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ZurückMit Blick auf eine Ausstiegsstrategie setzten die EU und ihre Mitgliedsstaaten große Hoffnung in Handy-Apps zur Kontaktnachverfolgung. Um das Vertrauen der BürgerInnen zu gewinnen und einen Missbrauch der Daten zu verhindern, setzt die EU-Kommission auf eine gemeinsame und koordinierte Herangehensweise.
In ganz Europa beginnen vermehrt Länder damit, die geltenden Restriktionen zur Eindämmung des Coronavirus schrittweise zu lockern. Um eine neuerliche Zuspitzung der Situation zu verhindern wird auch über Kontaktnachverfolgungs-Apps diskutiert. Diese Handy-Apps sollen eine Rückverfolgung der Infektionsketten und dadurch in weiterer Folge ihre Unterbrechung ermöglichen. Auch die EU-Kommission ist der Meinung, dass „die Entwicklung solcher Apps und ihre Nutzung (...) einen erheblichen Beitrag zur Eindämmung des Virus leisten“, und somit „eine wichtige Rolle im Hinblick auf die Strategie zur Lockerung der Ausgangsbeschränkungen“ spielen könnte. Das sei „in der Phase der Aufhebung der Eindämmungsmaßnahmen besonders wichtig, da das Infektionsrisiko mit den zunehmenden Kontakten zwischen Personen wieder steigt“, wie die Kommission in ihrem Fahrplan für die Aufhebung der Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 festhält. Bereits am 8. April empfahl die Kommission deshalb die Entwicklung eines gemeinsamen Instrumentariums zum Einsatz von Apps und Daten von Mobilen Geräten.
Leitlinien der EU-Kommission
Am 16. April veröffentlichte die Kommission Leitlinien zum Thema Datenschutz, welche bei der Entwicklung entsprechender Apps behilflich sein sollen. Als Grundlage für eine mögliche Verwendung müssten laut Kommission jedenfalls geltende EU-Rechtsvorschriften berücksichtigt werden, insbesondere die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation. In die Ausarbeitung der Leitlinien – sie sollen die BürgerInnen bei der Verwendung ausreichend schützen und den Eingriff in die Privatsphäre beschränken – wurde auch der Europäische Datenschutzausschuss eingebunden. Die Leitlinien setzten für die Entwicklung von Apps zur Kontaktnachverfolgung voraus, dass die Verantwortung bei den nationalen Gesundheitsbehörden liegt, personenbezogene Daten nur begrenzt benutzt werden und die NutzerInnen die volle Kontrolle über diese Daten behalten. Außerdem sollen Daten nur für einen streng begrenzten Zeitraum und nur auf dem Gerät der jeweiligen NutzerInnen gespeichert werden. Die Zuverlässigkeit der (Kontakt-)Daten soll technisch gewährleistet und die nationalen Datenschutzbehörden bei der Entwicklung miteinbezogen werden.
Instrumentarium als Orientierungshilfe
Unterstützt durch die Kommission haben die EU-Mitgliedsstaaten außerdem ein Instrumentarium für die Nutzung von Apps zur Kontaktnachverfolgung und Warnung entwickelt. Es soll den Mitgliedsstaaten als praktische Orientierungshilfe bei der Einführung solcher Apps dienen. Enthalten sind Anforderungen, die als grundlegend definiert wurden und eine einfachere, schnellere und wirksamere Nachverfolgung von Infektionsketten ermöglichen sollen als herkömmliche Methoden – etwa die Befragung infizierter PatientInnen. Das Instrumentarium wird als Teil eines laufenden Prozesses betrachtet, die vorliegende Fassung soll anhand der Rückmeldungen der Mitgliedsstaaten fortlaufend optimiert werden. Bis 30. April 2020 sind die nationalen Gesundheitsbehörden nun angehalten, die Wirksamkeit von Kontaktnachverfolgungs-Apps zu bewerten, bis 31. Mai sollen anschließend die Mitgliedsstaaten selbst Bericht erstatten.
Datenschutz und Kritik
„Strenge Datenschutzvorkehrungen sind jedoch Voraussetzung für die Einführung dieser Apps und damit für ihren Nutzen“, wie der für den Binnenmarkt zuständige Kommissar Thierry Breton klarstellte. Auch zahlreiche NGOs und Datenschutz-Organisationen haben angesichts der Diskussion auf Anforderungen und Gefahren hingewiesen. So veröffentlichte etwa der Chaos Computer Club (CCC) 10 Prüfsteine für die Beurteilung solcher Apps. Zwei dieser Prüfsteine sind Freiwilligkeit und Anonymität. KritikerInnen bezweifeln jedoch den Nutzen solcher Apps. So wird im vorliegenden Instrumentarium der EU-Kommission eine Studie der Universität Oxford zitiert, nach der diese zwar der Eindämmung des Coronavirus dienen könnten, dafür allerdings rund 60 Prozent der Bevölkerung diese Apps nutzen müssten. In Singapur, dass vielen Ländern in dieser Hinsicht als Vorbild dient, wurde die App jedoch lediglich auf rund zwölf Prozent aller Smartphones installiert. Treffen sich zwei Personen zufällig liegt die statistische Wahrscheinlichkeit, dass beide die App installiert haben damit bei etwas mehr als einem Prozent. Außerdem gilt es zu bedenken, dass nach wie vor ein bedeutender Prozentsatz der Bevölkerung nicht über ein Smartphone verfügt – gerade ältere Menschen, die zur Risikogruppe zählen.
Arbeiterkammer pocht auf Freiwilligkeit
Die AK mahnt, dass sich bei einer eventuellen Einführung einer solchen App nichts am unbedingten Bekenntnis zur Freiwilligkeit ändern darf. Alles andere wäre ein nicht zu akzeptierender Eingriff in die Grundrechte. Freiwillig und ohne Zwang heißt dabei auch, dass die Einwilligung zur App-Nutzung nicht mit Vorteilen – etwa der Lockerung von Ausgangs-, Reise- oder Zugangsbeschränkungen – verknüpft werden darf. Auch muss laufend beobachtet werden, ob solche Apps – trotz des Bekenntnisses zu einem hohen Datenschutzniveau – nicht längerfristig auch Tendenzen befördern, die hinsichtlich der Grundrechte entschieden abzulehnen sind. Wichtig sind in diesem Zusammenhang umfassende Transparenz und kontinuierliche Datenschutzfolgeabschätzungen sowie Prüfungen durch die Datenschutzbehörde. Auch eine Datenschutz-Zertifizierung durch unabhängige Einrichtungen wäre ratsam.
Weiterführende Informationen:
AK Positionspapier: Evaluierung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)
AK EUROPA: Kommission stellt Exit-Fahrplan vor
AK EUROPA: Coronakrise: Kommissare Reynders und Beton im EU-Parlament