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ZurückEin EU-Kommissar für Wohnen, ein Sonderausschuss im EU-Parlament, Ratssitzungen, Stellungnahmen des Ausschusses der Regionen und des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, diverse wohnungspolitische Konferenzen: Das Thema Wohnen wurde auf die europäische Ebene gehoben und die EU-Institutionen gestalten aktuell wichtige Rahmenbedingungen für den Umgang mit der Wohnraumkrise. Mitte Dezember 2025 soll von der EU-Kommission ein Plan für bezahlbaren Wohnraum vorgelegt werden. Barbara Steenbergen ist Leiterin des EU-Büros der International Union of Tenants (IUT) in Brüssel. AK EUROPA sprach mit ihr darüber, wie Wohnen zu einem zentralen politischen Feld auf europäischer Ebene wurde – und was aus Perspektive der Mieter:innen von den aktuellen Vorhaben zu erwarten ist.
AK EUROPA: Das Thema Wohnen ist in aller Munde in Brüssel und noch vor Weihnachten soll der Plan für erschwinglichen Wohnraum publiziert werden. Vor der letzten EU-Wahl war Wohnen allerdings noch kein europäisches Thema. Was sind die Gründe für diesen Sinneswandel?
Steenbergen: Das ist die normative Kraft des Faktischen. Bezahlbares Wohnen, bzw. der Mangel daran, ist ein Thema, das ganz Europa bewegt. Die Wohnungspolitik ist nicht mehr allein nationale Politik. Natürlich gibt es in jedem Mitgliedsstaat z.B. ein eigenes Mietrecht und ein eigenes Recht für öffentlich geförderten und genossenschaftlichen Wohnbau. Aber das Problem liegt darin, dass die Wohnungsmärkte nicht mehr national abgegrenzt sind. In Wohnungsmärkten wird supranational investiert und die Investitionen bestimmen auch im Wesentlichen, in welche Richtung sie getrieben werden.
AK EUROPA: Wie kam es zu dieser verstärkten Internationalisierung der Wohnungsmärkte?
Steenbergen: Wir haben speziell nach der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 eine Konzentration von Investitionen auf den Wohnungsmärkten feststellen können und dadurch eine massive Verschiebung von Besitz konstatiert. Bereits in den 2000er Jahren haben viele Städte und Kommunen aufgrund von Haushaltsproblemen ihren öffentlichen und sozialen Wohnungsbestand verkauft. Und dieser öffentliche Wohnungsbestand ist an private Investoren verkauft worden, die natürlich nicht die gleiche Intention wie die vormaligen Eigentümer haben. Nun ging es vorrangig darum, mit den Beständen Profit zu machen.
AK EUROPA: Warum ist gerade der Bereich Wohnen für Investoren so attraktiv?
Steenbergen: Speziell nach der globalen Finanzkrise war der Glaube an Aktien, Fonds und Derivate vorbei und man ist in Immobilien, das sogenannte „Betongold“ gegangen. Und das hat leider die Finanzialisierung auf den Wohnungsmärkten noch weiter verschärft. Diese Nachfrage kam wie eine große Welle über Europa und führte zu einer Umverteilung von Immobilien-Vermögen in Richtung börsennotierter Unternehmen. In diesen Beständen leben auch Menschen, die von staatlichen Transferzahlungen abhängig sind. Beispiel Vonovia: Von einem Euro Miete gehen 40 Cent unmittelbar an die Aktionäre, die Rendite abschöpfen wollen. So trägt auch der Staat zum Reichtum einiger weniger bei.
AK EUROPA: Welche Rolle spielten die Mieterverbände und ihre Dachorganisation, die IUT, damit das Thema auf europäischer Ebene verhandelt wird?
Steenbergen: Wir sind seit mehr als 15 Jahren hier in Brüssel präsent und wir haben von Anfang an gesagt, dass wir einen europäischen Weg finden müssen, um die Wohnraumkrise wirkungsvoll zu kontern. Die Wohnungsmärkte sind völlig entgleist. Und deswegen müssen wir europäisch tätig werden, denn das Problem hält nicht mehr an den Staatsgrenzen. Wir haben es zum Beispiel im Bereich der Short Term und Short Stay Anbieter mit Global Players zu tun – das heißt, wir müssen uns auch global und auf europäischer Ebene organisieren.
