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Die EU hat lange verabsäumt, die Nachhaltigkeitskapitel (TSD) ihrer Handelsabkommen zu reformieren. Die anhaltende Kritik der europäischen Zivilgesellschaft hat die Kommission aber veranlasst, nach einem ersten Diskussionspapier zu möglichen Ansätzen besserer Implementierung von Arbeits- und Umweltstandards am 26. Februar 2018 ein zweites Dokument zu präsentieren, das hierzu „15 konkrete und praktikable Vorschläge“ einbringt.

 

Effektivere Umsetzung, aber ohne Sanktionen

ArbeitnehmerInnenrechte und Umweltschutz sind in sogenannten Nachhaltigkeitskapiteln in allgemeiner Form zwar festgeschrieben. Ihre Einhaltung ist dadurch aber keineswegs gewährleistet. Da Sanktionen und Zeitvorgaben fehlen, hängt die Umsetzung lediglich vom freiwilligen Engagement der Vertragsstaaten ab. Bereits am 11. Juli 2017 präsentierten ersten „Diskussionspapier“ (engl. non-paper) zu Nachhaltigkeitskapiteln in Handelsabkommen stellte die Europäische Kommission zwei Optionen vor, wie die Kapitel, die Umwelt- und Arbeitsstandards festlegen, ausgestaltet werden könnten: Eine Option sieht Sanktionen vor, die andere nicht. In der Bewertung der Optionen wird jedoch deutlich, dass seitens der Kommission ein Modell ohne Sanktionen bevorzugt wird. Oft zitiert die Kommission zur Widerlegung eines Sanktionsmodells den sogenannten Guatemala Fall (2010), bei dem der im Handelsabkommen (mit den USA) vorgesehene Sanktionsmechanismus von den USA wegen gravierender Verletzungen von vereinbarten Arbeitsstandards und auf Anregung zweier Gewerkschaften ausgelöst worden war. Das Schiedsgericht hat sich aber nach einer über zwei Jahre hinziehenden Untersuchungen gegen die Verhängung der Sanktionen entschieden. Der Grund: Der kausale Zusammenhang zwischen dem Handelsabkommen und der Nichteinhaltung des Arbeitsrechts in Guatemala konnte nicht einwandfrei belegt werden.

 

Das Problem liegt aus AK-Sicht hier aber an der mangelhaften Formulierung des betroffenen Abkommens zwischen der USA und Guatemala (CAFTA-DR), und nicht bei der vermeintlich überbordenden Komplexität des Sachverhalts, wie von der Kommission immer wieder behauptet wird. Eine Studie der Universität Warwick kommt etwa zum Schluss, dass Nachhaltigkeitskapitel schon während der Verhandlungsphase wesentlich weniger prioritär behandelt werden als andere Kapitel. Das bestätigt auch eine Studie der Friedrich Ebert Stiftung anhand der Fragestellung zur Effektivität von Sanktionen. Aus der Studie geht außerdem hervor, dass Nachhaltigkeitskapitel, die Sanktionen vorsehen, immer noch präziser formuliert sind und höhere Standards ansetzen als jene, die sich nur auf freiwillige Kooperation beschränken. Der fehlende politische Wille der EU zeigt sich auch bei der Umsetzung bisheriger EU-Abkommen: Der hierbei angewandte freiwillige Streitbeilegungsmechanismus mit Mediationscharakter wurde bisher noch kein einziges Mal ausgelöst, obwohl es zum Beispiel im Fall von Südkorea zu schwerwiegenden Verstößen kam, wie der Verhaftung von GewerkschafterInnen und einer gewaltsamen Einschränkung der gewerkschaftlichen Versammlungsfreiheit.

