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ZurückNach zahlreichen ad hoc-Reaktionen auf die horrende Preisentwicklung als Symptom der aktuellen Energiekrise folgte im März der ersehnte Gesetzesvorschlag zur Reform des EU-Strommarkts. Von der in Aussicht gestellten grundlegenden Überarbeitung ist wenig übriggeblieben. Die AK fordert, die Energieversorgung als zentralen Teil der Daseinsvorsorge gesetzlich festzuschreiben. Versorgungssicherheit, Leistbarkeit und Nachhaltigkeit im Sinne der Dekarbonisierung sind als übergeordnete Ziele rechtlich zu verankern. Die Verbraucher:innenpreise für Strom müssen die tatsächlichen Herstellungskosten widerspiegeln.
Die Energiekrise in Folge Russlands Angriffskriegs gegen die Ukraine offenbarte maßgebliche Schwachstellen in der Gestaltung des EU-Strommarkts. Für eine rasche Abfederung der Auswirkungen rasant gestiegener Elektrizitätspreise wurden bereits im Herbst 2022 kurzfristige Maßnahmen in Form entsprechender Notfallverordnungen vorgeschlagen. Der lange angekündigte Gesetzesentwurf zur Reform des Strommarktes folgte nun am 14. März 2023.
Ausgangspunkt für das ursprüngliche Ansinnen einer umfassenden Neugestaltung sind die stark gestiegenen Energiekosten, die von den kontinuierlichen Kostensenkungen im Bereich erneuerbarer Energien (vor allem Wind- und Solarenergie) kaum beeinflusst werden. Grund dafür ist das EU-Strommarktdesign. Dieses sieht vor, dass stets das teuerste noch benötigte Kraftwerk die Preise für alle Erzeugungstechnologien bestimmt. Das ist sehr häufig ein Gaskraftwerk. Aufgrund der stark gestiegenen Gaspreise führt dieses sogenannte Merit-Order-System zu einem ebenfalls stark steigenden Strompreis. Obwohl sich die Produktionskosten für knapp 60% der EU-Stromproduktion nicht verändert haben (Erneuerbare und Atomkraft), stieg der Strompreis beinahe eins zu eins mit dem Gaspreis.
Kommissionspräsidentin von der Leyen hatte daher vergangenen Sommer eine grundlegende Reform angekündigt. Davon nimmt die EU-Kommission nun aber deutlich Abstand. So lautet das formulierte Ziel nicht mehr, die hohen Preise zu senken, sondern nur Preisschwankungen zu reduzieren. Dazu möchte EU-Energiekommissarin Kadri Simson die Dominanz kurzfristiger Märkte reduzieren. Dazu schlägt die EU-Kommission vor, die Vertragslandschaft stärker an langfristigeren Verträgen, insbesondere Strombezugsverträgen (Power Purchase Agreements bzw. PPAs) auszurichten. Öffentliche Zuschüsse zu Investitionen in die CO2-arme Stromerzeugung sollen über zweiseitige Differenzverträge (Contracts for Difference bzw. CfDs) vergeben werden. Eine Fortführung der sogenannten Erlösobergrenze zur Abschöpfung von Übergewinne plant die EU-Kommission nicht.
EU-Kommission setzt nur unzureichende Maßnahmen
Damit sieht der Umgestaltungsvorschlag der EU-Kommission aber keine maßgeblichen Änderungen im aktuellen Preisbildungsprozess auf Energiemärkten vor. Die eigentlichen Probleme werden nicht gelöst. Die Preise für Gas und damit auch für Strom sind nach wie vor hoch. Trotz der gesunkenen Preise in den letzten Wochen sind Gas und Strom im Großhandel noch immer wesentlich teurer als im langjährigen Durchschnitt. Die Handelspreise haben sich damit vollständig von den tatsächlichen Herstellungskosten entkoppelt. Die gigantische Umverteilung von Energieverbraucher:innen zu den Energieunternehmen geht weiter. Dabei sind die derzeit volatilen und hohen Preise nicht nur eine massive finanzielle Belastung für Verbraucher:innen, sondern schaden der gesamten Wirtschaft.
