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ZurückMit einem Entschließungsantrag zu einer gemeinsamen Ausstiegsstrategie aus der Coronakrise legt das EU-Parlament klare Vorgaben auf den Tisch. Nun liegt es an der Europäischen Kommission und den Mitgliedsstaaten, die Forderungen des einzig direkt demokratisch legitimierten Organs der Europäischen Union entsprechend zu berücksichtigen.
Das EU-Parlament ist das einzige in allgemeinen Wahlen direkt gewählte Organ der Europäischen Union. Umso mehr fiel auf, dass die Kommission und die RegierungsvertreterInnen das Parlament bisher kaum einbanden, wenn es um die Ausarbeitung einer gemeinsamen Reaktion auf die aktuelle Krise ging. Dass David Sassoli, der Präsident des EU-Parlaments, nicht zu jenen wichtigen Videokonferenzen eingeladen wurde, bei denen unter anderem auch über das Thema Corona-Bonds diskutiert wurde, bezeichnete man im EU-Parlament als „bizarr“. Es wurde gar spekuliert, die Niederlande – ihres Zeichens vehemente Gegnerinnen der Corona-Bonds – hätten sich für einen Ausschluss Sassolis ausgesprochen. Eine Behauptung, welche unverzüglich zurückgewiesen wurde.
Die abrupte Umstellung auf den digitalen Betrieb stellte klarerweise auch das EU-Parlament vor große technische Herausforderungen. Doch auch unter den widrigen Bedingungen versucht das Parlament seine Arbeit bestmöglich fortzusetzen. Allein diese Woche fanden zahlreiche Anhörungen mit den EU-KommissärInnen statt, in denen die Mitglieder der parlamentarischen Ausschüsse ihre Haltung gegenüber den Maßnahmen der Kommission ebenso zum Ausdruck brachten, wie ihre Forderungen hinsichtlich der weiteren Vorgangsweise. Von Seiten der Kommission wurde immer wieder betont, dass die Überwindung der Krise nur durch eine gute Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament gelingen könne.
Umfassender Entschließungsantrag
In einem gemeinsam von der sozialdemokratischen S&D Fraktion, der EVP, Renew sowie den Grünen eingebrachten Entschließungsantrag, der am Freitag dem 17. April verabschiedet wurde, fordert das Europäische Parlament nun „eine geeinte und entschiedene Reaktion auf eine gemeinsame Krise“. Der Antrag fordert unter anderem die Angleichung der Löhne und Arbeitsbedingungen in stark weiblich dominierten Bereichen (zum Beispiel in der Pflege oder im Einzelhandel), sichere Arbeitsbedingungen für alle ArbeitnehmerInnen sowie den Schutz von besonders schutzbedürftigen Bevölkerungsgruppen und Menschen in prekären Situationen. Der Antrag fordert weiters „Europäische Solidarität und Maßnahmen im Gesundheitswesen“ ein, etwa offene Binnengrenzen für medizinische Produkte und die Lieferketten im Binnenmarkt sowie die „Schaffung eines europäischen Mechanismus für Maßnahmen im Gesundheitswesen“. Die Kommission wird dazu aufgefordert, einen wirksamen Exit-Fahrplan auf den Weg zu bringen. Auch in einer so gravierenden Krise wie der aktuellen müsse jedoch sichergestellt werden, dass Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte ausreichend geschützt sind. In diesem Zusammenhang wird sowohl Ungarn für die unbefristete Verlängerung des Ausnahmezustands und den Angriff auf die Rechte von Transgender- und intersexuellen Personen als auch Polen für die verfassungswidrige Änderung des Wahlrechts sowie die fortschreitende Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und den erschwerten Zugang von jungen Menschen zu sexueller Aufklärung kritisiert. Zusätzlich fordert das Parlament hier die „uneingeschränkte Achtung der Genfer Konvention und des europäischen Asylrechts“ und spricht sich für eine Lösung der Situation in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln aus, beispielsweise im Rahmen einer vorsorglichen Evakuierung und Umsiedlung der Geflüchteten.
„Konjunkturbonds“ als möglicher Kompromiss
Die bisher zur Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Fragen ergriffenen Maßnahmen begrüßt das EU-Parlament. Hinsichtlich der umstrittenen Corona-Bonds spricht es sich im Entschließungsantrag zwar gegen die „Vergemeinschaftung bestehender Schulden“ aus, fordert aber durch den EU-Haushalt garantierte „Konjunkturbonds“ Mit diesen sollen laut Parlamentspräsident Sassoli „die Schulden, die beim Wiederaufbau entstehen, vergemeinschaftet werden“. Hier zeichnet sich scheinbar ein Kompromiss ab, der auch für Deutschland – neben den Niederlanden der vehementeste Gegner der Corona-Bonds – einen gangbaren Weg darstellen könnte. Bei Anleihen, die durch den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) garantiert werden, hätte das EU-Parlament außerdem mehr Kontrolle über die entsprechenden Gelder, denn der MFR muss vom Parlament abgesegnet werden. Außerdem fordert das Parlament im Antrag einen europäischen Solidaritätsfonds, der mit 50 Milliarden Euro ausgestattet werden soll. Im Mittelpunkt des Konjunktur- und Wiederaufbaupakets sollen der Grüne Deal und der digitale Wandel stehen.
„Es lebe Europa“
In ihrer Rede vor dem Parlament entschuldigte sich Kommissionspräsidentin von der Leyen dafür, dass Europa Italien zu Beginn der Pandemie im Stich gelassen hatte. Das zögerliche Agieren der EU und die nationalen Einzelgänge der Mitgliedsstaaten haben wohl nicht zu beigetragen, dass Vertrauen in die EU zu stärken. Will man dieses Vertrauen in die Europäische Union zurückgewinnen und womöglich sogar gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, führt kein Weg an einer entsprechenden Einbindung des Europäischen Parlaments, der demokratischen gewählten Vertretung der EuropäerInnen, vorbei.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Coronakrise: Kommissare Reynders und Breton im EU-Parlament
AK EUROPA: Green Deal - Quo vadis?