AK EUROPA: Wurde die Mieter:innenbewegung in den letzten Jahren widerständiger?
Steenbergen: Ja, es ist zu einer Politisierung gekommen, ganz einfach, weil es so massive Mietsteigerungen auf den privaten Wohnungsmärkten gibt. In den Zeiten der Konzentration und Finanzialisierung kam es zu einer massiven Umwandlung von Mietwohnungen. Sobald irgendwo eine Wohnung auf den Markt kam, wurde sie gekauft und die Profitmargen hochgedreht – und dann steigen in Ländern, die keine wirksamen Schutzgesetze haben, die Mieten. Das Ganze wurde dann auch durch Corona verschärft. Die Menschen waren abhängig davon, ihre Wohnung zu halten, weil sie dann oft gleichzeitig auch Arbeitsstätten waren. Und das alles zusammen hat schrittweise zu einer Politisierung geführt. Diese Tendenz ist europaweit zu beobachten. Wir haben das im Vorfeld der letzten Europawahlen gesehen. Da wurde gefragt, was die zwei wichtigsten Probleme sind, die die Europäer bewegen. Das erste war der Verlust des Arbeitsplatzes. Das Zweite war schon die Unbezahlbarkeit des Wohnens – in ganz Europa! Man sieht also, wir haben wirklich Not am Mann.
AK EUROPA: Die Wohnraumkrise wird mittlerweile also als europäische Krise wahrgenommen. Gleichzeitig wird aber auch immer wieder festgestellt, dass europaweite Regeln schwer umzusetzen sind, weil die Wohnungsregime in den diversen Mitgliedsstaaten ganz unterschiedlich funktionieren. Was sind denn diese großen nationalen Unterschiede?
Steenbergen: In Zentral- und Osteuropa etwa gibt es hohe Eigentumsquoten, weil nach dem Ende des Sozialismus der Bestand privatisiert wurde und die Menschen die Möglichkeit hatten, ihre Mietwohnung zu kaufen. Damals haben das die meisten auch wahrgenommen und waren sich wenig darüber bewusst, dass das Eigentum einer Immobilie natürlich auch bedeutet, dass sie für sämtliche Investitionen selbst aufkommen müssen.
Jetzt haben aber diese Bestände – man denke nur an die großen Plattenbausiedlungen – sehr schlechte Energiewerte und sind schlecht unterhalten. Und die Wohnungseigentümer:innen sind nicht in der Lage, diese Probleme allein zu lösen. In einem Haus mit 80 Einzeleigentümer:innen ist es schwer, eine Investitionsentscheidung zu treffen, die das ganze Haus betrifft, etwa wenn ein neues Dach benötigt wird oder eine neue Heizung angeschafft werden muss.
In Südeuropa gibt es teilweise eine ideologische Bevorzugung und damit auch staatliche Förderung des Wohneigentums. In Spanien und Italien ist das ganz massiv. Umgekehrt gibt es kein funktionierendes soziales Mietrecht. Eine solches wäre aber oberste Priorität. Wenn das Angebot auf kurzfristige, oftmals nur auf Monate oder ein Jahr befristete Mietverträge mit entsprechend kurzen Kündigungsfristen begrenzt ist, müssen sich die Haushalte sehr genau überlegen, ob sie zur Miete wohnen, und damit in ständiger Unsicherheit. Andererseits ist Wohneigentum für die Bezieher:innen von kleinen und mittleren Einkommen unerreichbar. In Ländern, in denen es keinen ausreichenden Mieterschutz gibt, muss die EU gemeinsam mit den Mitgliedstaaten versuchen, sicheres und langfristiges Wohnen zur Miete zu ermöglichen.
In Schweden hat die Beihilfediskussion eine große Rolle gespielt. Schweden war gezwungen, das bisherige System zu ändern. In Skandinavien gilt der universelle Zugang zum öffentlichen Wohnraum, ohne Einkommensgrenzen. Wohnen ist ein Menschenrecht. In Schweden sind dann durch eine Klage von Privatinvestoren bei der EU-Kommission, die unterstellten, die Wohnungsbaugesellschaften hätten illegale Staatsbeihilfen erhalten, die Steine ins Rollen gekommen. Letztendlich ging es jedoch um mehr Marktanteile für Private und die Zurückdrängung des starken öffentlichen Sektors.
