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ZurückDie vergangenen fünf Jahre waren eine intensive Zeit für die europäische Handelspolitik. Das Ende der Legislaturperiode nimmt AK EUROPA nun zum Anlass für ein Resümee und einen Ausblick. Dabei steht die Kritik des Schutzes von Konzerninteressen gegenüber den Rechten der europäischen BürgerInnen im Mittelpunkt.
Sanktionierbarkeit bei Verstößen gegen Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards
Die EU-Kommission hat in den letzten Jahren einige Handelsabkommen verhandelt, unter anderem mit Japan, Singapur und Kanada. Daneben hat sie auch Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit in Handelsabkommen gesetzt. AK EUROPA sieht dies zwar als einen ersten Schritt in die richtige Richtung, fordert jedoch Verbesserungen. So muss vor dem Beginn der Verhandlungen das Verfahren zu den Folgeabschätzungen (Sustainability Impact Assessment) abgeschlossen sein, denn nur so kann festgestellt werden, welche wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen ein Handelsabkommen hat. Zudem müssen vor Abschluss der Verhandlungen alle ILO-Kernarbeitsnormen ratifiziert werden. AK EUROPA weist seit Jahren darauf hin, dass dennoch viele HandelspartnerInnen der EU nicht alle ILO-Konventionen unterzeichnet haben. Sowohl Japan (JEFTA) als auch Singapur, mit denen die EU-Kommission erst kürzlich Handelsabkommen geschlossen hat, haben nur sechs der acht ILO-Übereinkommen ratifiziert. Auch Länder wie Australien und Neuseeland, mit denen gerade Handelsabkommen verhandelt werden, haben nicht alle ILO-Konventionen unterzeichnet. Dass hier durchaus Druck gemacht werden kann, zeigt das Beispiel CETA: so wurde u.a. auch von der AK die Ratifizierung der zwei ausstehenden ILO-Kernarbeitsnormen gefordert, um Arbeitsstandards zu sichern und den ArbeitnehmerInnen Schutz und Gleichberechtigung am Arbeitsplatz zu garantieren. Kanada ratifizierte daraufhin 2016 bzw. 2017 die ausstehenden Konventionen.
Neben der Ratifizierung der ILO-Kernarbeitsnormen ist für AK EUROPA aber auch die Sanktionierbarkeit, wenn es zu Verstößen gegen Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards kommt, zentral, um die Rechte der Bevölkerung gegenüber InvestorInnen zu schützen. Die EU-Kommission steht dem äußerst zurückhaltend gegenüber und setzt auf Dialog anstelle von Sanktionen, obwohl es zum Beispiel im Fall von Südkorea zu schwerwiegenden Verstößen gegen Arbeitsrechte gekommen ist. Die AK EUROPA fordert hier eine Vielzahl von neuen Mechanismen, wie Strafzahlungen, Handelssanktionen oder eine direkte Klagemöglichkeit für die betroffene Bevölkerung.
Daseinsvorsorge und regulatorische Kooperation
Ein weiterer zentraler Kritikpunkt sind die teilweise unklaren Verhandlungsumfänge, insbesondere in der öffentlichen Daseinsvorsorge. Problematisch ist etwa, dass in JEFTA die Liberalisierung von öffentlichen Dienstleistungen, die der Daseinsvorsorge dienen (z.B. Abwasserentsorgung), nicht ausgeschlossen ist. Auch die regulatorische Kooperation, die die gegenseitige Anerkennung von Standards ohne parlamentarische Zustimmung erlaubt, ist Teil des Verhandlungsumfangs von Handelsabkommen. Durch die gegenseitige Anerkennung kann es in der EU sehr einfach und oft unbemerkt zu einer Absenkung der Standards kommen und der Einfluss von Unternehmen durch die Hintertür gestärkt werden.
