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ZurückNach langwierigen Verhandlungen konnte letzten Sonntag am EU-Gipfel eine politische Einigung über den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union erzielt werden. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker spricht vom bestmöglichen Verhandlungsergebnis. Der britische Gewerkschaftskongress TUC sieht hingegen weiterhin die Rechte der arbeitenden Bevölkerung in Gefahr.
Am 25. November 2018 verständigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf den beinahe 600-seitigen Text für das Austrittsabkommen von Großbritannien und unterstützten auch einstimmig die 26-seitige politische Absichtserklärung über die zukünftige Zusammenarbeit zwischen der EU und Großbritannien. Das Gipfel-Treffen wurde von Protesten begleitet, aber nicht nur vor Ort in Brüssel. Es ist nicht gesichert, dass der Vertrag am 11. Dezember im britischen Unterhaus angenommen wird. Nicht nur aus der oppositionellen „Labour“-Partei gibt es Stimmen gegen das Verhandlungsergebnis, sondern auch von Abgeordneten aus Mays eigenen Reihen. Auch das Europäische Parlament muss Anfang 2019 dem Austrittsabkommen noch zustimmen. Danach soll es im März von den Mitgliedsstaaten im Rat abgestimmt werden. Ein Ausstieg der Briten braucht dort eine qualifizierte Mehrheit.
Goodbye Worker’s Rights?
Der Austritt Großbritanniens erfolgt zum 29. März 2019, ab dem Folgetag soll das Austrittsabkommen in Kraft treten. Im Vertrag ist eine Übergangsphase bis 31. Dezember 2020 festgeschrieben, die den Verbleib im EU-Binnenmarkt und der Zollunion vorsieht. Optional kann diese Übergangsfrist um 1 oder 2 Jahre verlängert werden. Auch die AK hatte sich dafür ausgesprochen, die mögliche Verlängerung der Übergangsfrist offen zu lassen. Großbritannien darf bilaterale Abkommen mit anderen Ländern ausverhandeln, muss sich aber während der Übergangsfrist an geltendes EU-Recht halten, ohne jedoch mit Stimmrecht in den Europäischen Institutionen vertreten zu sein. Das Austrittsabkommen sichert BürgerInnen aus Ländern der Europäischen Union genauso wie in der EU lebende BritInnen zu, weiterhin in den jeweiligen Ländern leben und arbeiten zu können bzw. die gleichen Ansprüche auf Krankenversicherung, Pension und Sozialleistungen wie bisher zu haben. Nach dieser Übergangsphase ist die Schaffung eines Freihandelsgebiets ohne Zölle, Abgaben, Gebühren oder mengenmäßige Beschränkungen beim Warenverkehr die Priorität, so die politische Absichtserklärung.
Der britische Gewerkschaftskongress (TUC) warnt jedoch, dass gerade die Vereinbarung zum Arbeitsrecht mit der EU nur in der Absichtserklärung stehen würde und somit rechtlich nicht bindend seien. Pläne der konservativen Regierung deuten darauf hin, dass bestehende EU-Richtlinien, die das Leben der arbeitenden Bevölkerung in Großbritannien verbessert haben, nun zurückgenommen werden. Ohne das europäische Arbeitsrecht gäbe es in im Vereinigten Königreich so gut wie keine gesetzlichen Vorgaben für Arbeitspausen, bezahlten Urlaub aber auch den Schutz schwangerer ArbeitnehmerInnen und der Nicht-Diskriminierung. ArbeitnehmerInnenrechte könnten somit gegenüber denen in den verbleibenden EU-Mitgliedsstaaten weit zurückfallen. Laut TUC gäbe es genügend Aussagen von konservativen Abgeordneten und MinisterInnen, die sich etwa gegen die Arbeitszeitrichtlinie der EU positioniert haben. Der „Brexit“ in der jetzigen Form würde sie nicht mehr verpflichten, sich unter anderem an diese Richtlinie zu halten. Schon im April 2018 hatte Prof. Michael Ford bei einer Veranstaltung von AK EUROPA vor den potentiellen Auswirkungen des Brexit auf das Arbeitsrecht gewarnt. Auch die AK warnte eindringlich vor der Gefahr der Deregulierung.
Hello Uncertainty
Nicht nur für die britischen ArbeitnehmerInnen könnten sich die Verhältnisse verschlechtern, auch etwaige nach der Übergangsphase abzuschließende Handelsabkommen mit Großbritannien könnten Arbeitsstandards in Kontinentaleuropa gefährden. Gewerkschaften warnen schon lange vor einem solchen „race to the bottom“. In der politischen Deklaration zur zukünftigen Zusammenarbeit zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich sind in Punkt 79 nun auch Sozial- und Arbeitsstandards ausdrücklich genannt. Aus Sicht der AK muss dieses Ziel noch deutlicher zum Ausdruck gebracht werden. Die AK tritt daher dafür ein, dass zukünftige Abkommen mit Großbritannien verbindliche Klauseln zum Schutz der ArbeitnehmerInnen, KonsumentInnen und der Umwelt enthalten. Das Vereinigte Königreich muss verpflichtet werden, weiterhin EU-Standards anzuwenden, damit kein unfairer Wettbewerb entsteht. Bestehende Rechte sollten in zukünftigen Abkommen mit einer Nicht-Rücktrittsklausel geschützt werden.
Mittlerweile prüft der Europäische Gerichtshof (EuGH) auf Antrag des obersten schottischen Zivilgerichts, welches von Mitgliedern des schottischen, des britischen und es europäischen Parlaments angerufen wurde, ob die Austrittserklärung einseitig zurückgenommen werden kann und damit der Verbleib in der EU noch möglich wäre. Sollte der EuGH urteilen, dass Großbritannien die EU-Austrittserklärung ohne Einverständnis der EU-27 zurücknehmen könnte, dürfte es die „Remainer“ bestärken, gegen das Austrittsabkommen zu stimmen.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Auswirkungen des Brexit auf die Rechte der ArbeitnehmerInnen
AK EUROPA: Brexit: Halbzeit bis zum Austritt des Vereinigten Königreichs
TUC: „Why Mrs May’s Brexit deal threathens your rights at work“
Sondertagung des Europäischen Rates (Artikel 50), 25.11.2018