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ZurückDie öffentliche Hand gibt jedes Jahr große Summen für die Vergabe von Aufträgen aus, beispielsweise für Bauarbeiten oder Dienstleistungen. In der Gestaltung der öffentlichen Auftragsvergabe liegt daher erhebliches Potenzial, den Markt durch Festlegung qualitativer Kriterien positiv zu beeinflussen. Die neue EU-Kommission hat angekündigt, das Vergaberecht zu überarbeiten. Aus Sicht der AK müssen dabei endlich soziale und ökologische Kriterien im Mittelpunkt stehen.
Die Grundidee des Vergaberechts ist es, die öffentliche Beschaffung transparent und diskriminierungsfrei zu organisieren, damit möglichst viele Bieter:innen im fairen Wettbewerb am Beschaffungsmarkt teilnehmen können. Die öffentliche Hand gibt in der EU jährlich etwa 14 % des BIP der EU für öffentliche Aufträge aus. Mit der öffentlichen Auftragsvergabe können (bzw. könnten) soziale wie auch ökologische Herausforderungen adressiert werden, indem Aufträge nur für Auftragnehmer:innen, die bestimmte Kriterien erfüllen, zugänglich gemacht werden.
Rechtliche Rahmenbedingungen
Laut den EU-Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe (RL 2014/24/EU) muss das jeweils „wirtschaftlich günstigste Angebot“ den Zuschlag erhalten. Es handelt sich dabei um das beste Preis-Leistungs-Verhältnis hinsichtlich Qualität, Umwelt- und Sozialfaktoren, Lebenszykluskosten und Innovation. Die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) der letzten Jahrzehnte hat sich schrittweise dahingehend entwickelt, eine Berücksichtigung von ursprünglich als „vergabefremd“ gesehenen Kriterien, die über reinen Preiswettbewerb hinausgehen, als zulässig einzuordnen. 2014 wurde das EU-Vergaberecht schließlich novelliert. Dadurch wurden Möglichkeiten zur Berücksichtigung sozialer und ökologischer Kriterien eröffnet.
In Österreich ist dies im Bundesvergabegesetz 2018 geregelt, wobei Umweltgerechtigkeit als verpflichtender Grundsatz festgehalten ist. Die Beachtung sozialer, innovativer und KMU-fördernder Aspekte ist ebenso möglich, aber nicht verpflichtend. Auch die EU-Kriterienkataloge und der österreichische Aktionsplan für eine nachhaltige öffentliche Beschaffung (naBe) sind nicht rechtsverbindlich. Tatsächlich wird von der Koppelung öffentlicher Aufträge an soziale Kriterien viel zu wenig Gebrauch gemacht.
Diskussionsrunde zu sozial verantwortlicher öffentlicher Auftragsvergabe
Am 20. November 2024 fand in Brüssel eine Diskussionsrunde mit dem Präsidenten der AK Oberösterreich Andreas Stangl zur strategischen Beschaffung in der öffentlichen Auftragsvergabe statt. Eingangs präsentierte Iryna Sauca, Autorin des Buches „Strategische öffentliche Beschaffung“ und Trägerin des AK OÖ Wissenschaftspreises, ihre Forschungsarbeit zur Entwicklung der EuGH-Judikatur zu den Kriterien für öffentliche Aufträge.
EWSA-Mitglied und Gewerkschafter Ferre Wyckmans betonte die Bedeutung des Zugangs zu öffentlichen Aufträgen für Einrichtungen der Sozialwirtschaft. Gerade für diesen Bereich seien Kriterien mit nicht marktbestimmtem Wert unerlässlich. Der für Europa zuständige Regionalsekretär der Gewerkschaft UNI Europa Oliver Roethig forderte, dass der Abschluss und die Einhaltung von Kollektivverträgen als zwingende Kriterien für die öffentliche Auftragsvergabe im EU-Vergaberecht festgelegt werden sollten. In Österreich ist dies meist erfüllt; auf nationaler Ebene könnten daher zusätzliche Kriterien wie ein Verbot anti-gewerkschaftlicher Praktiken berücksichtigt werden. Wer Union Busting betreibt, soll keine öffentlichen Gelder erhalten.
AK-Präsident Andreas Stangl wies auf die Schwierigkeiten in der Praxis hin, wenn öffentliche Auftraggeber eine sozial verantwortliche Auftragsvergabe anstreben. Als Beispiel nannte er den öffentlichen Personennahverkehr, wo in der Ausschreibung der Zugang zu Toiletten für die Busfahrer:innen als zwingendes Kriterium festgehalten werden sollte.
Wie geht es weiter?
Ein Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofs (EuRH) zur öffentlichen Auftragsvergabe aus dem Jahr 2023 kommt zu dem Ergebnis, dass die Bestrebungen, andere Kriterien als den Preis in der öffentlichen Auftragsvergabe zu berücksichtigen, bisher nicht die gewünschte Wirkung entfalten: Nach wie vor werden öffentliche Aufträge in der EU vielfach nur aufgrund des niedrigsten Preises vergeben. Der Rat nahm dazu am 24. Mai 2024 Schlussfolgerungen an, in denen die Kritikpunkte des EuRH anerkannt werden und ein strategischer Aktionsplan gefordert wird.
Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) fordert eine Reform der öffentlichen Auftragsvergabe, um den derzeit stattfindenden Wettlauf nach unten zu beenden. Die AK unterstützt diese Forderung, ebenso wie renommierte Wirtschaftswissenschafter:innen. Der für Wohlstand und eine europäische Industriestrategie zuständige EU-Kommissar Stéphane Séjourné erhielt in seinem Mission Letter den Auftrag, die Vergaberichtlinien zu überarbeiten. Als ersten Schritt wird die EU-Kommission das Vergaberecht evaluieren.
Weiterführende Informationen
AK EUROPA: Sozialökologische Vergabe von Aufträgen
AK EUROPA: Öffentliche Auftragsvergabe nachhaltig gestalten
WIFO/AK: Die Rolle des öffentlichen Vergabewesens für eine klimaneutrale Produktions- und Lebensweise
EWSA: Die Vergabe öffentlicher Aufträge als Chance für Unternehmen der Sozialwirtschaft
Rat: Schlussfolgerungen zum Sonderbericht Nr. 28/2023 des Europäischen Rechnungshofs
EU-Kommission: Public Procurement (nur Englisch)
EU-Kommission: Access to public procurement | Single Market Scoreboard (nur Englisch)
UNI Europa: Kein öffentlicher Auftrag ohne Tarifvertrag