Nur eine tiefgreifende Reform des Strommarktdesigns kann zu nachhaltig wettbewerbsfähigen Strompreisen führen. Denn nur durch eine Entkopplung der Strompreise vom Gaspreis kann die Umverteilung gebremst und eine Stabilisierung der Preise erreicht werden. Letzteres ist auch notwendig, um Investitionssicherheit in erneuerbare Energien zu schaffen. Gerade für die Energiewende ist leistbarer Strom ein entscheidender Faktor: Der Einsatz von Wärmepumpen, der Umstieg auf E-Mobilität oder beispielsweise Elektrohochöfen in der Stahlindustrie, die Herstellung von grünem Wasserstoff aber auch die Leistbarkeit des Schienenverkehrs hängen davon ab, ob ausreichend leistbarer erneuerbarer Strom zur Verfügung steht.
Das sogenannte „iberische Modell“ hat gezeigt, dass es auch kurzfristig die Möglichkeit gibt, den europäischen Energiemarkt zu reformieren, wenn der politische Wille da ist. Studien zeigen zudem, dass eine EU-weite Umsetzung des iberischen Modells deutlich effizienter wäre als eine rein regionale Umsetzung und nicht – wie häufig ins Treffen geführt wird – zu einem signifikant höheren Gasverbrauch führen würde. Mittel- und langfristig ist das iberische Modell aber nur die zweitbeste Lösung. Notwendig ist eine grundlegende Überarbeitung des Preismechanismus im Strommarktdesign. Dafür kommen mehre Optionen in Frage: So kann eine Entkopplung des Strompreises vom Gaspreis etwa durch eine Teilung des Strommarktes in rohstoffabhängige und rohstoffunabhängige Anlagen gelingen. Der Marktpreis für Verbraucher:innen setzt sich aus dem gewichteten Durchschnitt der beiden Preise zusammen. Alternativ ist eine Reform des sogenannten Euphemia-Mechanismus, also jenem Algorithmus, welcher die Preisbildung technisch umsetzt, denkbar.
Neue Rechte für Verbraucher:innen
Die EU-Kommission hat eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, um die Position der Endverbraucher:innen zu verbessern, darunter auch das Recht auf einen langfristigen Liefervertrag mit fixen Preisen. Außerdem soll mit Abschaltverboten in den Wintermonaten und „Anbieter:innen letzter Instanz“ sichergestellt werden, dass eine sichere Versorgung mit Strom jederzeit gewährleistet ist. Ohne konkrete Regelungen bezüglich der Höhe des Preises werden diese Bestimmungen jedoch totes Recht. Hier sind also noch weitere Verbesserungen notwendig.
Aus Sicht der AK ist klar, dass die Sicherstellung einer leistbaren Energie-Grundversorgung sowie von Nachhaltigkeit Kernelemente sind, die in der Reform des EU-Strommarktes unbedingt berücksichtigt werden müssen. Dabei muss auch die hohe Bedeutung der Energieversorgung für das alltägliche Leben betont werden: „Energie ist kein Gut wie jedes andere, sie ist wesentliche Grundlage unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems. Ein neues Strommarktdesign muss dem Rechnung tragen. Der Kommissionvorschlag tut dies nicht“, so AK Wien Direktorin Silvia Hruška-Frank.
Weiterführende Informationen
AK: Strommarktdesign: Grundlegende Reform notwendig
AK EUROPA: EU-Kommission schlägt neue Maßnahmen gegen hohe Energiepreise vor
AK EUROPA: Der Energiemarkt muss reformiert werden
AK EUROPA: Neue Notfallverordnungen sollen Energiepreise dämpfen