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ZurückRund 40 % der europäischen Erwerbstätigen arbeiten in atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Zudem sind ein Fünftel der Jobs in der EU sogenannte „poor jobs“, die durch schlechte Arbeitsbedingungen und geringes Einkommen gekennzeichnet sind. Betroffen sind dabei insbesondere junge Menschen und Frauen. Aber auch neue Formen von Arbeit, die im Rahmen der Digitalisierung entstehen, sind von prekären Beschäftigungsverhältnissen geprägt. Auf europäischer Ebene stellt die Europäischen Säule sozialer Rechte eine Grundlage dar, um Missständen in der Arbeitswelt entgegenzutreten.
Im November 2017 wurde die Europäische Säule sozialer Rechte proklamiert. Die darin festgeschriebenen Grundsätze sollen unter anderem Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang, faire Arbeitsbedingungen sowie sozialen Schutz und Inklusion gewährleisten. Seither wurden bereits Maßnahmen umgesetzt. So einigte man sich auf die Errichtung einer europäischen Arbeitsbehörde und die Richtlinie für transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen in der EU. Ebenso wurde bei der Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige eine Einigung erzielt. Zur Bekämpfung des Missbrauches atypischer und prekärer Beschäftigungsformen stellen diese Maßnahmen jedoch nur erste Schritte dar, es sind stärkere und effektivere Maßnahmen erforderlich.
Lediglich 60 % der europäischen Erwerbstätigen arbeiten in einem unbefristeten Vollzeitarbeitsverhältnis, während 40 % in einem befristeten und/oder Teilzeitarbeitsverhältnis arbeiten oder Selbstständige sind. Auf europäischer Ebene gibt es bisher keine genaue Definition, was ein prekäres Beschäftigungsverhältnis ist. So muss nicht jede atypische Beschäftigungsform (befristete Verträge, Teilzeitarbeitsverhältnisse, Zeitarbeit, selbstständige Erwerbstätigkeit etc.) prekär sein, aber sie kann. Ausschlaggebend ist das Zusammenwirken mehrerer Faktoren, die letztendlich zu Prekarität führen. So spielt es etwa eine Rolle, ob die Beschäftigungsform freiwillig oder unfreiwillig gewählt wurde, für welche Dauer (befristet oder unbefristet) und welches Ausmaß der Beschäftigung besteht. Auch die Qualität der Arbeitsbedingungen, wie das Recht auf Weiterbildung oder der Zugang zu sonstigen Vergünstigungen, sowie die Höhe des Einkommens sind entscheidende Elemente, ob ein Beschäftigungsverhältnis prekär ist oder nicht. Der Zugang zu sozialer Absicherung (Pensions- und Krankenversicherung oder Arbeitslosengeld etc.) ist ebenso entscheidend wie die Existenz von Interessensvertretungen und Gewerkschaften.
Prekäre Beschäftigungsverhältnisse sind vor allem dann ein Problem, wenn sie zu Armut führen, weil das Einkommen nicht ausreicht oder die soziale Absicherung in Form von Arbeitslosengeld oder Pensionszahlungen nicht gegeben ist. „Neue“ Arbeitsformen, die im Zuge der Digitalisierung entstanden sind, rühmen sich mit zeitlicher Flexibilität und Unabhängigkeit, bieten aber gleichzeitig kaum bis gar keine soziale Absicherung. Neben niedrigqualifizierten und jungen Menschen arbeiten insbesondere Frauen in atypischen Beschäftigungsformen, wodurch die Armutsgefährdung für diese Gruppen noch höher ist. Prekarität wirkt sich auch negativ auf die mentale Gesundheit und das Selbstbewusstsein der Menschen aus und steht vor allem bei jungen Menschen einer nachhaltigen Zukunftsplanung im Weg.
Romain Wolff, Präsident der Europäischen Union der Unabhängigen Gewerkschaften (CESI), betonte im Rahmen einer Veranstaltung am 5. März 2019, dass es innerhalb der EU möglich sein muss, mit nur einem Job ein angemessenes, gutes Leben zu führen. Maßnahmen und Vorschläge zur Verbesserung der Situation der prekär Erwerbstätigen kommen dabei sowohl von EU-Kommission und Europäischem Parlament als auch von Seiten der Gewerkschaften. So sollen bestehende Rechte effektiv durchgesetzt und die Europäische Säule der sozialen Rechte weiter umgesetzt werden. Zudem muss der soziale Dialog gefördert, die Gewerkschaften gestärkt und eine Interessensvertretung für die „neuen“ Beschäftigungsformen etabliert werden. Franca Salis Madinier, Mitglied des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA), wies darauf hin, dass die EU die Möglichkeit hat, eine Basis für alle zu schaffen, und dass der Zugang zu sozialer Sicherheit unabhängig vom Beschäftigungsverhältnis sein müsse.
Weiterführende Informationen:
AK Positionspapier: Transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union