, könne die EU auf globaler Ebene bestehen und zugleich das Versprechen eines sozialen Europas einlösen.
Podiumsdiskussion: Sozialer Fortschritt als Ziel
Isabelle Schömann, stellvertretende Generalsekretärin des EGB, eröffnete die Diskussion und kritisierte, dass Wettbewerbsfähigkeit oft nur über Produktivität um jeden Preis definiert werde – zulasten von Arbeitsrechten und ohne auf den Zugang der Beschäftigten zu Innovationen zu achten. Sie warnte vor einer Aushöhlung bestehender Arbeitsrechtsrichtlinien unter dem Vorwand der Vereinfachung und betonte die Bedeutung eines echten sozialen Dialogs.
Mario Nava, Generaldirektor in der GD Beschäftigung, Soziales und Integration der EU-Kommission, betonte die Bedeutung eines inklusiven Wandels. Die grüne und digitale Transformation müsse mit den Menschen und für die Menschen gestaltet werden. Bildung sei in Europa weiterhin größtenteils ein öffentliches Gut – gute Voraussetzungen, um Qualifikationslücken zu schließen. Neben Investitionen brauche es starke soziale Rahmenbedingungen. In dieser Hinsicht gebe es auf EU-Ebene aktuell einige Initiativen, darunter die Richtlinien zu Praktika und zu Europäischen Betriebsräten. Nava sprach sich für legale Arbeitsmigration und eine stärkere Verbindung von Sozial- und Arbeitsmarktpolitik aus.
Evelyn Regner, Mitglied des EU-Parlaments (S&D), mahnte, dass die Förderung von Wettbewerbsfähigkeit nicht auf Deregulierung hinauslaufen dürfe. Artikel 3 des EU-Vertrags verpflichte zu Nachhaltigkeit und einer wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft. Sie warnte vor den aktuellen Omnibus-Paketen als demokratiepolitisches Risiko und sprach sich für verbindliche Regelungen aus. Der Europäische Sozialfonds (ESF) müsse als strategisches Instrument für soziale Inklusion gestärkt werden, insbesondere bei Herausforderungen wie Digitalisierung und Migration. Sie warnte auch vor einer gefährlichen Abwärtsspirale durch ein mögliches 28. Regime als alternativer Rechtsrahmen für Unternehmen, der soziale Rechte untergräbt, und verwies auf Studien, die zeigen, dass Unternehmen erfolgreicher sind, wenn Frauen gleichwertig eingebunden sind.
Für Thérèse de Liedekerke, stellvertretende Generaldirektorin von BusinessEurope, bedingen wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt einander. Sie warnte vor Überregulierung, insbesondere im Bereich der künstlichen Intelligenz, um Innovationen nicht zu behindern. Liedekerke forderte eine differenzierte Diskussion darüber, welche Regulierungen sinnvoll sind. Verhandlungslösungen seien vielfach vorzuziehen, Dänemark sei ein besonders gutes Beispiel für eine erfolgreiche Steuerung durch sozialen Dialog. Sie ist der Ansicht, dass Europa eine schlanke, zielgerichtete Regulierung braucht, um global wettbewerbsfähig zu bleiben. Andernfalls würden die Arbeitsplätze der Zukunft vor allem anderswo entstehen.
Zusammenfassend verdeutlichen sowohl der neue Benchmarking Working Europe-Bericht als auch die Diskussion, dass eine langfristig wettbewerbsfähige EU nur auf Basis sozialer Gerechtigkeit, Umweltverantwortung und demokratischer Teilhabe sichergestellt werden kann.
Weiterführende Links:
ETUI: Benchmarking Working Europe 2025 (nur Englisch)
AK EUROPA: Nachhaltige Wirtschaftspolitik und soziale Sicherheit als Basis für die Wettbewerbsfähigkeit der EU
AK EUROPA: Das Ringen der EU um Wettbewerbsfähigkeit. Ein Interview mit Andrew Watt, Generaldirektor des Europäischen Gewerkschaftsinstituts'
AK EUROPA: Benchmarking Working Europe 2024
ETUC: Letter to President von der Leyen regarding growing concerns that the Competitiveness Compass will create a race to the bottom (nur Englisch)