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ZurückDie Steuerpolitik ist eines der wenigen Politikfelder der EU, das historisch bedingt immer noch durch das Einstimmigkeitsprinzip geprägt ist. Dadurch werden Maßnahmen gegen Steuervermeidung und Steuerhinterziehung regelmäßig von einzelnen Mitgliedsstaaten blockiert. Die Arbeiterkammer unterstützt in ihrem Positionspapier den Vorschlag der Europäischen Kommission für einen Übergang zum Prinzip der qualifizierten Mehrheit in Steuerfragen, um gerechtere Lösungen auf europäischer Ebene voranzutreiben.
Das derzeitige System der EU-Steuerpolitik, welches immer noch die Einstimmigkeit aller Mitgliedstaaten bei der Beschlussfassung erfordert, hat zu drängenden Problemen im Steuerbereich geführt, die letztlich auf Kosten der Beschäftigten und KonsumentInnen gehen. Denn der Wettlauf der Mitgliedstaaten um die niedrigsten Unternehmenssteuern und die systematische Steuervermeidung von Konzernen und Superreichen führen laufend zu enormen Steuerausfällen und stellen damit eine Gefahr für die wohlfahrtsstaatlichen Systeme in Europa dar.
Einstimmigkeitsprinzip schadet Beschäftigten und KonsumentInnen
Die zahlreichen Steuerskandale der letzten Jahre, angeführt von Panama Papers, LuxLeaks und Cum Ex Geschäften haben die Dimensionen der Steuervermeidung und Steuerhinterziehung aufgezeigt. Allein im Falle der Steueroase Panama entgingen laut einer Studie im Auftrag des Europäischen Parlaments den EU-Mitgliedsstaaten 237 Mrd. Euro an Steuern von Konzernen und Superreichen. Laut Schätzungen des Wirtschaftswissenschaftlers Gabriel Zucman wird zusätzlich jährlich rund ein Fünftel des möglichen Steueraufkommens der Gewinnsteuern durch die Steuertricks multinationaler Konzerne an den Staaten der EU vorbeigeschleust. Um gemeinsam handlungsfähig auf derartig drängende Herausforderungen reagieren zu können, begrüßt und befürwortet die AK den Vorschlag der Europäischen Kommission, vom Einstimmigkeitsprinzip in der EU-Steuerpolitik abzukehren und zukünftig mithilfe der allgemeinen Überleitungsklausel („Passerelle Klausel“) des Artikel 48(7) EUV die qualifizierte Mehrheit einzuführen.
Trotz breiter Zustimmung im EU-Parlament keine Umsetzung absehbar
Die Plenarsitzung des Europäischen Parlaments in Straßburg am 13.2.2019 zeigte breite franktionsübergreifende Zustimmung für die Änderung hin zu einer qualifizierten Mehrheit in Steuerfragen. Das EU-Parlament hat in diesem Politikfeld jedoch bisher keine Mitentscheidungsbefugnis wie im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, denn Steuerfragen werden immer noch im sogenannten Anhörungsverfahren verhandelt. Das Parlament muss in diesem Verfahren zwar angehört werden, letztendlich entscheiden jedoch die FinanzministerInnen im Europäischen Rat mittels einstimmigen Beschluss. Diese Form der Beschlussfassung führt nicht nur zu einem Demokratiedefizit, da keine direkt gewählten AkteurInnen an der Entscheidung partizipieren, gleichzeitig ist auch die Rechtssetzung durch das Erfordernis der Einstimmigkeit im Rat gelähmt, da eine Zustimmung aller Mitgliedstaaten in der Praxis kaum zu erreichen ist. Die von der Europäischen Kommission ins Auge gefasste Änderung des Einstimmigkeitsprinzips in Steuerfragen ist jedoch momentan ebenfalls blockiert. Die sogenannte „Passerelle Klausel“ würde zwar eine Änderung des bisherigen Gesetzgebungsverfahrens hin zur qualifizierten Mehrheit ermöglichen, hierfür ist jedoch einmal mehr ein einstimmiger Beschluss im Rat erforderlich. Bestimmte Mitgliedstaaten wie beispielsweise Luxemburg, Irland, Malta oder Niederlande wollen jedoch ihre Vorteile im Steuerwettbewerb nicht aufgeben. Die EU-Kommission ihrerseits schlägt die Umsetzung der Überleitung zur qualifizierten Mehrheit bis 2025 vor. Die AK fordert aufgrund der Dringlichkeit jedoch eine ambitioniertere Haltung und eine Änderung der Bestimmungen bis spätestens Ende 2022.
Chance zu mehr Souveränität durch Abschaffung der Einstimmigkeit
Ein häufig vorgebrachtes Argument einiger weniger Mitgliedsländer gegen die Abschaffung der Einstimmigkeit ist die Bedeutung der Steuersouveränität als eines der wichtigsten Steuerungselemente der nationalen Regierungen. Die derzeitigen Entwicklungen zeigen jedoch eindrücklich, dass es in gewissen Bereichen zu enormen Schwierigkeiten führen kann, wenn die Steuerhoheit innerhalb einer Staatengemeinschaft bei den Mitgliedstaaten liegt: Einige EU-Staaten nutzten den Steuerwettbewerb in Europa für sich und haben besonders niedrige Körperschaftssteuer- bzw. Kapitalertragssteuersätze und Begünstigungen eingeführt, um Unternehmen und Kapital aus anderen Mitgliedstaaten anzulocken. Letztendlich hat dies zu einem enormen Wettbewerb um die niedrigsten Steuern und zu einer massiven Einschränkung des Handlungsspielraums bei der Besteuerung internationaler Unternehmen geführt, wodurch bereits jetzt von einem Verlust der Souveränität gesprochen werden kann. Würden die Mitgliedstaaten nun den notwendigen Schritt setzen und vom Einstimmigkeitsprinzip abkehren, könnte wieder mehr Handlungsfähigkeit für alle EU-Staaten hergestellt werden, was insgesamt zu einem Souveränitätsgewinn führen würde. Gleichzeitig wäre es ein wichtiger Schritt in Richtung eines sozialen Europas, in dem auch Konzerne einen angemessenen Beitrag zum Steueraufkommen und zum allgemeinen Wohl leisten würden. Dadurch könnten die seit Langem von der AK geforderten Reformen in steuerpolitischen Angelegenheiten wie die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, einer Digitalsteuer und einer Gemeinsamen Konsolidierten Körperschaftssteuerbemessungsgrundlage umgesetzt werden, welche auch von der Europäischer Kommission und dem Europäischen Parlament unterstützt werden.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Positionspapier zur EU-Steuerpolitik
AK EUROPA: Einstimmigkeit in Steuerfragen nicht mehr zeitgemäß
Kommissionsvorschlag: effizientere und demokratischere Beschlussfassung in Steuerfragen
EU-Vorschlag zur Harmonisierung von Unternehmensbesteuerung funktioniert nur durch Kooperation