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Je näher der Zeitpunkt der Veröffentlichung des „Pakets für soziale Gerechtigkeit“ der Europäischen Kommission am 13. März 2018 rückt, desto häufiger wird in Brüssel über die möglichen Aufgaben und Kompetenzen der darin vorgeschlagenen Europäischen Arbeitsbehörde – kurz ELA – diskutiert. Am 27. Februar luden Deutscher Gewerkschaftsbund und Friedrich-Ebert-Stiftung Kommissions- und SozialpartnervertreterInnen zur Präsentation ihrer Studie „Towards a European Labour Authority“ in die Landesvertretung Hessen.

 

Bereits vor Vorliegen des konkreten Vorschlags der Europäischen Kommission hat Jan Cremers in der Kurzstudie "Towards a European Labour Authority" das Problemfeld der Arbeitskräftemobilität im Binnenmarkt und das bislang bestehende internationale, regulatorische Rahmenwerk analysiert. Aus seiner Sicht bestehen drei Kernprobleme bei der Kontrolle und Rechtsdurchsetzung im Binnenmarkt: (1) "Regime Shopping", also ein gezieltes Umgehen höherer Standards, "regulatorische Arbitrage", einer Umgehung bestehender Aufsichtsmechanismen, sowie grenzüberschreitende Personalbeschaffung, mit dem Ziel, Arbeitskosten zu sparen, (2) unklare und verstreute (nationale) Kompetenzen und (3) das Fehlen eines europaweiten Beschwerdemechanismus. Als gute Referenzquellen für das Regulierungsvorhaben weist Cramers auf die ILO Konvention Nr. 81 zu Arbeitsinspektoraten, welche auch alle EU Mitgliedstaaten ratifiziert haben, sowie auf die EP Resolution zu effektiven Arbeitsinspektoraten aus 2014 hin. Zentrale Aufgaben einer zukünftigen Arbeitsbehörde sieht Cramers im Bereich der Unterstützung bei der Streitschlichtung: Hier tritt er für die Einführung eines Streitbeilegungsverfahrens, klare Arbeitsteilung mit den bestehenden nationalen und europäischen Behörden, Erarbeitung von Vorschlägen an die EU-Gesetzgeber und Klagsmöglichkeit beim EuGH.

 

Kommission sieht positive und negative Seiten von Arbeitskräftemobilität

Piet van Nuffel, Mitarbeiter im Kabinett von Beschäftigungskommissarin Thyssen, machte eingangs auf die sich veränderte Arbeitskräftemobilität aufmerksam: Rund 16 Millionen ArbeitnehmerInnen in der Europäischen Union arbeiten in einem anderen Mitgliedsstaat als ihrem Herkunftsland, doppelt so viele wie vor 10 Jahren. Die Mehrzahl von ihnen ist dauerhaft dorthin gezogen, einige wurden aber auch dorthin entsendet. Besonders im Zusammenhang mit Entsendungen lassen sich immer wieder Fälle von Lohn- und Sozialdumping beobachten. Um diese neuen Herausforderungen anzugehen, hat die zuständige Kommissarin Thyssen entscheidende Vorschläge auf den Tisch gelegt: Eine Revision der Entsenderichtlinie, den Vorschlag zur Koordinierung der Sozialversicherungssysteme und den nun am 13. März zu erwartenden Vorschlag zur Europäischen Arbeitsbehörde. Welche Kompetenzen diese im Endeffekt genau erhalten wird, war auch zwei Wochen vor ihrer Präsentation noch ein gut gehütetes Geheimnis. Einige Informationen ließ sich van Nuffel aber doch entlocken: Die ELA soll vorrangig für die Beilegung von Uneinigkeiten bei grenzüberschreitender Erbringung von Dienstleistungen zwischen den Mitgliedstaaten zuständig sein und die nationalen Behörden bei ihrer (Inspektions-)Arbeit unterstützen. Sie soll aber auch als Informationsplattform für ArbeitnehmerInnen und -geberInnen bei grenzüberschreitender Beschäftigung dienen. Darüber hinaus soll Arbeitskräftemobilität aber als etwas Positives verstanden werden und somit auch die Aufgaben der EURES, dem europäischen Netzwerk von Arbeitsagenturen, unter das Dach der ELA wandern. Dieser Vorschlag stieß nicht bei allen Anwesenden auf Begeisterung, denn für die nationalen Arbeitsmarktbehörden sei selbst die Implementierung der derzeit geltenden Verordnung noch nicht abgeschlossen.

