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ZurückEuropas Wohnungskrise ist in der EU-Politik angekommen. Mit einem zuständigen EU-Kommissar will Ursula von der Leyen das Problem auf die höchste politische Ebene heben. Dabei wirken viele der angekündigten Maßnahmen noch wenig konkret, und insgesamt scheint die soziale Dimension noch nicht ganz ausgereift. In der Zivilgesellschaft und auch von Gewerkschaftsseite gibt es zahlreiche Ideen, wie Wohnen sozial gerechter gestaltet werden kann. Das Europäische Gewerkschaftsinstitut (ETUI) veranstaltete erst kürzlich eine Konferenz zu diesem Thema. Welche Ansatzpunkte werden derzeit diskutiert?
Nicht zuletzt durch die Teuerungskrise der letzten Jahre ist das Wohnen für viele Menschen in Europa zu einem der größten Probleme geworden. Mieten und Immobilienpreise steigen seit geraumer Zeit kontinuierlich an, ohne dass die Löhne und Gehälter mit dieser Entwicklung Schritt halten können. Die Folge ist, dass immer mehr Menschen einen immer größeren Teil ihres monatlichen Einkommens für Wohnkosten aufwenden müssen – Geld, das für andere Ausgaben fehlt. Steigende Lebenshaltungskosten insgesamt waren laut einer aktuellen Eurobarometer-Umfrage auch das Hauptmotiv bei der Europawahl 2024. Darauf hat von der Leyen nun in ihren politischen Leitlinien reagiert und Wohnen zu einem eigenen Politikfeld der EU-Kommission aufgewertet. Dan Jørgensen soll als EU-Kommissar für Energie und Wohnen eine europäische Antwort auf die neue Wohnungsfrage finden. Doch wie kann das gelingen, wenn Wohnungspolitik eigentlich gar keine Kompetenz der EU ist?
Die Pläne der EU-Kommission
Im Zentrum der neuen europäischen Wohnungspolitik steht der erste europäische Plan für bezahlbaren Wohnraum. Ein Kernelement dieses Plans sind Investitionen in leistbares und nachhaltiges Wohnen. Um ausreichende finanzielle Mittel zu mobilisieren, ist gemeinsam mit der EIB die Einrichtung einer gesamteuropäischen Investitionsplattform geplant, die private und öffentliche Investitionen anziehen soll. Ein Schwerpunkt liegt dabei wohl auf De-Risking, die damit verbundenen Verteilungswirkungen werden jedoch vorerst nicht thematisiert. Zusätzlich sollen die Kohäsionsfondsmittel für erschwinglichen Wohnraum verdoppelt und die Regeln für staatliche Beihilfen für Wohnbauprojekte gelockert werden, um höhere öffentliche Investitionen zu ermöglichen. Es bleibt jedoch unklar, wie die Mitgliedstaaten die notwendige (Ko-)Finanzierung bereitstellen sollen, wenn der Spielraum durch die restriktiven EU-Fiskalregeln stark begrenzt ist.
Im Rahmen der neuen EU-Wohnungspolitik soll aber nicht nur neuer Wohnraum geschaffen, sondern auch bestehender Wohnraum besser genutzt werden. Neben einer Strategie für den Wohnungsbau geht es auch darum, die Verdrängung von Menschen durch Kurzzeitvermietung à la Airbnb zu adressieren. Die jüngst verabschiedeten Rechtsvorschriften in diesem Bereich dienen primär der Datensammlung, nun soll darauf aufbauend über weitergehende Maßnahmen nachgedacht werden.
Sorgenkind Bauwirtschaft
Ein großes Problem für die ehrgeizigen Pläne der EU ist der Arbeitskräftemangel im europäischen Bausektor. Eine Belebung der Bauwirtschaft erfordert qualitativ hochwertige und attraktive Arbeitsplätze. Dies steht in starkem Kontrast zum derzeit vorherrschenden Geschäftsmodell, das auf billiger, flexibler und prekärer Arbeit, auf Ausbeutung basiert. Notwendig sind Tarifbindung, eine starke soziale Absicherung und vor allem ein Ende des oft undurchsichtigen Geflechts von Subunternehmen. Die Aufnahme sozialer und ökologischer Auflagen in die öffentliche Auftragsvergabe könnte hier viel bewirken. In der Praxis entscheiden sich öffentliche Auftraggeber häufig für das Angebot mit dem niedrigsten Preis, da sie befürchten, zur juristischen Zielscheibe zu werden, wenn sie beispielsweise soziale und ökologische Faktoren höher gewichten. Dies erzeugt einen enormen Preisdruck, der zusammen mit der hohen Intransparenz den Bausektor besonders betrugsanfällig macht. Eine Änderung der Vergaberegeln könnte ein wichtiger Hebel für die Transformation des Sektors sein.
