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Von einer „wegweisenden Übereinkunft“ und einer „neuen Phase fairer Regulierung im Binnenmarkt“ sprach Beschäftigungskommissarin Thyssen vergangene Woche (1.3.2018), als sie die vorläufige Einigung zur Entsenderichtlinie mit den Co-Berichterstatterinnen des EU-Parlaments Morin-Chartier und Jongerius sowie der bulgarischen stv. Arbeitsministerin Roussinova präsentierte. Ob die Einigung tatsächlich eine wirksame Verbesserung im Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping darstellt, wird erst der endgültige Rechtstext zeigen. Einige wesentliche Probleme scheinen aber auch nach der nunmehrigen Einigung noch ungelöst.

 

Steigende Zahl der Entsendungen

2,3 Millionen Entsendungen von ArbeitnehmerInnen finden jährlich in Europa statt, wie der aktuell erschienene Jahresbericht zur EU-Arbeitskräftemobilität feststellt. Die Zahl ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Nach Österreich werden jährlich 120.000 ArbeitnehmerInnen (Rang 4 in der EU) entsandt, von Österreich ausgehend über 75.000 ArbeitnehmerInnen (Rang 10 in der EU). Von 2010 bis 2016 haben sich die Zahlen in Österreich um 101,5% bzw. sogar 189,4% erhöht. Die bei weitem meisten Entsendungen nach Österreich finden im Baubereich statt (55,9% der Entsendungen), diese Zahl liegt auch deutlich über dem EU-Schnitt.

 

Auf die mit Entsendungen und grenzüberschreitender Arbeitsmobilität einhergehenden Probleme und Regulierungslücken im Bereich des Lohn- und Sozialdumpings wiesen Arbeiterkammer und Österreichischer Gewerkschaftsbund erst jüngst wieder in einer gemeinsamen Veranstaltung in der Österreichischen Ständigen Vertretung in Brüssel hin.

 

Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“?

Als zentrales Element der Revision der Entsende-Richtlinie wurde auch in der Pressekonferenz der Trilogverhandlerinnen die Verankerung des Prinzips des „Gleichen Lohnes für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ genannt. In Österreich gilt bereits jetzt die Verpflichtung, den österreichischen Lohn zu bezahlen. Jedoch war eine Kernforderung der Arbeiterkammer, dass die Entsenderichtlinie verpflichtend vorgeben sollte, dass ArbeitgeberInnen jedenfalls die Kosten der entsandten ArbeitnehmerInnen für Reise, Kost und Unterkunft zu übernehmen hätten. Allfällige Tricks, den ArbeitnehmerInnen diese Kosten aufzubürden, könnten somit unterbunden werden. Zwar sieht die Einigung nun eine Verpflichtung zur Kostenübernahme für Reise, Kost und Unterkunft durch den Arbeitgeber vor, jedoch mit Verweis auf das nationale Recht des Herkunftslandes. Hier ist zu befürchten, dass nicht alle Mitgliedstaaten über eine entsprechende Bestimmung im nationalen Recht verfügen.

 

Ungelöst bleibt durch die Revision der Richtlinie auch die Thematik der erheblich unterschiedlichen Sozialversicherungsbeiträge, welche im Rahmen von Entsendungen als „Wettbewerbsvorteil“ genützt werden. Hier verwies Kommissarin Thyssen in der Pressekonferenz darauf, dass sie ein kurzfristiges Wechseln zwischen Sozialversicherungssystemen für nicht praktikabel und auch nicht im Rahmen der Entsende-Richtlinie lösbar erachte.

 

Maximale Entsendedauer und Transportsektor

Die maximale Entsendedauer darf in Zukunft 12 Monate nicht überschreiten, jedoch gibt es die Möglichkeit einer Verlängerung um 6 Monate (de facto also: 18 Monate). Dies ist – aus Sicht der Arbeiterkammer – nach wie vor viel zu lang und geht an der Realität vorbei, da die durchschnittliche Entsendedauer lediglich 4 Monate beträgt.

