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ZurückEnde letzten Jahres hat das EU-Parlament einen Sonderausschuss zum Thema Wohnraumkrise in der EU eingerichtet. Nun liegt der Entwurf des mit Spannung erwarteten Berichts vor. In diesem sollen Lösungsansätze für angemessenen, nachhaltigen und erschwinglichen Wohnraum vorgeschlagen werden. Ob das mit der vorliegenden Fassung gelingt, ist fraglich. Wie auch der zuständige Kommissar Dan Jørgensen kürzlich bei einer Veranstaltung im EU-Parlament feststellte, ist der erste Entwurf durchaus umstritten.
Die Wohnungskrise in Europa ist spätestens seit den Wahlen zum EU-Parlament ein zentrales Thema in Brüssel. Mit Dan Jørgensen wurde erstmals ein EU-Kommissar für Energie und Wohnen ernannt, 2026 muss er den ersten Europäischen Plan für erschwingliches Wohnen vorlegen. In ihrer diesjährigen Rede zur Lage der Union machte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einmal mehr klar, dass die Wohnungskrise den sozialen Zusammenhalt in Europa schwächt. Der Sonderausschuss im EU-Parlament war indes besonders aktiv. So wurden, teilweise in Kooperation mit der EU-Kommission und anderen Ausschüssen, zahlreiche Anhörungen zu verschiedenen Aspekten des Themas organisiert. Die Ausschussmitglieder unternahmen auch mehrere Informationsreisen in europäische Städte wie Mailand, Barcelona oder Wien, um sich vor Ort ein Bild von den Problemen und Lösungsansätzen zu machen. Nun hat der zuständige Berichterstatter Borja Giménez Larraz (EVP, Spanien) einen ersten Entwurf seines Berichts vorgelegt.
Ausgangslage und Rolle der EU
Dem Berichtsentwurf zufolge sind die Preise für Wohneigentum innerhalb von acht Jahren um durchschnittlich 48 Prozent gestiegen, die Mieten um 18 Prozent. Für viele Haushalte beträgt der Anteil der Wohnkosten am Einkommen bis zu 40 Prozent. Als Hauptursache für den Preisanstieg wird das Ungleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot ausgemacht. Preiskontrollen und Marktinterventionen seien jedoch ineffektiv, weil sie Unsicherheit erzeugen und eine Angebotsausweitung zusätzlich behindern würden. Ein Problem seien außerdem illegale Hausbesetzungen und Bewohner:innen, die ihre Miete nicht zahlen.
Dem Subsidiaritätsprinzip folgend müsse die EU primär Hindernisse abbauen, Investitionen erleichtern und bessere Rahmenbedingungen schaffen. Auf strategischer und koordinativer Ebene werden ein EU-Wohnungsgipfel und ein jährlicher EU-Wohnungsbericht gefordert. Auf lokaler und regionaler Ebene soll eine stärkere Direktförderung für Kommunen dazu führen, dass lokal angepasste Lösungen entwickelt werden.
Zentrale Handlungsfelder
Um das Angebot zu erhöhen, sollen beispielsweise Baugenehmigungen beschleunigt, die Raumplanung vereinfacht und Bauland mobilisiert werden. Zur Senkung der Baukosten soll auch die Durchforstung von EU-Vorgaben beitragen. Außerdem möchte der Berichterstatter Eigentum besser schützen. Aus- und Weiterbildung, Fachkräftemobilität und die Stärkung von KMUs sollen die Umsetzung erleichtern. Um die notwendigen finanziellen Mittel sicherzustellen, sollen mehr Anreize für Investoren geschaffen, öffentlich-private Partnerschaften für Großprojekte umgesetzt sowie Mittel der Kohäsionspolitik und der Europäischen Investitionsbank (EIB) mobilisiert werden.
Nachfrageseitig möchte der Berichterstatter insbesondere junge Menschen (etwa mittels Steuererleichterungen, zinsgünstigen Kredite oder Garantien für Erstkäufer:innen), systemrelevante Berufsgruppen, Alleinerziehende und kinderreiche Familien sowie Obdachlose (Stärkung der entsprechenden EU-Plattform) unterstützen. Außerdem soll die Datenlage in der EU verbessert werden, u.a. auch zu den Auswirkungen von Kurzzeitvermietungen auf Immobilienpreise. Kurz gefasst liegt der Fokus des Berichtsentwurfs auf der Erleichterung der Angebotsausweitung sowie der Unterstützung besonders betroffener Gruppen.
