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ZurückAngesichts des massiven Investitionsbedarfs der EU stellt sich auch die Frage nach deren Finanzierung immer drängender. Dabei setzt man auf die Vertiefung der Kapitalmärkte und nimmt sich zuallererst eine Neubelegung des Verbriefungsrahmens vor. Ob dies jedoch tatsächlich zu mehr privaten Investitionen in den grünen und digitalen Übergang und zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der EU führt, ist zu bezweifeln. Gleichzeitig könnte die Finanzmarktstabilität erneut ausgehöhlt werden. Schließlich war diese Finanztechnik einer der Auslöser der schweren Finanzmarktkrise 2008.
Nachdem man auf EU-Ebene seit mindestens einem Jahrzehnt zahlreiche mehr oder weniger erfolgreiche Initiativen zur Integration der Kapitalmärkte gesetzt hatte, wurde angesichts des massiven europäischen Investitions- und somit Finanzierungsbedarfs jüngst ein neuer Anlauf genommen. Im März präsentierte die EU-Kommission unter dem Titel Spar- und Investitionsunion (SIU) 22 Initiativen zur Vertiefung der Banken- und Kapitalmarktunion. Die erste Gesetzgebungsinitiative zur Umsetzung der SIU erfolgte am 17. Juni, als von der EU-Kommission mehrere Maßnahmen zur Neubelebung des EU-Verbriefungsrahmens vorgeschlagen wurden. Ziel ist es, die Verbriefungstätigkeit in der EU zu erleichtern, ohne die Finanzstabilität zu beeinträchtigen. Der Verbriefungsrahmen soll deshalb einfacher und zweckmäßiger werden. Dieses Vorhaben ist jedoch zu Recht umstritten.
Verbriefung: Vom Kredit zum Wertpapier
Bei der Vergabe von Krediten sind Banken an die Kernkapitalquote gebunden und müssen deshalb Eigenkapital vorhalten. So können Kreditausfälle ausgeglichen werden, ohne dass die Solvenz einer Bank bedroht und – bezogen auf den Finanzmarkt – die Finanzstabilität gefährdet wird. Bei Verbriefungen werden viele einzelne Kredite oder andere Schuldtitel in Bündel zusammengefasst und in handelbare Wertpapierformen umgewandelt. Diese werden von der Bank entweder behalten oder an Finanzinvestoren – andere Banken, Versicherungen, Hedge-, Pensions- und Investmentfonds, etc. - verkauft. Im Zuge der Verbriefung verschwinden somit zum Beispiel mehrere Hypothekarkredite aus der Bilanz der Bank und es wird Eigenkapital „frei“. Damit können weitere Kredite vergeben oder Dividenden ausgeschüttet werden und die Eigenkapitalrendite steigt. Gleichzeitig wird das Kreditrisiko über die vergebende Bank und teils über das Bankensystem hinaus weitergegeben.
Im Jahr 2008 gerieten Verbriefungen in den Fokus der Öffentlichkeit, da deren weit verbreiteter Einsatz nach dem Ausfall zahlreicher Hypothekarkredite in den USA zu fatalen Kettenreaktionen am Finanzsektor geführt hatte. Im Gefolge der „Subprime-Krise“ kam es auch in Europa zu einer schweren Finanzkrise mit massiven Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft. Als Reaktion wurden mehrere Schritte im Bereich der Regulierung und Finanzmarktaufsicht gesetzt, um den Finanzsektor stabiler zu gestalten. Im Rahmen der Eigenkapitalrichtlinie IV und der Eigenkapitalverordnung wurde die Kernkapitalquote allgemein und im Speziellen für Verbriefungen erhöht.
EU plant Neubelebung von Verbriefungen
Der derzeitige Rahmen für Verbriefungen wurde zuletzt im Jahr 2019 aktualisiert. Nun sollen dessen „Unzulänglichkeiten“ behoben werden, die nach Ansicht der EU-Kommission „die Entwicklung der Märkte behindern“. EU-Kommissarin Maria Luís Albuquerque erklärt: „Diese Überarbeitung kann zur Vertiefung unserer Kapitalmärkte und zur Finanzierung der strategischen Prioritäten der EU im Einklang mit den Zielen der Spar- und Investitionsunion beitragen. (…) Wir zählen darauf, dass die Finanzbranche zur Stärkung des EU-Verbriefungsmarktes beitragen wird, und ich gehe davon aus, dass sie diesen zweckmäßigen Rahmen nutzen wird, um mehr Finanzmittel für Privathaushalte und Unternehmen, einschließlich KMU, bereitzustellen.“
Die Kommission folgt in ihren Vorschlägen unter anderem den Aufforderungen der Eurogruppe und des Europäischen Rats. Auch im Draghi-Bericht wurde eine Neubelebung von Verbriefung empfohlen, um die Kreditvergabekapazität der europäischen Banken zu stärken, den Kapitalmarkt zu vertiefen und die EU-Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.
