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ZurückEin Bericht der EU Kommission zeigt deutlich, dass Menschen, die von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind, häufig auch keinen Zugang zu essenziellen Dienstleistungen haben. Dazu gehören unter anderem Wasser- und Energieversorgung, Verkehr und digitale Kommunikation. Ohne einen gesicherten Zugang zu diesen grundlegenden Dienstleistungen wird sich die digitale und grüne Transformation („Twin Transition“) nicht sozial gerecht bewältigen lassen.
Essenzielle Dienstleistungen sind jene Dienstleistungen, auf die alle EU-Bürger:innen angewiesen sind. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil der Ökonomie des Alltagslebens und vielfach eine Voraussetzung dafür, dass weitere Angebote der Daseinsvorsorge wie Kinderbetreuung, Bildung und Gesundheitsversorgung in Anspruch genommen werden können. Laut Grundsatz 20 der Europäischen Säule sozialer Rechte hat jede Person in der Europäischen Union das Recht auf den Zugang zu den genannten Dienstleistungen:
„Jede Person hat das Recht auf den Zugang zu essenziellen Dienstleistungen wie Wasser-, Sanitär- und Energieversorgung, Verkehr, Finanzdienste und digitale Kommunikation. Hilfsbedürftigen wird Unterstützung für den Zugang zu diesen Dienstleistungen gewährt.“
Die Europäische Säule sozialer Rechte ist eine Richtschnur für Europa und dient dazu, soziale Rechte und ihre Durchsetzung in der EU zu stärken. Ein aktueller Bericht der Europäischen Kommission zeigt, dass Menschen, die von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind, im Jahr 2022 tatsächlich häufig keinen Zugang zu essenziellen Dienstleistungen hatten.
Daten aus Haushaltsbefragung zeigen die Folgen der Teuerungskrise
Die dem Berichts zugrunde liegenden Daten stammen aus EU-SILC, einer jährlichen Erhebung von Eurostat über Einkommen, Armut und Lebensbedingungen in Europa. In Österreich führt Statistik Austria die repräsentative Befragung der Haushalte durch. Als armutsgefährdet gilt laut EU-Definition, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Nettohaushaltseinkommens zur Verfügung hat. Als armuts- oder ausgrenzungsgefährdet gilt, wer entweder armutsgefährdet ist, erheblich materiell und sozial benachteiligt ist oder weniger als 20 Prozent seines Erwerbspotenzials nutzt.
Die aktuellen Ergebnisse der Umfrage sind insofern einschneidend, als sie bereits einen Teil des Effekts der Teuerungs- und Energiekrise auf die Haushalte zeigen. Das Jahr 2022 war aufgrund der hohen Preise finanziell belastend. Haushalte mit niedrigem Einkommen sind von den Preiserhöhungen überproportional stark betroffen, da sie einen höheren Anteil ihres Einkommens für Grundbedürfnisse ausgeben und diese besonders hohen Inflationsraten unterliegen. So waren 2022 laut Bericht der Kommission beispielsweise EU-weit 15,6 Prozent der Armuts- und ausgrenzungsgefährdeten Personen mit Zahlungen im Rückstand.
Die teuren Energiepreise haben im letzten Jahr dazu geführt, dass 9,3 Prozent der Europäer:innen Probleme damit hatten, ihre Wohnung angemessen warm zu halten. Bei Personen, die armuts- oder ausgrenzungsgefährdet sind, liegt dieser Wert deutlich höher: EU-weit ist es jede fünfte Person. Das Problem der Energiearmut ist aber nicht nur am unteren Ende der Einkommensskala zu finden. Zahlen aus 2021 zeigen, dass die Hälfte der Menschen, die ihre Wohnung nicht angemessen beheizen konnten, zur mittleren Einkommensgruppe gehören.
