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ZurückDas Vergaberecht regelt die Beschaffung von Leistungen durch öffentliche Auftraggeber. Die EU-Kommission will die derzeit geltenden EU-Vergaberechtsrichtlinien aus dem Jahr 2014 überarbeiten und hat im Zuge dessen von 13. Dezember 2024 bis 7. März 2025 eine öffentliche Konsultation durchgeführt. Die AK hat daran teilgenommen und mehrere Vorschläge und Forderungen eingebracht. Insgesamt müssen soziale und ökologische Aspekte bei der Vergabe öffentlicher Aufträge stärker berücksichtigt werden.
Bereits der Start der Konsultation hat eine breite und teilweise kontroverse Diskussion ausgelöst. Die aktuellen Vergaberechtsrichtlinien ermöglichen zwar grundsätzlich eine stärkere Berücksichtigung sozialer und ökologischer Aspekte. Vor allem aus Sicht der Gewerkschaften sind die derzeit bloß freiwilligen Vorgaben jedoch nicht ausreichend. Gleichzeitig wird die zunehmende Komplexität von Vergabeverfahren beklagt und von Unternehmensseite eine „pragmatischere“ Politik gefordert. In der aktuellen Diskussion prallen somit unterschiedliche Interessen aufeinander: Einerseits wird das Ziel verfolgt, soziale und ökologische Standards im Rahmen öffentlicher Ausschreibungen stärker zu verankern, andererseits gibt es einen lauten Ruf nach Vereinfachung und Reduktion regulatorischer Verpflichtungen.
Unternehmensverbände wollen Vereinfachung und Deregulierung
Unternehmensvertreter:innen sprechen sich gegen eine Überarbeitung des Vergaberechts in Richtung der Schaffung eines Instruments zur Durchsetzung sozialer und/oder ökologischer Ziele aus. Sie fordern einen Fokus auf die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit und Effizienz bei der Verwendung öffentlicher Mittel. Weiters wird die Gefahr von Marktverzerrungen ins Treffen geführt. Wenn Unternehmen allein aufgrund von sozialen oder ökologischen Standards bevorzugt würden, könne dies aus ihrer Sicht den fairen Wettbewerb untergraben. Es wird daher gefordert, dass ökonomische Kriterien die zentrale Rolle spielen sollen.
Gewerkschaften fordern soziale Verantwortung und faire Arbeitsbedingungen
Viele Akteure auf europäischer Ebene betonen die Notwendigkeit, öffentliche Vergaben als Hebel für soziale und ökologische Ziele zu nutzen. Insbesondere die Auftragsvergabe an Unternehmen, die Kollektivverträge einhalten, ist ein zentraler Punkt. Schließlich weisen nicht alle EU-Mitgliedstaaten eine so hohe Kollektivvertragsdichte wie Österreich auf. Insgesamt geht es um faire Löhne und Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten. Auch die Stärkung von ökologischen Nachhaltigkeitskriterien wird gefordert, um unter anderem die EU-Klimaziele zu unterstützen.
Beispielsweise sieht ein Vorschlag des Gewerkschafsverbandes UNI Europa vor, dass Unternehmen, die an Ausschreibungen teilnehmen, aktiv bestätigen müssen, dass sie einen Kollektivvertrag anwenden. Durch diese Bestätigung sollen die Bieter:innen mehr Punkte im Rahmen der Auswahlkriterien oder Qualitätsbewertung erhalten. Dies würde insgesamt eine Vereinfachung bei gleichzeitiger Sicherung von Sozialstandards bringen, wie auch im Rahmen einer Veranstaltung des Europäischen Gewerkschaftsinstituts (ETUI) am 3. März 2025 betont wurde. Der niedrigste Preis darf jedenfalls nicht das einzige Vergabekriterium sein.
Einigkeit besteht darüber, dass die Komplexität der Vergabevorschriften eine große Herausforderung darstellt, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Die Schwellenwerte und die Vielzahl an Anforderungen führen dazu, dass KMU de facto oft aus dem Vergabewettbewerb ausgeschlossen werden.
Balanceakt zwischen Vereinfachung und sozialer Verantwortung
Die kommenden Monate werden zeigen, in welche Richtung die Reform der Vergaberichtlinien gehen wird. Stéphane Séjourné, Exekutiv-Vizepräsident der EU-Kommission für Wohlstand und Industriestrategie, hat in seinem Mission Letter den Auftrag zur Reform des Vergaberechts erhalten, mit dem Ziel, die Versorgungssicherheit für bestimmte lebenswichtige Technologien, Produkte und Dienstleistungen zu gewährleisten und gleichzeitig den Verwaltungsaufwand zu verringern. Durch die Reform soll außerdem die Bevorzugung von europäischen Produkten in bestimmten strategischen Sektoren und Technologien bei der öffentlichen Auftragsvergabe ermöglicht werden. Der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) des EU-Parlaments arbeitet derzeit an einer Entschließung mit Empfehlungen. Der Entwurf für die Entschließung enthält bedauerlicherweise keine Empfehlung zu Kollektivverträgen als Vergabekriterium. Der Entwurf für die Stellungnahme des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL) des EU-Parlaments weist hingegen an mehreren Stellen auf die Bedeutung des Rechts auf Kollektivverhandlungen hin. Die Abstimmung über die Entschließung soll im Juli 2025 stattfinden.
Die Forderungen der AK
Auch die AK widmet sich diesem wichtigen Thema seit geraumer Zeit, und hat sich auch an der Konsultation beteiligt. Dabei wird das Vorhaben unterstützt, die öffentliche Beschaffung industriepolitisch-strategisch einzusetzen. Um die Entwicklung europäischer Leitbetriebe zu fördern, sollte ein bestimmter Anteil an europäischem Mehrwert als Zuschlagsvoraussetzung definiert werden. Die Sonderbestimmungen für Dienste der Daseinsvorsorge (Transport, Wasserver- und Entsorgung, Energie, Post) müssen beibehalten und im Sinne einer dreifachen – also ökologischen, digitalen und sozialen - Transformation weiterentwickelt werden. Insgesamt sind unter dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit und des europäischen Mehrwerts für die Reform des Vergaberechts drei Punkte zentral: die Einführung des Bestbieter- statt des Billigstbieterprinzips (Verpflichtung der öffentlichen Auftraggeber zur Berücksichtigung sozial-ökologischer Kriterien), die Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping (Generalunternehmerhaftung und Verkürzung der zulässigen Subunternehmerkette) sowie die Vereinfachung des Vergaberechts durch Eröffnung der Direktvergabemöglichkeit zur Stärkung der regionalen Wirtschaft.
Weiterführende Informationen
EU-Kommission: Überarbeitung der vergaberechtlichen EU-Richtlinien – Konsultation
AK EUROPA Positionspapier: Überarbeitung der vergaberechtlichen EU-Richtlinien – Konsultation
AK EUROPA: Öffentliche Auftragsvergabe. Wie kann sie sozialer und ökologisch nachhaltiger werden?
AK EUROPA Policy Brief: Sozialökologische Vergabe von Aufträgen
UNI Europa: Kein öffentlicher Auftrag ohne Tarifvertrag
EGB: European trade unions call for simplified pro-worker procurement rules (nur Englisch)