 

Bezüglich des Transportsektors hat sich die Arbeiterkammer gegen eine Sonderregel in Form einer „lex specialis“ ausgesprochen: Aus Sicht der AK gibt es keinen Grund, für diese Berufssparte eine Sonderregelung zu schaffen und Regelungen zur Entsendung nicht ab dem ersten Tag anzuwenden. Auch in diesem Punkt ist die Trilog-Einigung nicht ausreichend. Nunmehr sollen für ArbeitnehmerInnen in der Transportbranche zunächst weiterhin die Bestimmungen der alten Entsendeichtlinie aus 1996 und erst nach Einführung der „lex specialis“ die Bestimmungen des neuen Systems gelten. Eine „lex specialis“, wie sie gerade vom Parlament und Rat diskutiert wird, wird aller Voraussicht nach bedeuten, dass die nun beschlossene Entsenderichtlinie für im Straßenverkehr Beschäftigte nicht ab den ersten Tag zur Anwendung kommt.

 

Schutz der ArbeitnehmerInnen und Achtung von Gewerkschaftsrechten

Trotz der Ankündigung, eine „wegweisende Übereinkunft“ gefunden zu haben, bleiben aus ArbeitnehmerInnensicht somit wesentliche Forderungen offen. Zwar ist auch in Zukunft keine doppelte Rechtsgrundlage, im Sinne einer Bezugnahme auch auf Art. 153 AEUV, in der Richtlinie vorgesehen. Jedoch verweist der neue Artikel 1 auch auf den Schutz der ArbeitnehmerInnen und könnte so zumindest eine Hilfestellung als Gegengewicht zur Binnenmarkt-Rechtsgrundlage sein. Auch enthält der Artikel eine „Monti“-Klausel, und somit eine Klarstellung, dass die Richtlinie fundamentale Rechte der Kollektivvertragsverhandlungen und des Streikes achtet.

 

Gemäß der Einigung sollen die neuen Regelungen bereits 2020 in Kraft treten. Vorab bedarf die nun zustande gekommene Einigung noch der Zustimmung des EP-Beschäftigungsausschusses sowie Plenums, sowie jener der Mitgliedstaaten im Rat. Hier wird sich zeigen, ob die vorläufige Einigung somit auch zum finalen Richtlinientext wird. Auf Ratsebene kündigt sich Widerstand einiger Staaten zum Verhandlungsergebnis an.

 

AK-Forderung: Effektive EU-Arbeitsbehörde

In Anbetracht dessen, dass auch nach Revision der Entsenderichtlinie – so es beim jetzigen Verhandlungsstand bleibt – erheblicher Handlungsbedarf bei der Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping bestehen bleibt, tritt die Arbeiterkammer - in Ergänzung der Reformen bei der Entsenderichtlinie – für die Einrichtung einer Europäischen Arbeitsbehörde. Im Rahmen des für kommende Woche (13.3.2018) geplanten „Pakets für soziale Gerechtigkeit“ hat die Kommission neben Ratsschlussfolgerung zum Zugang zu Sozialschutz auch einen Vorschlag für die Errichtung einer Europäischen Arbeitsbehörde angekündigt.

 

Weiterführende Informationen

Pressekonferenz zur vorläufigen Einigung im Trilog vom 1.3.2018

Factsheet der Kommission zur Überarbeitung der Entsenderichtlinie

Jahresbericht 2017 zur EU-Arbeitskräftemobilität

AK EUROPA: Die geplante Europäische Arbeitsbehörde – ein wirksames Instrument gegen Lohn- und Sozialdumping oder ein Placebo?

AK-Europa: Beschäftigungsausschuss beschließt Bericht zur Entsenderichtlinie

AK-Europa: EU-Entsenderichtlinie NEU: Großer Wurf? Fehlanzeige!

ETUC: Equal pay in sight for posted workers?