Beim Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Anlagen (Bad und WC) zeigt die Studie hingegen einen starken Zusammenhang mit Einkommensarmut. EU-weit fehlt es 1,5 Prozent der Menschen an Zugang zu sanitären Anlagen, für Armutsbetroffene steigt die Zahl auf über 5 Prozent; in einzelnen Mitgliedstaaten wie Rumänien liegen diese Werte aber noch deutlich höher. Rund 2 Prozent der Menschen in der EU können es sich außerdem nicht leisten, eine Internetverbindung zu bezahlen. Für Armuts- und Ausgrenzungsgefährdete liegt die Quote bei 7,6 Prozent. Auch in Österreich ist Energiearmut ein Problem: 7 Prozent der armuts- oder ausgrenzungsgefährdeten Personen können es sich nicht leisten, ihre Wohnung angemessen warm zu halten.
Dringender Handlungsbedarf für eine sozial gerechte „Twin Transition“
Der Bericht macht Leistbarkeit, mangelnde Kompetenzen und unzureichende Infrastruktur als strukturelle Gründe für Zugangsbarrieren aus. Im Bereich der digitalen Kommunikation sind mangelnde digitale Kompetenzen ausschlaggebend. Darüber hinaus ist der Wohnort ausschlaggebend für den Zugang zu Mobilität und digitalen Kommunikationsmitteln. In ländlichen Gebieten sind die Breitbandverbindungen schlechter und die Verkehrsinfrastruktur weniger gut ausgebaut.
Um den identifizierten Problemen entgegenzuwirken, zeigt der Bericht erfolgreiche nationale und europäische Maßnahmen auf. So tragen zum Beispiel Mindestsicherungssysteme in einigen EU-Staaten dazu bei, dass Menschen über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, um essenzielle Dienstleistungen in Anspruch nehmen zu können. Auf europäischer Ebene wird beispielsweise mit dem Klima-Sozialfonds eine Maßnahme gesetzt, um benachteiligte Haushalte zukünftig besser vor Energiearmut zu schützen. In Österreich gibt es aber weder einen darüber hinausgehenden umfassenden politischen Rahmen zur Sicherung des Zugangs zu Daseinsvorsorgeleistungen noch empirische Belege für die Leistbarkeit essenzieller Dienstleistungen, so eine aktuelle Studie der Arbeiterkammer.
Damit die Mitgliedsstaaten flächendeckend leistbare öffentliche Dienstleistungen in hoher Qualität anbieten können, ist fiskalpolitischer Spielraum die Voraussetzung. Bei der Diskussion um die neue wirtschaftspolitische Steuerung muss dies dringend Berücksichtigung finden. Austeritätspolitik führt nicht nur dazu, dass Gelder für spezifische Maßnahmen eingespart werden; Kürzungen bei Sozialleistungen treffen besonders die vulnerabelsten Gruppen. Leider gibt es aber nach wie vor keine europäische Richtlinie, die Mindeststandards sowie Definitionen und Grundprinzipien für die Ausgestaltung von Mindestsicherungssystemen in den Mitgliedstaaten verbindlich festlegt.
Weiterführende Informationen:
EU-Kommission: Access to essential services: key challenged for the most vulnerable – report (Nur Englisch)
Zum Datensatz: EU-SILC
AK EUROPA: Initiative der Europäischen Kommission zu einer Ratsempfehlung zu angemessenen Mindesteinkommensregelungen
AK EUROPA: Eine langfristige Vision für ländliche Gebiete der EU
AK EUROPA: Förderung von Zukunftsinvestitionen und soziale Ausgewogenheit? Neuer Vorschlag für EU Fiskalregeln nicht überzeugend
AK Wien Studie: Study on access to essential services: The case of Austria (Nur Englisch)
EU-Rat: Fit for 55: Ein Fonds zur Unterstützung der am stärksten betroffenen Menschen und Unternehmen
EU-SILC Tabellenband: Ergebnisse für Österreich 2022
AK EUROPA: EU-Kommission: Mindestsicherung soll angemessen und inklusiv gestaltet werden