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ZurückAm 23. Februar 2022 war es nach achtmonatiger Verspätung endlich soweit: Die EU-Kommission hat ihren Entwurf für ein EU-Lieferkettengesetz vorgelegt. AK und ÖGB fordern schon seit Langem verbindliche Regeln für mehr Unternehmensverantwortung entlang der Lieferketten. Die erste Bilanz nach der Präsentation des Entwurfs fällt gemischt aus und macht deutlich: Das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten sind nun dringend gefordert, nachzubessern, damit das EU-Lieferkettengesetz sein volles Potential entfalten kann.
Durch die von der Kommission vorgeschlagene Richtlinie über Nachhaltigkeitspflichten sollen auf Ebene der EU verpflichtende menschen- und umweltrechtliche Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette für Unternehmen festgeschrieben werden. Dieser Ansatz darf tatsächlich als Paradigmenwechsel bezeichnet werden. Der Vorschlag der EU-Kommission ist branchenübergreifend und regelt Verpflichtungen für alle Unternehmen, wenn diese bestimmte Größenkennzahlen (Anzahl der Mitarbeiter:innen, Jahresumsatz) erreichen.
Vierstufiger Sorgfaltspflichtenprozess und Sanktionen
Unternehmen sollen zu einem vierstufigen Sorgfaltspflichtenprozess verpflichtet werden. Dieser sieht vor, dass sie Risiken im Hinblick auf Menschenrechte und Umwelt entlang ihrer Lieferketten identifizieren, vorbeugen, gesetzte Maßnahmen evaluieren und regelmäßig öffentlich darüber berichten müssen. Zudem muss ein für alle betroffenen Stakeholder zugänglicher Beschwerdemechanismus eingerichtet werden. Der Entwurf sieht auch vor, dass die Nichteinhaltung der genannten Sorgfaltspflichten sanktioniert wird. Einerseits sollen Verwaltungsbehörden die Einhaltung der Richtlinie kontrollieren und sie können Verwaltungsstrafen verhängen. Andererseits soll es Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen in engem Rahmen ermöglicht werden, den Klagsweg zu beschreiten und so Schadenersatz zu erlangen.
Kinder- und Zwangsarbeit sowie schwere Verletzungen von Arbeits- und Gewerkschaftsrechten
Dass ein EU-Lieferkettengesetz unbedingt notwendig ist, zeigt auch die am gleichen Tag veröffentlichte Mitteilung über menschenwürdige Arbeit: Darin fasst die EU-Kommission die weltweit dramatische globale Entwicklung der menschen- und arbeitsrechtlichen Situation des letzten Jahres zusammen. Die Zahl der Kinder in Kinderarbeit ist seit langem wieder im Steigen begriffen und betrifft 160 Mio Kinder weltweit. 25 Mio Menschen fristen ihr Dasein in Zwangsarbeit. Ferner hält der Internationale Gewerkschaftsbund in seinem jährlichen Globalen Rechtsindex fest, dass sich die Verletzungen von Arbeits- und Gewerkschaftsrechten auf einem Achtjahreshöchststand befinden.
Weitaus ambitionierterer Ansatz nötig!
Die Vorlage des Entwurfs ist sehr zu begrüßen. Um jedoch das angestrebte Ziel der Richtlinie zu erreichen, die Arbeitsbedingungen der Menschen entlang von Lieferketten global zu verbessern, ist ein weitaus ambitionierterer Ansatz nötig.
Der derzeit vorliegende Entwurf erfasst lediglich 0,2 % der EU-Unternehmen bzw rund 0,06 % der österreichischen Unternehmen. Sorgfaltspflichten gelten demnach nur für große Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter:innen und einem weltweiten Nettoumsatz von mehr als 150 Mio Euro. In manchen Hochrisikobereichen (Textiles, Landwirtschaft und Rohstoffe) sind Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeiter:innen und einem Umsatz von mehr als 40 Mio Euro erfasst.
Der Entwurf sieht zudem keine verpflichtende Einbindung von Gewerkschaften und Arbeitnehmer:innenvertretungen in den Sorgfaltspflichtenprozessen vor. Dabei sind gerade sie es, die um die jeweiligen menschen- und umweltrechtlichen Risiken im Betrieb Bescheid wissen und auch Auskunft darüber geben können, welche Maßnahmen zu nachhaltigen Verbesserungen vor Ort führen.
Die Einführung einer Haftungsregelung im Entwurf ist ebenfalls zu begrüßen. Denn nur sie ermöglicht den Opfern von Menschenrechtsverletzungen Zugang zu Schadenersatz, während Verwaltungsstrafen in die Staatskasse überführt werden. Bedauerlich ist, dass der Entwurf jedoch einen de facto Haftungsausschluss für Verfehlungen in der Lieferkette vorsieht, wenn Unternehmen Musterklauseln in Verträge mit Zulieferbetrieben aufnehmen und diese zB extern prüfen lassen. Was dem Entwurf im Weiteren fehlt, ist ein menschenrechtszentrierter Zugang bei der Abhilfe im Falle von Menschenrechtsverletzungen. Transnationale Verfahren zu führen ist teuer, langwierig und komplex. Fälle der Vergangenheit zeigen, dass Verfahren oft nach Jahren an formalen Erfordernissen scheitern.
Der Entwurf sieht zudem vor, dass sehr große Unternehmen einen Klimaplan vorlegen müssen, der die Ausrichtung der Unternehmensstrategie am Ziel der Beschränkung des Klimawandels auf 1,5 °C gemäß Pariser Übereinkommen festsetzt und gegebenenfalls Pläne zur Emissionsreduktion vorsieht. Konsequenzen bei der Nichtvorlage eines Klimaplans bzw der Vorlage eines inhaltlich mangelhaften Plans sind jedoch nicht vorgesehen, was Zweifel an der Effektivität der Regelung aufkommen lässt.
Forderungen der EU-Bürger:innen müssen umgesetzt werden!
Es ist vor allem der Hartnäckigkeit der Zivilgesellschaft in Europa zu verdanken, dass nach mehrfacher Verschiebung nun überhaupt ein Entwurf der EU-Kommission vorgelegt wurde. Gemeinsam mit dem Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB), Friends of the Earth Europe (FoEE) und der Europäischen Koalition für Unternehmensgerechtigkeit (ECCJ) haben AK EUROPA und das ÖGB Europabüro bereits 2020 eine Kampagne zu Unternehmensverantwortung initiiert, um den Druck auf die EU-Kommission zu erhöhen, einen ambitionierten Rechtsvorschlag vorzulegen. Auch eine Umfrage bestätigte, dass mehr als 80 % der befragten Menschen in Europa ein starkes Gesetz inklusive Haftung der Unternehmen wollen.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Große Mehrheit der Menschen in Europa für ein starkes Lieferkettengesetz
AK EUROPA: Kampagne zu Unternehmensverantwortung
AK-Factsheet: Wirtschaft und Menschenrechte - Europa braucht ein Lieferkettengesetz!