In Dänemark hat Blackstone ganz massiv investiert. Das Unternehmen sah sich heftiger öffentlicher und politischer Kritik ausgesetzt, weil es Gesetzeslücken ausnutzte, die Mieten nach Renovierungsarbeiten erheblich zu erhöhen, bis zu 400 Prozent. In Kopenhagen sollten so Durchschnittsverdiener aus ihren Stadtvierteln verdrängt werden. Die öffentliche Empörung und der Druck des dänischen Mieterbundes veranlassten schließlich die dänische Regierung dazu, neue Gesetze zur Eindämmung von Spekulationen einzuführen. Man sieht an diesen Beispielen schon, dass von den profitorientierten Investoren gezielt Lücken im gesetzlichen Schutz und den Sicherungsmechanismen gesucht werden, in die sie reingrätschen.
AK EUROPA: Die angesprochenen Beihilfenregeln werden nun überarbeitet. Wie schätzt du die Chancen für eine Verbesserung im Bereich des sozialen und bezahlbaren Wohnbaus ein?
Steenbergen: Es wird von Seiten der EU-Kommission zu einer neuen Definition der Zielgruppe für sozialen und bezahlbaren Wohnraum kommen. Wir sind jetzt in der Endphase, aber wir haben schon entsprechende Erklärungen von EU-Kommissionsvizepräsidentin Teresa Ribera und vom zuständigen Kommissar Dan Jørgensen gehört. Beide betonen zudem, dass sie mehr Privatinvestitionen im sozialen und bezahlbaren Wohnbau erleichtern wollen, um die öffentlichen Haushalte zu entlasten und den Europäischen Wohnbauplan zu realisieren. Das ist jedoch mit Vorsicht zu betrachten.
Es muss auch gesetzlich in den EU-Förderbedingungen garantiert werden, dass sich diese Privatinvestoren an die gleichen Bedingungen halten müssen wie die öffentlichen. Und zwar nicht nur bindend bei Mitteln der Europäischen Investitionsbank (EIB) oder aus den EU-Fonds, sondern auch bei Finanzierungen der nationalen und regionalen Investitionsbanken.
Es geht um zwei wesentliche Forderungen, um Bezahlbarkeit und Mieterschutz zu gewährleisten: erstens Mietobergrenzen, und zweitens langfristige, das heißt unbefristete Mietverträge. Weiterhin sollten die geförderten Wohnungen nicht verkauft werden können. Was mit Steuergeld finanziert wird, das muss auch im Besitz der Steuerzahler:innen bleiben und darf nicht kapitalisiert werden.
AK EUROPA: Zum Abschluss: Wie zentral ist der EU-Plan für bezahlbaren Wohnraum?
Steenbergen: Die EU-Kommission macht einen Aufschlag, und der ist entscheidend. Danach kann noch beigesteuert werden, doch grundsätzliche Änderungen werden schwierig. Die Kommission hat also jetzt die Pflicht, einen wirklich mutigen, weitreichenden und vor allem sozial ausgewogenen Plan vorzulegen. Und sie muss den Mut haben, sich mit den Mitgliedsstaaten auseinanderzusetzen und die Implementierung des Plans zu begleiten. Der Rat hat sich bereits positiv geäußert, jetzt geht es darum, ob wir den Durchbruch schaffen.
AK EUROPA: Bist du optimistisch, dass ein guter Plan vorgelegt wird?
Steenbergen: Ich bin immer Optimistin. Das muss man, wenn man für mehr Mieterschutz arbeitet.
Weiterführende Informationen:
International Union of Tenants
EU-Kommission: Making housing affordable (nur Englisch)
AK EUROPA: Wohnungskrise in Europa. Berichtsentwurf sorgt für Unmut im EU-Parlament
AK EUROPA: Wohnungskrise in Europa. Was kann die EU zur Lösung beitragen?