 

15 Kommissionsvorschläge zu einer effektiveren Umsetzung der Nachhaltigkeitskapitel

In den „15 konkreten und praktikablen Vorschlägen“ im neuen Dokument vom 26. Februar 2018 sind Sanktionen auch weiterhin nicht vorgesehen. Die Rückmeldungen auf den ersten Vorschlag hätten ergeben, dass ein Großteil der Befragten die Anwendung von Sanktionen aufgrund von Verstößen gegen die Inhalte des Nachhaltigkeitskapitels ablehnt. Trotzdem sind aus AK-Sicht einige positive Schritte im neuen Diskussionspapier zu verzeichnen, die die Umsetzung der Nachhaltigkeitskapitel potentiell verbessern können: So soll etwa die Überwachungsfunktion der Zivilgesellschaft ausgebaut und deren VertreterInnen nun beim gesamten Vertragstext inklusive den eigentlichen Handelsthemen beratend tätig werden – zuvor war deren Rolle rein auf die Nachhaltigkeitskapitel beschränkt. Positiv ist auch der nunmehr konkrete Bezug auf das Pariser Klimaabkommen, wobei im Dokument vom Juli 2017 der Klimaaspekt noch gänzlich fehlte. Zu begrüßen ist auch der Vorschlag einer sogenannten „Review-Klausel“, die alle fünf Jahre ein – allerdings freiwilliges – Nachschärfen der Handelsabkommen zulässt.

 

Nicht vorgesehen sind nach wie vor Fristen, etwa während des Streitbeilegungsverfahrens, wodurch das Prozedere zum Nachteil der KlägerInnen stark in die Länge gezogen werden kann, da für die beklagten Vertragsstaaten nicht ausreichend Druck zum Handeln besteht. Auch äußerte sich die Europäische Kommission nicht zu einem konkreten Zeitplan, ab wann und für welche der circa 30 gerade in Verhandlung befindlichen Abkommen die Vorschläge gelten sollten. Zwar fordert die Kommission von den VertragspartnerInnen im neuen Vorschlag die „frühe Unterzeichnung“ von Umwelt- und Sozialabkommen, wie etwa die Ratifikation der grundlegenden Konventionen zu Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), macht das aber nicht zur eigentlichen Bedingung für den Abschluss von Handelsabkommen. Auf höhere Standards, etwa die ILO-Kernarbeitsnormen Plus, wird nur ein loser Bezug genommen. Die Kommission übersieht außerdem, dass viele Organisationen, beispielsweise GewerkschafterInnen und NGOs, die sich schon lange auf ExpertInnenlevel mit den Auswirkungen von Handelspolitik beschäftigen, dennoch aber noch immer nicht genügend gefördert und eingebunden werden. Das trifft vor allem auf Drittländer zu, in denen der eine Zivilgesellschaft nach europäischer Auffassung praktisch nicht oder nur teilweise existiert. Die Kommission verbleibt bei einem äußerst diffusen Verständnis einer „balancierten Zivilgesellschaft“ das auch die ohnehin bestens vertretenen finanzstarken multinationalen Konzerne umfasst.

 

AK: Grundsätzliche Reformen noch notwendig

Zusammenfassend gesehen konzentriert sich das neue Diskussionspapier zu Nachhaltigkeitskapiteln auf die verstärkte Anwendung bereits bestehender Mechanismen und vermeidet eine grundsätzliche Reform des Vertragswerks, wie die Arbeiterkammer sie fordert. Vergleicht man den gegenwärtigen Vorschlag zum Nachhaltigkeitskapitel etwa mit den Investitionsschutzkapiteln (ISDS) bisheriger Handelsabkommen, so wird deutlich, wie unverbindlich und nachrangig die Nachhaltigkeitsthematik -politisch wie juristisch - behandelt wird. Die Arbeiterkammer setzt sich daher für folgenden Reformen ein: Effektive Strafzahlungen oder Handelssanktionen, direkte Klagemöglichkeit für die Betroffenen der Zivilgesellschaft, und schnelle und verpflichtende Streitbeilegungsverfahren, die bei der Verletzung international anerkannter Abkommen tragend werden – ganz, wie es schon längst beim InvestorInnenschutz der Fall ist, allerdings mit dem Unterschied, dass es diesmal endlich den ArbeitnehmerInnenrechten und dem Umweltschutz zu Gute kommen würde.

 

Weiterführende Informationen:

Arbeitsstandards endlich sanktionsfähig in Handelsabkommen etablieren!

AK-Positionspapier: Nachhaltigkeit in EU Handelsabkommen

Kommission: Arbeitspapier 11. Juli 2017: Zwei Optionen zur Implementierung

Kommission: Arbeitspapier 26. Februar 2018: 15 praktikable Vorschläge

Studie der Friedrich Ebert Stiftung: Conditional or promotional trade agreements?

Studie der Universität Warwick: Governing labour standards through free trade agreements