Kritische Stimmen und Lücken
Besonders groß ist die Enttäuschung über den Entwurf in der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament. In einer Presseaussendung heißt es dazu: „Der Ausschuss hat monatelang Experten und Interessenvertreter in interessanten Anhörungen und bei Besuchen in den EU-Mitgliedstaaten konsultiert. Die Mitglieder haben viele wertvolle Anregungen und Ideen erhalten, die leider nicht in den Entwurf eingeflossen sind. […] Der bisherige Prozess zeigt eine eklatante Missachtung der Arbeitsmethoden und des Ethos dieses Hauses.“ Die Grünen im EU-Parlament haben ein eigenes Positionspapier zum Thema bezahlbares und nachhaltiges Wohnen in der EU erstellt. Anfang Oktober diskutierten sie bei einer Veranstaltung im EU-Parlament mit zahlreichen Stakeholdern über deren Erwartungen an den Plan für erschwingliches Wohnen. Darunter waren mit Michaela Kauer (Wien-Haus in Brüssel) und Thomas Kattnig (EWSA) auch ausgewiesene Expert:innen aus Österreich.
Tatsächlich überakzentuiert der Berichtsentwurf die Interessen von Bauwirtschaft und Finanzakteur:innen sowie Vermieter:innen. Zudem entsteht der Eindruck, dass er auch von nationalen Beobachtungen geprägt ist. Beispielsweise können die im Berichtsentwurf erwähnten Hausbesetzungen kaum als gesamteuropäisches Problem betrachtet werden. Demgegenüber werden entscheidende Themen wie ein Recht auf Wohnen, die partizipative und gemeinwohlorientierte Gestaltung des Sektors einschließlich nachhaltiger Finanzierungsmodelle oder Fragen einer integrativen Stadtentwicklung weitgehend ausgespart. Auch das angesichts der Klimakrise bedeutende Thema Energieeffizienz spielt nur eine untergeordnete Rolle. Der große Themenkomplex Finanzialisierung, Spekulation, Leerstand und Transparenz im Immobiliensektor wird gar nicht benannt.
Position der AK und nächste Schritte
Die AK hat sich bereits zu Beginn der Legislaturperiode mit Kernforderungen zu den Herausforderungen der Wohnungskrise auf EU-Ebene positioniert. Im Rahmen einer von der EU-Kommission eingeleiteten Konsultation zur Überarbeitung des EU-Beihilferechts wurde im Sommer eine detaillierte Position zur Überarbeitung der DAWI-Vorschriften (Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse) als Maßnahme zur Bewältigung der Wohnungskrise veröffentlicht. Darin fordert die AK eine Bereichsausnahme für den sozialen, gemeinnützigen und leistbaren Wohnungsbau sowie dessen Unterstützung durch geeignete Förderinstrumente der Europäischen Investitionsbank (EIB).
In den kommenden Wochen werden im EU-Parlament die Änderungsanträge zum Berichtsentwurf eingebracht. Die Abstimmung im Sonderausschuss wird für Februar, jene im Plenum für März 2026 erwartet. Danach wird Kommissar Jørgensen seinen Plan wohl relativ zügig vorlegen. Bei der Veranstaltung im EU-Parlament verdeutlichte er noch einmal den großen Problemdruck. Erste Details zu den Vorschlägen lassen erhebliche politische Auswirkungen erwarten: Neben einer Lockerung der Beihilferegeln zur Förderung der Mittelschicht sollen unter anderem Maßnahmen zur Regulierung von Spekulation und Finanzialisierung enthalten sein. Darüber hinaus soll sichergestellt werden, dass Wohnungen, die mit öffentlichen Geldern errichtet wurden, wirklich leistbar sind.
Weiterführende Information:
EU-Kommission: Rede von Präsidentin von der Leyen zur Lage der Union 2025
EU-Parlament: Entwurf eines Berichts über die Wohnungskrise in der Europäische Union
EU-Parlament: Mission Report following the HOUS mission to Vienna (nur Englisch)
Socialists and Democrats: EU-Wohnungsbau-Berichtsentwurf für S&Ds inakzeptabel
The Greens/EFA: Affordable, sustainable and decent housing for all (nur Englisch)
EWSA: EESC calls for a European Affordable Housing Plan (nur Englisch)
POLITICO: Living Cities - A peek at the EU’s Affordable Housing Plan (nur Englisch)
AK EUROPA: Wohnungskrise in Europa. Was kann die EU zur Lösung beitragen?
AK EUROPA: Forderungskatalog - Soziales und leistbares Wohnen