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ZurückZwangsarbeit ist weltweit verbreitet und betrifft rund 28 Millionen Menschen. Im indischen Bundesstaat Maharashtra werden Landarbeiter:innen bei der Ernte von Zuckerrohr in Schuldknechtschaft gezwungen. Die laufenden Verhandlungen zur Strategischen Partnerschaft zwischen der EU und Indien boten am 8. April 2025 den Rahmen für eine gemeinsame Veranstaltung von AK EUROPA und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) in Brüssel. Arbeitsrechtsaktivist Chandan Kumar berichtete über die Ausbeutung der Zuckerrohrarbeiter:innen und Organising unter schwierigen Bedingungen. Im Kampf gegen Zwangsarbeit mahnte er auch die Verantwortung der politischen Entscheidungsträger:innen auf EU-Ebene ein.
Indien ist der zweitgrößte Zuckerproduzent der Welt; ein großer Anteil des Zuckerrohrs wird im Bundesstaat Maharashtra angebaut. Millionen von Menschen sind in Indien sind Jahr für Jahr in der Zuckerrohrernte beschäftigt, viele davon migrieren aus ärmeren Dörfern mit ihren Familien für die Erntesaison in die Zuckeranbaugebiete.
Zuckerrohranbau im indischen Bundesstaat Maharashtra – ein System der Ausbeutung
Zuckerrohrschneider in Maharashtra erhalten in der Regel keinen Lohn, sondern zu Beginn der Ernte einen Vorschuss, der abgearbeitet werden muss. Das gelingt aufgrund der ausbeuterischen Vereinbarungen und der überzogenen Zinsen jedoch oft nicht, sodass viele Familien in einen Teufelskreis der Schuldknechtschaft gezwungen werden. Es handelt sich um eine international anerkannte Menschenrechtsverletzung, die nach indischem Recht und von der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) verboten ist, aber dennoch gängige Praxis ist. Über die Missstände gab es eine Artikelserie in der New York Times und auch offizielle Stellen wie das ILAB (Bureau of International Labor Affairs des Arbeitsministeriums der USA) haben die Ausbeutung der Zuckerrohrschneider in Maharashtra bereits dokumentiert; bisher kam es aber kaum zu Verbesserungen.
Round Table von AK EUROPA und EWSA
Chandan Kumar ist Arbeitsrechtsrechtsaktivist aus der Stadt Pune in Maharashtra. Er engagiert sich beim Working Peoples Charter (WPC) network, einem Netzwerk von Grassroot-Organisationen, das Arbeiter:innen in informellen Sektoren unterstützt. Vor kurzem hat er außerdem die Indian Sugar Workers Association (ISWA) mitgegründet, ein Zusammenschluss von Organisationen mit dem Ziel, die unmenschliche Ausbeutung der Zuckerrohrschneider zu beenden.
Im Rahmen eines von AK EUROPA und dem EWSA gemeinsam organisierten Round Table am 8. April 2025 berichtete Chandan Kumar, dass es Indien starke Arbeitsrechte gäbe, der Schutz in der Praxis jedoch oft komplett ausgehebelt werde. So werden Zuckerrohrschneider beispielsweise nicht von den Zuckerfabriken angestellt, sondern über Mittelsmänner (mukadam), die auch die Vorschüsse auszahlen. Besonders schockierend ist das Schicksal vieler Frauen: Um durchgehend arbeiten zu können, werden viele dazu gedrängt, sich die Gebärmutter entfernen zu lassen.
Nachdem nicht nur die New York Times, sondern auch die indische Zeitung „The Hindu“ über die Ausbeutung der Zuckerrohrschneider berichtet hatte, eröffnete das Höchstgericht von Bombay im Jahr 2023 aus eigener Initiative (suo motu) ein Verfahren. Der Menschenrechtsanwalt Mihir Desai wurde beauftragt, einen Bericht zu verfassen. Chandan Kumar war an einer Fact Finding mission für den Bericht beteiligt. Der Bericht dokumentierte nicht nur die erschütternde Ausbeutung der Zuckerrohrarbeiter:innen, sondern enthielt auch Empfehlungen für künftige Verbesserungen. Am 17. März 2025 entschied das Höchstgericht von Bombay auf der Grundlage des Berichts, dass der Bundesstaat Maharashtra ab der Erntesaison 2025/26 Verbesserungen für die Zuckerrohrschneider umsetzen muss. Aus der Sicht von Chandan Kumar ein großer Erfolg, wobei es jedoch darauf ankäme, die Verbesserungen tatsächlich umzusetzen. Er kündigte an, dass die ISWA sich einbringen werde, damit konkrete Verbesserungen in die Tat umgesetzt werden.
Was muss sich ändern?
An der Veranstaltung von AK EUROPA und EWSA nahmen rund 25 Personen teil, darunter Vertreter:innen von EWSA, EU-Kommission, EU-Parlament, dem Büro der IAO für EU und Benelux, Gewerkschaften und NGOs. Nach der Keynote von Chandan Kumar wurde darüber diskutiert, welchen Beitrag die EU im Kampf gegen Zwangsarbeit weltweit leisten kann. Thomas Wagnsonner, EWSA-Berichterstatter zur EU-Zwangsarbeitsverordnung, die ab Ende 2027 zur Anwendung kommt, betonte, dass diese zwar ein Fortschritt sei, jedoch nicht ausreiche.
Chandan Kumar richtete einen eindringlichen Appell an die politischen Entscheidungsträger:innen auf EU-Ebene: Die geplante Datenbank in der EU-Zwangsarbeitsverordnung müsse die Realität vor Ort korrekt abbilden. Statt leerer Versprechungen sei mehr Unterstützung und Solidarität mit den Arbeiter:innen im globalen Süden notwendig. Menschenrechte dürften nicht länger hinter Unternehmensinteressen zurückstehen. Er betonte, dass die EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) vielen Menschen im Globalen Süden Hoffnung gebe und forderte, dass sie nicht durch den Omnibus-Vorschlag verwässert werden dürfe.
Der Ansatz, dass Unternehmen freiwillig soziale Verantwortung (CSR) übernehmen, habe aufgrund der fehlenden Durchsetzungsfähigkeit bisher nicht funktioniert. Die ISWA wird sich mit dem Ansatz der „Worker-driven Social Responsibility (WSR)“ für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Zuckerrohrarbeiter:innen in Maharasthra einsetzen. Bei diesem Ansatz überwachen die Arbeiter:innen selbst die Einhaltung ihre Rechte. Sie entwickeln, kontrollieren und setzen Programme um und schließen mit Unternehmen rechtlich verbindliche Verträge ab. Das Konzept haben Landarbeiter:innen in der Stadt Immokalee in Florida mit der Coalition of Immokalee Workers bereits erfolgreich angewendet.
Weiterführende Information:
AK EUROPA: Nein zum Omnibus
AK EUROPA: Zwangsarbeit. Wie die EU künftig dagegen vorgeht
AK EUROPA Positionspapier: Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem Unionsmarkt
Fair Food Program: Fair Food Program to consult in adaptation of FFP’s proven protections to prevent brutal labor abuses exposed in Mumbai High Court, Indian press, and hard-hitting New York Times series (nur Englisch)
Business & Human Rights Resource Center: Fair Food Program consulting on worker-driven responsibility model in high-risk sugar cane industry (nur Englisch)
EWSA: Stellungnahme zur Strategischen Partnerschaft EU-Indien