Umsetzung der Neubelebung betrifft mehrere Legislativakte
Zum ersten soll die Verbriefungsverordnung mit dem Ziel geändert werden, um Anforderungen in Bezug auf Sorgfalts- und Transparenz zu vereinfachen und die Kosten für Emittenten und Investoren zu senken. Zweitens soll Eigenkapitalverordnung angepasst werden, um die Kapitalanforderungen für Verbriefungen im Zuge eines komplexen Verfahrens risikosensitiver zu gestalten. Beide Vorschläge werden nun im EU-Parlament und im Rat beraten und entschieden. Ein dritter Ansatzpunkt sind Vorschläge für Änderungen der delegierten Verordnung zur Liquiditätsdeckungsquote, die zur Konsultation vorgelegt werden. Dabei geht es um die Frage, welche Anforderungen Verbriefungen erfüllen müssen, um in den Liquiditätspuffer, den Banken erfüllen müssen, aufgenommen zu werden. Viertens sollen auch Vorschläge für Änderungen der delegierten Verordnung Solvabilität II zur Konsultation veröffentlicht werden, um den Aufsichtsrahmen von Versicherungen zu ändern, sodass auch diese den „tatsächlichen“ Risiken von Verbriefungen besser Rechnung tragen und „unnötige“ Aufsichtskosten bei Investitionen in Verbriefungen beseitigt werden.
Sorge um Finanzstabilität und Zweifel an Auswirkungen auf Investitionstätigkeit
Aus AK Sicht sind jene Bestrebungen im Rahmen der SIU problematisch, die zulasten der erreichten Resilienz der Finanzmärkte nach der Finanzkrise gehen, wozu gerade auch die Wiederbelebung der Verbriefung gehört. Die Maßnahmen zur Vereinfachung im Bereich Transparenz und Sorgfaltspflicht sowie eine Konzentration von Aufsichtsanforderungen sind gerade hier gefährlich, da grundsätzlich die Prüfung und das Tragen des Kreditrisikos auseinanderfallen. Probleme der Informationsasymmetrie werden so wieder verschärft und Anreize zu riskantem Agieren verstärkt. Gemeinsam mit einer Aufweichung der Eigenkapitalbestimmungen würde die Stabilität des Finanzsektors erneut ausgehöhlt.
Wie weit die Neubelebung des Verbriefungsmarktes dazu beitragen kann, dem Investitionsbedarf der EU zu begegnen, ist fraglich. Die schwache Investitionstätigkeit beruht auf einer Reihe von Ursachen, zu denen aktuell getrübte Absatzerwartungen und eine hohe Unsicherheit und allgemein zu geringe Renditen und spezifische Marktstrukturen gehören. Beschränkte Finanzierungsmöglichkeiten spielen eine nachgeordnete Rolle. Darüber hinaus werden Verbriefungen auch für andere Zwecke als Kreditvergabe genützt (vgl. oben), und es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Kreditgeber im Zweifelsfall den Kredit fällig stellen und Sicherheiten pfänden. Zur Finanzierung privater Investitionen haben sich demgegenüber einfache gedeckte Schuldverschreibungen und Pfandbriefe bewährt. Gerade diese Segmente könnten aber durch die Förderungen von Verbriefungen unter Druck geraten. Insgesamt würden eine Reduktion der Unsicherheit durch die Stabilisierung der Nachfrage, öffentliche Zukunftsinvestitionen und verlässliche Regulierungspfade auch Anreize für private Investitionen schaffen und die Wettbewerbsfähigkeit der EU erhöhen.
Weiterführende Informationen:
EU-Kommission: Kommission schlägt Maßnahmen zur Neubelebung des Verbriefungsrahmens vor
EU-Kommission: Spar- und Investitionsunion
Finance Watch: Can Securitisation Reboot the Capital Markets Union? The limits of recent policy proposals to ‘revive’ the market for asset-backed securities in Europe (nur Englisch)
A&W-Blog: Spar- und Investitionsunion – das Pferd weiter von hinten aufzäumen?