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ZurückNach der ersten Phase der SozialpartnerInnen-Konsultation zu gerechten Mindestlöhnen läutete die Kommission am 3. Juni 2020 nun die zweite Konsultationsphase ein. Gerechte Mindestlöhne auf Basis starker Kollektivertragssysteme sind vor dem Hintergrund der Coronakrise noch dringender notwendig, wie der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) betont.
In ihren politischen Leitlinien verwies Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen zu Beginn ihres Mandats auf Handlungsbedarf für die Durchsetzung von gerechten und angemessenen Mindestlöhnen in ganz Europa und griff damit eine Forderung der S&D-Fraktion im EU-Wahlkampf auf. Als politische Grundlage dient die Europäische Säule sozialer Rechte, deren weitere Implementierung durch einen Aktionsplan durchgesetzt werden soll. Bereits im Rahmen der ersten Konsultationsphase Anfang des Jahres hatte Sozialkommissar Nicolas Schmit betont, dass es der Kommission bei dem Vorhaben nicht um eine Harmonisierung oder einen einheitlichen europäischen Mindestlohn gehe, sondern darum, eine koordinierte Aufwärtskonvergenz zu schaffen und Kollektivverhandlungen zu unterstützen.
Gerechte Mindestlöhne als Teil der europäischen Wiederaufbau-Strategie
Vor dem Hintergrund der aktuellen Coronakrise hielt Schmit fest, dass eine/r von sechs ArbeitnehmerInnen in der EU als NiedriglohnempfängerIn einzustufen sei, ein Großteil davon Frauen. Diese hätten in der aktuellen Krise die Gesellschaft und Wirtschaft aufrechterhalten, würden aber paradoxerweise am härtesten von der Krise getroffen. Die Arbeiten an der Mindestlohn-Initiative müssten – so Schmit – Teil der europäischen Wiederaufbaustrategie sein, schließlich verdiene jede/r einen angemessenen Lebensstandard.
Nach Prüfung der insgesamt 23 Beiträge von Gewerkschaften und ArbeitgeberInnenverbänden hat die Kommission nun ein zweites Konsultationsdokument vorgelegt. Dieses betont die Notwendigkeit der Stärkung von Kollektivverträgen und schreibt diesen eine „Schlüsselrolle“ für gerechte Mindestlöhne und im Kampf gegen Erwerbsarmut und Einkommensungerechtigkeit, wie dem Gender Pay Gap, zu. Unter Verweis auf die noch deutlicher zum Vorschein gekommenen Defizite der Mindestlohnregelungen im Zuge der Coronakrise sollen neben der Tarifbindung auch die Integration aller ArbeitnehmerInnen in Mindestlohnregime gefördert und Ausnahmeregelungen abgeschafft werden. Mit Blick auf die angemessene Höhe von nationalen Mindestlöhnen sollen Kriterien zur Mindestlohnsetzung erarbeitet werden, die den sozioökonomischen Standards in den Mitgliedsstaaten Rechnung tragen und eine regelmäßige und adäquate Anpassung des Mindestlohns ermöglichen würden. Zudem hält die Kommission eine verstärkte Rolle der SozialpartnerInnen in der Aushandlung von gesetzlichen Mindestlöhnen für notwendig. Durch zusätzliches Monitoring sollen die nationalen Mindestlohnrahmen überwacht und deren Einhaltung konsequent überprüft werden.
Richtlinie oder Empfehlungen zu Mindestlöhnen?
Die Kommission nennt für die politische Umsetzung der Initiative zwei Ansätze, die im Rahmen der Konsultation eruiert werden sollen. So wäre einerseits als gesetzgebende Maßnahme eine Richtlinie im Bereich der Arbeitsbedingungen denkbar, die verbindliche Mindestanforderungen an Mindestlöhne in den Mitgliedsstaaten implementieren könnte. Ebenso könnten andererseits nicht bindende Empfehlungen des Rates einen gemeinsamen politischen Rahmen liefern, der Mitgliedsstaaten bei der Koordinierung ihre Mindestlohnpolitiken unterstützen soll - allerdings ohne verbindliche Zielvorgaben. Hinsichtlich der Sensibilität des Themas bekräftigt die Kommission erneut die Autonomie der Mitgliedsstaaten und der beteiligten SozialpartnerInnen bezüglich der Festlegung der Mindestlohnhöhe und der konkreten Umsetzungsform einer Richtlinie und versichert, nicht in gut funktionierende Kollektivvertragssysteme, wie beispielsweise jenes von Österreich, eingreifen zu wollen. Die europäischen SozialpartnerInnen haben nun bis zum 4. September 2020 Zeit, ihre Beiträge einzubringen und die ihrer Ansicht nach beste politische Umsetzung vorzuschlagen.
EGB: Stärkung von Kollektivverträgen essentiell
In seinem ersten Konsultationsbeitrag sprach sich der EGB für sektorale und sektorübergreifende Kollektivverträge als das beste Mittel zur angemessenen Lohnfindung und zur Stärkung einer existenzsichernden unteren Lohnschwelle aus. Überdies könnten nur gesunde Kollektivvertragssysteme die Mitsprache von ArbeitnehmerInnen sicherstellen und diejenigen ArbeitnehmerInnen einschließen, die oftmals zum vermeintlichen Zweck des vereinfachten Einstiegs in den Arbeitsmarkt aus Mindestlohnregimen ausgeschlossen würden.
Der EGB nannte die 2. Konsultationsphase einen Schritt in die richtige Richtung, betonte aber einmal mehr, dass die Stärkung von Kollektivverträgen nicht nur hohle Phrase bleiben dürfe. So dürften etwa ArbeitgeberInnen, die Kollektivvertragsverhandlungen verweigern, nicht noch durch öffentliche Auftragsvergaben belohnt werden. Des Weiteren lässt die Kommission laut EGB noch immer ein klares Bekenntnis zu existenzsichernden Löhnen, etwa in Höhe von mindestens 60 % des Medianeinkommens, vermissen. Die in den letzten Jahren überwiegend wirtschaftsliberale Ausrichtung des Europäischen Semesters und unzureichende politische Antworten auf neue Arbeitsformen, etwa Plattformarbeit, waren überdies wenig hilfreich, um gerechte Löhne in ganz Europa zu fördern. Demnach wurden zwischen 2011 und 2018 fünfzig länderspezifische Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters ausgesprochen, die Lohnwachstum blockierten. Daher ist es von zentraler Bedeutung, dass die diesjährige progressive Ausgestaltung der Länderspezifischen Empfehlungen ein dauerhafter Trend im Europäischen Semester-Prozess wird.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Starkes soziales Europa: Neue EU-Kommission stellt Mitteilung vor