Hinsichtlich unklarer Verhandlungsziele kritisiert die AK EUROPA insbesondere die wiederaufgenommenen Handelsverhandlungen zwischen der EU und den USA. Die EU-Kommission verhandelte zwei Mandate (Abbau der Zölle auf Industriegüter und Konformitätsbewertung) und gibt vor, ein „schlankes“ Abkommen abschließen zu wollen. Die USA hingegen wollen ein vollumfängliches Handelsabkommen inklusive Agrargüter. AK EUROPA fordert daher u.a. die Annullierung des TTIP-Mandats von 2013, da dieses die Tür für weitere Liberalisierungen in den Bereichen Regulierungskooperation, öffentliche Beschaffungsmärkte und Daseinsvorsorge öffnen könnte.
Investitionsschiedsgericht (ICS/ISDS)
Ebenso Teil der EU-Handelsabkommen sind Investitionsschutzabkommen, welche die Rechte von ausländischen InvestorInnen im Rahmen eines Investitionsschiedsgerichts (ICS) schützen sollen. Abkommen dieser Art (z.B. CETA, EU-Singapur) fallen gemäß dem Singapur-Urteil nicht unter die ausschließliche Zuständigkeit der EU. Der Investitionsschutzteil muss daher auch von den Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Aus Sicht von AK EUROPA könnte das ICS, welches eine Weiterentwicklung des InvestorInnen-Staat-Streitbeilegungsverfahrens (ISDS) ist, zu einer Bevorzugung ausländischer InvestorInnen gegenüber europäischen Unternehmen führen, da diese nicht vom ICS Gebrauch machen können. Zudem haben Konzerne die Möglichkeit, Staaten zu verklagen, wenn diese Gesetze erlassen, die möglicherweise die Investitionen von Konzernen gefährden oder weniger rentabel machen. Oft reicht auch schon die reine Androhung einer Klage, um die Gesetzgebung im Sinne der InvestorInnen gegen die Bedürfnisse der BürgerInnen zu beeinflussen („regulatory chill“).
Auf Anfrage der belgischen Regierung hat der EuGH am 30. April 2019 festgestellt, dass das CETA-ICS mit EU-Recht vereinbar ist. Einige Mitgliedsstaaten, darunter auch Österreich auf Initiative von Bundespräsident Van der Bellen, wollten mit der Unterzeichnung bis zum Urteilsspruch warten. AK Direktor Christoph Klein weist darauf hin, dass der EuGH zwar die rechtliche Vereinbarkeit festgestellt hat, aber die Nachteile und Gefahren von Investitionsschutzabkommen bestehen bleiben: „Wir wollen kein eigenes Justizsystem für InvestorInnen, die dann auf Kosten der ArbeitnehmerInnen, KonsumentInnen und BürgerInnen Klagen einbringen können“.
Rechte für Menschen, Regeln für Konzerne
AK EUROPA unterstützt indes den Aufruf von NGOs und Gewerkschaften, welche in der Kampagne „Rechte für Menschen, Regeln für Konzerne – Stopp ISDS“ neue Spielregeln für Konzerne fordern. Die Sonderklagerechte von Konzernen sollen beendet werden; stattdessen müssen Konzerne bei Menschenrechtsverstößen zur Rechenschaft gezogen werden. Auch innerhalb des EU-Parlaments werden faire Handelsbedingungen gefordert. MEP Karoline Graswander-Hainz betont seit Jahren die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der europäischen Handelspolitik, denn von einer fairen und nachhaltigen Handelspolitik können sowohl ArbeitnehmerInnen als auch ArbeitgeberInnen profitieren. Um einen Paradigmenwechsel zu erreichen, braucht es aber mehr progressive Stimmen im EU-Parlament, die sich für die Rechte der BürgerInnen einsetzen.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: JEFTA Mythen & Fakten über das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen der EU und Japan
AK EUROPA: Handelsabkommen mit Japan und Singapur
AK EUROPA: CETA und die Zukunft europäischer Freihandelsabkommen