Gewerkschaftliche Positionen
Auch der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) hat sich der Wohnungskrise angenommen und erst im Oktober dieses Jahres eine umfassende Resolution verabschiedet. Darin geht es nicht nur um die steigenden Wohnkosten, sondern auch um die mangelnde Wohnqualität für viele Menschen. Die Hauptursache der Wohnungskrise sieht die Gewerkschaft jedoch weniger im Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage als in der Finanzialisierung des Wohnungsmarktes. Es mangle nicht an (privaten) Investitionen, diese seien jedoch zu wenig reguliert. Daher wird eine Abkehr vom Mantra „mehr privat – weniger Staat“ gefordert, dessen Symptome auch Privatisierung, Deregulierung und Immobilienspekulation umfassen. Zusätzlich könne ein Ende der Austeritätspolitik die notwendigen staatlichen Investitionskapazitäten schaffen, um ausreichend leistbaren Wohnraum für alle in guter Qualität und mit hochwertigen Arbeitsplätzen im Bausektor zu schaffen.
Problem Wohnungslosigkeit
Die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt macht sich in weiten Teilen der Gesellschaft bemerkbar, am meisten jedoch bei besonders schutzbedürftigen Gruppen. Jüngsten Erhebungen zufolge sind in Europa mehr als eine Million Menschen von Wohnungslosigkeit betroffen, darunter rund 400.000 Kinder. Die Gründe für Wohnungslosigkeit sind vielfältig, oft handelt es sich um ein Zusammenspiel verschiedener Umstände. Eine Wohnung allein kann die komplexe Problemlage in der Regel nicht lösen, sie ist aber meist eine notwendige Voraussetzung. Delogierungsprävention und Wohnungssicherung sind insofern die wichtigsten Mittel im Kampf gegen Wohnungslosigkeit. Erforderlich ist ein ganzheitlicher Ansatz, der mit der Bereitstellung von Wohnraum beginnt: Housing First, wie es unter anderem in Finnland seit langem erfolgreich umgesetzt wird. Auch auf EU-Ebene wird dem Thema Wohnungslosigkeit zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt, das EPOCH-Programm fördert gezielt den Austausch von Best Practices zwischen den Mitgliedstaaten. Relevant wird das Thema auch durch den Schwerpunkt Wohnen in der neuen EU-Kommission. Die Anerkennung besonders schutzbedürftiger Gruppen und die Aufnahme des Housing-First-Ansatzes in den europäischen Plan für bezahlbaren Wohnraum könnten wichtige Hebel sein. Der freie Markt kann Menschen, die am Rande der Wohnungslosigkeit stehen, nicht mit Wohnraum versorgen.
Weitere Bausteine zur Bewältigung der Wohnungskrise
Nicht nur zur Bekämpfung der Wohnungslosigkeit erscheint eine Wiederbelebung des öffentlichen bzw. sozialen Wohnungsbaus in größerem Umfang notwendig. Auch der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hat kürzlich empfohlen, entsprechende nationale Initiativen zu unterstützen und den Austausch bewährter Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern. Wie von der OECD empfohlen, könnte dabei das österreichische Modell der Wohnungsgemeinnützigkeit als Vorbild dienen. Denn in vielen Regionen Europas ist die Wohnungsnot nicht durch mangelnde Investitionen entstanden, sondern durch spekulatives Bauen am Bedarf vorbei. Es braucht daher Regeln, die Spekulation verhindern und Gelder an die Bereitstellung leistbaren Wohnraums binden – und Maßnahmen, um den vorhandenen Leerstand zu mobilisieren. Vor diesem Hintergrund ist es erfreulich, dass der neu einzurichtende Sonderausschuss für Wohnungswesen im EU-Parlament dem Vernehmen nach einen Bericht vorlegen soll, der die Wohnungspolitik der Mitgliedstaaten bewertet und dabei Fragen der Bekämpfung der Immobilienspekulation und Reformmöglichkeiten behandelt.
Weiterführende Information
AK EUROPA: Politische Leitlinien für die nächste EU-Kommission 2024 – 2029. Die richtigen Antworten auf aktuelle Herausforderungen?
Euractiv: EU-Fraktionen einigen sich auf neue Parlamentsausschüsse
EU-Kommission: Mission Letter Dan Jørgensen (nur Englisch)
EWSA: EESC recommendations for sustainable, affordable and decent housing (nur Englisch)
EGB: The right to adequate, decent and affordable housing (nur Englisch)
ETUI: Social policy in the European Union – state of play 2023 (nur Englisch)
ETUI: A new momentum for affordable housing in the EU? (nur Englisch)
EFBWW: Kampagne Stop exploitation in subcontracting chains! (nur Englisch)
FEANTSA: 9th Overview of Housing Exclusion in Europe 2024 (nur Englisch)