 

EGB für effektive Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping

Liina Carr, zuständige politische Sekretärin beim Europäischen Gewerkschaftsbund EGB, betonte, dass im Grunde nur „Wünsche ans Christkind“ abgegeben werden könnten, solange der Vorschlag der Kommission noch nicht veröffentlicht wurde. Allerdings hätte auch der EGB sehr konkrete Vorstellungen, was, und was nicht von der ELA erwartet wird: Aus Sicht der europäischen ArbeitnehmerInnenvertretung sollten die Hauptaufgaben einer solchen Behörde die Förderung der effektiven Durchsetzung des europäischen Arbeits- und Sozialversicherungsrechts sowie der Kampf gegen Sozialdumping und grenzüberschreitenden Sozialbetrug sein. Denn die Durchsetzung von Sozialvorschriften ist — wo sie überhaupt vorhanden ist — zersplittert und lückenhaft und die Kapazitäten nationaler Behörden reichen oft nicht aus, um hoch mobile und komplexe Geschäftspraktiken zu kontrollieren. Diese Unzulänglichkeiten werden von manchen Unternehmen ausgenutzt, um nationale und europäische Sozialvorschriften zu umgehen. Insbesondere viele Arbeitsüberlassungsagenturen haben dies zu ihrem alleinigen Geschäftsmodell gemacht. Immer wieder berichten Medien von Ausbeutung, menschenunwürdigen Unterkünften und klaren Verstößen gegen das EU-Recht.

 

Eine Europäische Arbeitsbehörde könnte zu einer Verbesserung der Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten beitragen — zum Beispiel bei Verwaltungsstrafverfahren in Fällen von Lohn- oder Sozialdumping, Verstößen gegen ArbeitnehmerInnenschutzvorschriften oder bei der Koordination grenzüberschreitender Kontrollen. Insbesondere die effektive Durchsetzung des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts in grenzüberschreitenden Fällen scheitert oft daran, dass die Möglichkeit, Strafen durchzusetzen, meist an den nationalen Grenzbalken endet. Hier könnte eine Europäische Arbeitsbehörde Abhilfe schaffen. Rote Linie ist für die europäische Gewerkschaftsbewegung allerdings ein Einschränken der Sozialpartnerautonomie: Es darf kein Unterlaufen von nationalen Systemen geben, wo Gewerkschaften bereits erfolgreich in Inspektion und Durchsetzung des geltenden Rechts eingebunden werden.

 

Deutlich weniger Kompetenzen möchte die Wirtschaftsseite der ELA einräumen: Maxime Cerutti von business europe störte bereits die Bezeichnung „Agentur“. Des Weiteren sieht er keine Streitbeilegungskompetenz bei der ELA.

 

AK, ÖGB, EGB: Gemeinsam gegen Sozialdumping

Es ist symptomatisch, dass die EU zwar schon eine gemeinsame Bankenaufsicht hat, aber bisher untätig geblieben ist, wenn es um die Durchsetzung von ArbeitnehmerInnenrechten geht. Eine Europäische Arbeitsbehörde könnte dies ändern. Dafür muss sie aber so ausgestaltet werden, dass sie im Interesse der ArbeitnehmerInnen arbeitet. Um diejenigen Kräfte innerhalb der Europäischen Kommission und der europäischen Regierungen zu unterstützen, die sich für eine solche Europäische Arbeitsbehörde einsetzen, haben AK, ÖGB und EGB die Kampagne „Nein zu Sozialdumping“ ins Leben gerufen, die über 8.400 Personen ermöglichte, unkompliziert an der öffentlichen Konsultation der Europäischen Kommission teilzunehmen.



Weiterführende Informationen

 

Positionspapier AK Europäische Arbeitsbehörde

Positonspapier EGB

AK EUROPA: Die geplante Europäische Arbeitsbehörde – ein wirksames Instrument gegen Lohn- und Sozialdumping oder ein Placebo?

AK EUROPA: Fairer Wettbewerb und fairer Arbeitsmarkt in der EU?

Gemeinsam gegen Sozialdumping

FES: Towards a European Labour Authority